Ukraine-Krieg: Die Schlacht um Mariupol – eine Chronik
Russland hat nach fast zwei Monaten erbitterter Kämpfe den Fall der ukrainischen Hafenstadt Mariupol verkündet. Die strategisch wichtige Stadt in der Südukraine liegt direkt am Asowschen Meer – und wurde seit den ersten Tagen des Krieges erbittert verteidigt.
Tausende Menschen fliehen aus Mariupol. Immer wieder werden die Flüchtlinge auch auf dem Weg angegriffen.
Eine Woche nach Russlands Einmarsch in die Ukraine steigt am 2. März erstmals Rauch über Mariupol auf. Die Stadt, deren 441.000 Einwohner überwiegend russischsprachig sind, steht unter Beschuss. Bürgermeister Wadym Boitschenko warnt vor einer Belagerung der Stadt durch russische Truppen "wie in Leningrad".
Am 9. März beschießt Russland eine Kinder- und Geburtsklinik in der belagerten Hafenstadt. Drei Menschen werden dabei getötet, darunter ein Kind. Die Ukraine und die EU sprechen von einem "Kriegsverbrechen". Russland behauptet, in dem Gebäude hätten sich ukrainische Nationalisten verschanzt. Bilder schwangerer Frauen, die aus den Trümmern gerettet werden, sprechen dagegen.
Mitte März beginnen die ersten Evakuierungen tausender Zivilisten über einen Fluchtkorridor. Frühere Versuche, die Menschen in Sicherheit zu bringen, scheiterten. Dabei warfen sich beide Seiten gegenseitig vor, die vereinbarte Feuerpause nicht einzuhalten. Nun fahren unzählige Autos aus der Stadt – markiert mit weißen Bändern. "Kinder" schreiben sich einige deutlich auf ihr Fahrzeug.
Am 16. März wird durch russische Luftangriffe das Theater im Zentrum Mariupols zerstört, in dessen Keller rund 1.000 Zivilisten – überwiegend Frauen und Kinder – Zuflucht gesucht hatten. Rund 300 Menschen werden dabei nach ukrainischen Schätzungen getötet. Überlebende, die in einem Schutzraum eingeschlossen sind, können erst nach Tagen gerettet werden.
Russland stellt den ukrainischen Streitkräften in der Stadt ein erstes Ultimatum. Diese weigern sich am 21. März jedoch, sich zu ergeben.
Moskau kündigt am 30. März eine Feuerpause für die schwer zerstörte Stadt an, um die Evakuierung von Zivilisten zu ermöglichen. Kiew schickt daraufhin 45 Busse, um die Menschen in die von der Ukraine kontrollierte Stadt Saporischschja zu bringen. Bürgermeister Boitschenko berichtet am 4. April, seine Stadt sei zu "90 Prozent" zerstört.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft Russland am 6. April vor, den humanitären Zugang zur Stadt zu blockieren, um "tausende" Opfer zu verschleiern. Der von pro-russischen Kräften eingesetzte "neue Bürgermeister" Konstantin Iwaschtschenko beziffert die Zahl der getöteten Zivilisten am 7. April mit rund 5.000.
Am 11. April erklären die verbliebenen ukrainischen Streitkräfte in Mariupol, die "letzte Schlacht" stehe bevor, da die Munition zur Neige gehe. Selenskyj erklärt, er gehe von "zehntausenden" Getöteten in Mariupol aus. Die US-Regierung warnt zudem davor, dass Russland "chemische Kampfstoffe einsetzen könnte".
Am 13. April meldet das russische Verteidigungsministerium die Kapitulation von mehr als 1.000 ukrainischen Soldaten. Die ukrainische Armee erklärt hingegen, die Kämpfe gingen weiter. Im Lauf der nächsten Woche stellt Russland den Soldaten, die sich im Stahlwerk der Stadt verbarrikadiert haben, mehrere Ultimaten. Doch die Truppen weigern aufzugeben.
Die ukrainischen Soldaten im Stahlwerk, in dem nach ukrainischen Angaben auch rund 1.000 Zivilisten Zuflucht gefunden haben, wenden sich am 20. April mit einem dramatischen Hilfsappell an die Öffentlichkeit. Seine Truppen sähen "vielleicht" ihren "letzten Tagen, wenn nicht Stunden entgegen", warnt der Kommandeur Serhij Woly.
Nach fast zweimonatiger Belagerung meldet Russlands Präsident Wladimir Putin am 21. April die "Befreiung" Mariupols, räumt aber ein, dass das Stahlwerk noch immer nicht unter russischer Kontrolle sei. Er ordnet an, das Werk weiter zu belagern – so engmaschig, dass "keine Fliege mehr heraus kann". Eine Erstürmung sei hingegen nicht sinnvoll. Bilder zeigen jubelnde russische Soldaten, darunter auch Kämpfer aus Tschetschenien.
Satellitenbilder sollen Massengräber in einem Dorf 20 Kilometer westlich von Mariupol zeigen. "Sie graben 30 Meter lange Löcher und bringen die Leichen unserer Bewohner von Mariupol in Lastwagen", sagte Bürgermeister Wadym Bojtschenko bei einer auf Youtube übertragenen Pressekonferenz. Er schätzt, dass seit Kriegsbeginn etwa 20.000 Einwohner der Stadt getötet wurden.