Nach TV-Protest in Russland Owsjannikowa: "Ich bin jetzt der Feind Nummer eins hier"
Die Protestaktion im russischen TV sorgte weltweit für Wirbel – und veränderte ihr Leben für immer. Nun hat die Journalistin Marina Owsjannikowa darüber in einem Interview gesprochen.
Nach ihrer Protestaktion im russischen Fernsehen hat die Journalistin Marina Owsjannikowa in einem Interview über ihre Ängste gesprochen: "Ich bin jetzt der Feind Nummer eins hier", sagte Owsjannikowa dem "Spiegel".
Sie sei aktuell in großer Sorge um ihre Kinder und nehme Beruhigungsmittel. "Mein Leben hat sich für immer verändert, das begreife ich erst langsam. Ich kann nicht mehr zurück in mein altes Leben."
Die russische Journalistin hatte sich am Montagabend während einer Nachrichten-Live-Sendung des staatlichen TV-Senders Kanal Eins mit einem Plakat hinter die Moderatorin gestellt, auf dem sie zum Ende des Krieges aufruft und vor Propaganda warnt. Ein Gericht in Moskau verurteilte sie am Dienstag zur Zahlung von 30.000 Rubel (rund 250 Euro).
Keiner wollte glauben, dass Owsjannikowa die Protestaktion durchgeführt hatte
Owsjannikowa sagte, sie habe sich bis zum Ukraine-Krieg nicht für einen besonders politischen Menschen gehalten und viele Dinge in ihrer Heimat verdrängt. Das habe sich seit dem 24. Februar allerdings geändert. "Es war furchtbar. Jedem normal denkenden Menschen in Russland war bewusst, dass er nicht mehr so wie früher weiterleben kann."
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Sie habe vor der Protestaktion ihre Arbeit begonnen wie an jedem anderen Tag, habe im Studio beobachtet, wo genau die Kameras stehen, wie sie sich bewegen, wo sie sich hinstellen könne. "Ich hatte große Angst, am Ende könnte alles umsonst sein, wenn mich keiner zu sehen bekäme", sagte sie im Interview. Dann sei sie schnell ins Studio gelaufen: "An dem Polizisten vorbei, der immer Dienst hat bei uns." Der habe nicht mehr reagieren können.
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Nach der Aktion sei sie schnell wieder zu ihrem Arbeitsplatz zurückgekehrt und habe gewartet. "Dann kamen viele Chefs zu mir – alle fragten: 'Waren Sie das?' Keiner wollte das so recht glauben."
Owsjannikowa: "Ich will unser Land nicht verlassen"
Ihr Sohn habe ihr vorgeworfen, sie habe das Leben "von uns allen zerstört". "Es kann alles passieren", sagt sie. "Ich habe den Punkt überschritten, an dem es kein Zurück mehr gibt."
Das Land wolle sie trotzdem nicht verlassen, obwohl der französische Präsident Emmanuel Macron ihr Asyl angeboten habe: "Nein, ich will unser Land nicht verlassen; ich bin Patriotin, mein Sohn ein noch viel größerer."