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Gewalt an Frauen im Ukraine-Krieg: "Zieh dich aus oder ich erschieße dich"


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Vergewaltigungen im Ukraine-Krieg
"Er befahl mir: 'Zieh dich aus oder ich erschieße dich'"


19.04.2022Lesedauer: 6 Min.
Berichte über Massenvergewaltigungen und Ermordungen: Immer mehr Belege tauchen auf über Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung. (Quelle: Glomex)
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Verschleppt, verletzt und vergewaltigt: Immer mehr Frauen berichten davon, im Krieg in der Ukraine sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Was ist bekannt über diese Fälle – und wie können die Verbrechen geahndet werden?

Zwei russische Soldaten verfolgten sie von einem Laden bis in ihr Haus. "Sie zogen mich aufs Bett und drückten mich mit dem Maschinengewehr nieder", erzählt Elena* "Euronews". Die etwa 50-Jährige kommt aus Cherson, einer Stadt im Süden der Ukraine. Erst nachdem sie über 13 Stunden vergewaltigt worden war, sollen die Soldaten von ihr abgelassen haben.

Anna* wohnt in einem Vorort von Kiew. Ein fremder Soldat trat in ihre Wohnung und zerrte sie in ein nahe gelegenes Haus, erzählt sie der "BBC". "Er befahl mir: 'Zieh dich aus oder ich erschieße dich.'" Dann vergewaltigte er sie. Später habe sie ihren Mann gefunden, eine klaffende Schusswunde in seinem Bauch. Er soll versucht haben, sie zu retten. Nun ist er tot.

Vera* ist 83 Jahre alt. Sie berichtet "CBS News" von einem russischen Soldaten, der sie im Nacken packte und vergewaltigte. "Ich könnte deine Mutter sein. Würdest du wollen, dass das mit deiner Mutter passiert?", habe sie ihn gefragt. Doch er brachte sie zum Schweigen. Als er fertig war, gab er mit seinem Gewehr mehrere Schüsse in die Luft ab. Anziehen durfte sich Vera nicht, berichtet sie. "Er hätte mich erschießen sollen, statt mir das anzutun."

Fotos zeigen schwere Verletzungen

Die Erlebnisse von Vera, Elena und Anna stehen stellvertretend für eine Vielzahl von Fällen, in denen russische Soldaten Frauen während des Krieges in der Ukraine sexualisierte Gewalt angetan haben sollen. Bereits Mitte März sorgte Dmytro Kuleba, der Außenminister der Ukraine, für Aufsehen, als er von "zahlreichen Fällen" berichtete, in denen Besatzungstruppen der russischen Armee ukrainische Frauen vergewaltigt hätten. Beweise legte er damals nicht vor.

Doch mit der Zeit wenden sich immer mehr Betroffene an die Öffentlichkeit. Menschenrechtsorganisationen dokumentieren ihre Erlebnisse, die sich teils mit Zeugenaussagen und Fotos belegen lassen. So soll etwa ein Bild, das der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" vorliegt, tiefe Schnittwunden im Hals und Gesicht einer Frau zeigen, die berichtet, von einem russischen Soldaten mehrfach vergewaltigt worden zu sein. Immer wieder habe er sie dabei mit einem Messer attackiert.

"Die grausame Konsequenz aus ungleichen Machtverhältnissen"

Robert Nagel, Konfliktforscher am Institute for Women, Peace and Security der Georgetown-Universität in Washington, hegt keinen Zweifel an der Wahrheit solcher Schilderungen, erklärt er der "Tagesschau".

▶ Erstens hätten Truppen, die Russland unterstehen, schon in der Vergangenheit sexualisierte Gewalt an Frauen ausgeübt – etwa im Tschetschenienkrieg, bei der Annexion der Krim oder auch in der Ostukraine.

▶ Zweitens seien die russischen Streitkräfte im Krieg gegen die Ukraine keine Freiwilligen, sondern Wehrpflichtige. "Wir wissen aus der Forschung, dass Zwangsrekrutierung ein häufiger vorausgehender Faktor von sexueller Gewalt in Konflikten ist", so Nagel. Wenn Kämpfer einander kaum kennen würden und keine sozialen Bande untereinander hätten, könnten gemeinsam begangene sexualisierte Gewaltakte sie besser zusammenschweißen. "Sie lassen den einzelnen Kämpfer Teil der Gruppe werden und weisen ihm einen Platz in der Hierarchie einer von einer bestimmten Männlichkeitsidee geprägten, bewaffneten Organisation zu", erklärt Nagel.

▶ Drittens habe Russland Berichten zufolge Söldner aus Tschetschenien und Syrien in seine Truppen aufgenommen. Mehr dazu lesen Sie hier. "Über solche söldnerartigen Kampfgruppen hat die militärische Führung stets weniger Kontrolle als über ihre regulären Streitkräfte", erklärt Nagel. In den Herkunftsländern der Söldner habe man zudem ein großes Ausmaß sexualisierter Gewalt beobachtet können. Allein in Syrien berichtete die UN-Untersuchungskommission 2018 von Tausenden Fällen, in denen überwiegend Frauen und Mädchen von Regierungstruppen und verbündete Milizen vergewaltigt und körperlich misshandelt wurden.

▶ Und es gibt noch einen vierten Grund: "Auch in Friedenszeiten sind sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt, Benachteiligung und sexistische Abwertung für viele Frauen und Mädchen eine Alltagserfahrung", sagt Sara Fremberg von der Frauenrechtsorganisation "medica mondiale" zu t-online. Im Krieg und in Krisen würden sich solche Strukturen in verschärfter Form fortsetzen. "Vergewaltigung als Mittel der Kriegsführung ist letztlich die grausame Konsequenz aus den ungleichen Machtverhältnissen", so Fremberg.

Vergewaltigung – ein strategisches Kriegsverbrechen

Die Menschenrechtsorganisationen "Human Rights Watch" und "Amnesty International" forderten schon nach den ersten Hinweisen eine Untersuchung wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen Russlands. Dazu zählen nach dem humanitären Völkerrecht auch Vergewaltigungen, neben beispielsweise Folter, Tötung, Nötigung oder Vertreibung von Zivilisten.

Frauen und Mädchen seien "besonders Zielscheibe sexueller Gewalt", schreibt der UN-Sicherheitsrat in einer Resolution aus dem Jahr 2008, in der er Vergewaltigungen in die Liste der Kriegsverbrechen aufnahm. "Sexualisierte Kriegsgewalt kann organisiert erfolgen und Teil der Kriegsstrategie sein", sagt auch Fremberg von "medica mondiale".

Putin: "Ob es gefällt oder nicht – halt es aus, meine Schöne"

Die militärische Führung toleriere dann, dass Soldaten Frauen vergewaltigen oder ermutige sie sogar dazu. Putin etwa habe oft eine sexuell aufgeladene Sprache genutzt, wenn er über die Ukraine sprach, sagt Konfliktforscher Nagel zur "Tagesschau".

So entgegnete der russische Präsident vor seinem Angriff auf die Ukraine etwa auf die Frage eines Journalisten, ob das Minsker Abkommen noch gültig sei: "Ob es gefällt oder nicht – halt es aus, meine Schöne." Russische Soldaten hätten dies wohl gehört und seien dadurch in ihren Taten bestärkt worden, vermutet Nagel.

"Neben der Verletzung, Demütigung und Entwürdigung der Frauen ist dann das Ziel, die gegnerische Kriegspartei zu erniedrigen und das soziale Gefüge zu zerstören", erklärt Frauenrechtlerin Fremberg. Die Gewalt sei ein Symbol der Erniedrigung des Gegners, der "seine" Frauen nicht schützen könne.

Menschenrechtsorganisation berichtet von "sexualisierter Gewalt in Schutzbunkern"

Doch auch außerhalb dieser strategischen Kriegsführung seien Frauen von sexualisierter Gewalt betroffen, merkt Fremberg an. "Wir sind mit mehreren Organisationen im Austausch, darunter die ukrainische Menschenrechtsorganisation 'La Strada'. Sie berichten von Vergewaltigungen durch russische Soldaten, aber auch von sexualisierter Gewalt in den Schutzbunkern", sagt die Frauenrechtlerin. Um wie viele Fälle es sich dabei handelt, ist nicht bekannt.

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Grund dafür sei jedoch häufig, dass soziale Strukturen zusammenbrechen würden und es an Rückzugs- und Schutzräumen fehle. "Das ganze Umfeld befindet sich in einem Ausnahmezustand", erklärt Fremberg. Anlaufstellen, wie Frauenschutzhäuser oder Notrufe, müssten oft aus Sicherheitsgründen oder, weil die Ressourcen fehlen, schließen.

Expertin: "Nur so können die Täter später verurteilt werden"

Aber wie können Täter dann überhaupt belangt werden, wenn "Ausnahmezustand" herrscht? Bereits in Friedenszeiten ist die Verurteilungsquote bei sexualisierter Gewalt sehr niedrig. "In Deutschland werden laut Studien nicht einmal zehn Prozent der Taten angezeigt und davon nicht einmal zehn Prozent verurteilt", erklärt Fremberg.

Die Zahlen zu sexualisierter Kriegsgewalt – ob durch russische Soldaten oder durch ebenfalls Schutzsuchende in den Bunkern – ließen sich während des laufenden Kriegsgeschehens noch schwerer ermitteln oder systematisch dokumentieren. Genau das sei aber nach der medizinischen und psychosozialen Unterstützung für die Betroffenen wichtig, auch im Sinne der Prävention von sexualisierter Gewalt. "Nur so können die Täter später verurteilt und kann die weit verbreitete Straflosigkeit bei sexualisierter Kriegsgewalt durchbrochen werden", sagt Fremberg.

EU-Mission soll Kriegsverbrechen aufklären

Die EU will den Berichten nun nachgehen – zusammen mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC). Die Mitgliedsländer beschlossen am vergangenen Mittwoch, das Mandat der sogenannten EU-Beratungsmission für die Reform des zivilen Sicherheitssektors in der Ukraine (EUAM) zu ändern.

Statt wie bislang seit 2014 die Rechtsstaatlichkeit und den Sicherheitssektor im eigenen Land zu stärken, soll die Mission nun die ukrainischen Behörden dabei unterstützen, Straftaten während des russischen Angriffskriegs – darunter Vergewaltigungen – zu verfolgen, hieß es in einer Mitteilung. Auch wurde nach Angaben eines Kommissionssprechers bereits eine Ermittlungsgruppe aus Experten der Ukraine und der EU-Mitgliedsstaaten aufgebaut, die die Arbeit des ICC stützen sollen, indem sie vor Ort Beweise für mögliche Kriegsverbrechen sammeln.

Neben dieser Aufklärung fordert Fremberg von "medica mondiale" qualifizierte Unterstützung für die betroffenen Frauen und Mädchen. "Es sind jetzt kostenlose, flächendeckende Angebote zu psychologischer Beratung notwendig, sowohl vor Ort als auch in den aufnehmenden Ländern", sagt sie. Auch sei es für die Betroffenen wichtig, dass Vergewaltigungen als erlittenes Unrecht benannt würden, das gesellschaftlich nicht toleriert werden darf.

Hinweis: Wenn Sie Betroffene von sexualisierter, aber auch jeder anderen Form von Gewalt sind, finden Sie hier Hilfe. Das Hilfetelefon für Gewalt gegen Frauen ist 24 Stunden am Tag erreichbar und berät Betroffene in insgesamt 17 Sprachen.

*Die Namen wurden zum Schutz der Frauen geändert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Sara Fremberg, Bereichsleitung Politik und Kommunikation "medica mondiale"
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