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Eskalation in Nahost: Nur dann wird der Iran eingreifen


Experte über Eskalation im Nahen Osten
"Israel hat noch andere Überraschungen in petto"

InterviewVon Luca Wolpers

Aktualisiert am 20.09.2024 - 19:29 UhrLesedauer: 5 Min.
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ISRAEL-PALESTINIANS/LEBANONVergrößern des Bildes
Ein libanesischer Soldat an einer Straßensperre in Beirut: Israel hat mit einem Luftangriff einen Topterroristen der Hisbollah getötet. (Quelle: Amr Abdallah Dalsh/reuters)

Die Lage im Nahen Osten spitzt sich zu. Israel und die Hisbollah setzen ihre Angriffe trotz internationaler Warnungen fort. Laut Nahost-Experte Gil Yaron gibt es noch eine Sache, die einen größeren Krieg verhindern könnte.

Die Sorge wächst, dass sich die Kämpfe zwischen Israel und der libanesischen Terrororganisation Hisbollah zu einem regionalen Flächenbrand ausweiten. Am Dienstag und Mittwoch waren Hunderte Pager und Walkie-Talkies der Hisbollah gleichzeitig explodiert. 37 Menschen wurden getötet und fast 3.000 verletzt. Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah macht Israel für die Explosionen der Kommunikationsgeräte verantwortlich und droht mit Vergeltung.

Am Freitag verstärkten beide Seiten ihre Angriffe. Nach israelischen Angaben feuerte die Hisbollah rund 140 Raketen binnen einer Stunde aus dem Libanon auf Israel ab. Später kam es zu einem gezielten Angriff Israels auf Beirut – ein Hisbollah-Gründungsmitglied wurde getötet. Wie wird es jetzt weitergehen? Droht ein großer Krieg? Der Nahost-Experte Gil Yaron schätzt die aktuelle Lage ein.

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t-online: Herr Yaron, der israelische Verteidigungsminister Joav Galant spricht von einer neuen Phase des Krieges. Droht jetzt eine Bodenoffensive Israels gegen den Libanon?

Gil Yaron: Ja, das ist möglich. Zumindest hat Galant eine solche Offensive angedeutet. Er hat ja ausdrücklich gesagt, dass die Armee jetzt ihren Hauptfokus von Gaza weg richtet und auf den Libanon zu.

Tatsächlich greift die israelische Armee bereits Ziele in Beirut an, zuvor hatte die Hisbollah Raketen gen Israel geschossen.

Wir sehen eine Intensivierung der israelischen Luftangriffe im Libanon, und zugleich eine Eskalation der Angriffe der Hisbollah, die allein am Freitag mehr als 170 Raketen auf Israel abfeuerte. Israel versucht seinerseits, die Führung der Hisbollah auszuschalten, um sie kampfunfähig zu machen. Das ist der Hintergrund des neuesten Angriffs in Beirut. Das vielleicht wichtigste Indiz ist aber, dass die 98. Division, eine der schlagkräftigsten israelischen Divisionen, mit Panzerverbänden, Fallschirmjägern und Spezialeinheiten vom Gazastreifen in den Norden verlegt wurde.

Wie gefährlich kann die Hisbollah Israel werden?

Die Hisbollah ist eine der stärksten Milizen im Nahen Osten. Sie verfügt laut amerikanischen Schätzungen über mehr als 100.000 Raketen. Im Gegensatz zu dem Arsenal der Hamas sind das industriegefertigte Raketen mit größeren Sprengköpfen und weit höherer Genauigkeit.

Was bedeutet das für Israel?

Das heißt, die Hisbollah kann über längere Zeit größeren Schaden anrichten als die Hamas. Die Hisbollah hat ein strategisches Hinterland, in das sie sich zurückziehen kann, während die Hamas nur vom Gazastreifen aus agiert. Auch wenn die Israelis Teile des Libanons erobern, die insgesamt größer sind als der Gazastreifen, wird es der Hisbollah gelingen, über Monate weitere israelische Städte und Infrastruktureinrichtungen zu beschießen. Und eines darf man nicht vergessen.

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Gil Yaron (Quelle: IMAGO/Thomas Bartilla/imago)

Zur Person

Gil Yaron, 1973 in Haifa geboren, ist ein israelischer Arzt, Journalist, Buchautor und Nahost-Experte. Seit 2020 ist er Leiter des Büros des Landes Nordrhein-Westfalen für Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Jugend und Kultur in Israel. Er tritt häufig als Experte in TV-Sendungen auf und schreibt Analysen zu politischen und sicherheitspolitischen Entwicklungen in der Region.

Und zwar?

Die Hisbollah ist eine kriegserprobte Kampftruppe, die nach eigenen Angaben an die 100.000 Kämpfer hat, nach ausländischen Schätzungen rund 60.000. Hinzu kommt: Wenn es zu einem ausgewachsenen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah kommt, wird sich der Iran als Verbündeter der Hisbollah in den Krieg einschalten.

Seit Monaten wird über ein direktes Eingreifen des Iran spekuliert. Wie wahrscheinlich ist das zum jetzigen Zeitpunkt?

Die Gefahr eines Mehrfrontenkrieges wird mit einer direkten Konfrontation zwischen Israel und der Hisbollah erheblich größer. Doch das oberste Interesse des Iran ist, das Atomprogramm erfolgreich zu Ende zu bringen, ohne einen amerikanischen Angriff zu provozieren.

Das heißt?

Das islamistische Regime wird dieses Programm nur in Gefahr bringen, wenn die Existenz der Hisbollah bedroht ist. Denn die Terrorgruppe ist ein wichtiges Instrument der iranischen Außenpolitik im Nahen Osten. Dennoch halte ich es für unwahrscheinlich, dass sich der Iran direkt in den Konflikt einmischt – selbst wenn es zu einem Bodenkrieg kommt.

Wie geht Israel nun weiter vor?

Israel hat im Augenblick eigentlich nur schlechte Optionen. Es kann auf eine diplomatische Lösung warten, wie die USA sie wollen. Das Problem: Die Dynamik des Konflikts ist momentan so, dass es rein logisch am Ende zu einem größeren Krieg kommen wird. Ein Krieg, den keiner der Beteiligten möchte.

Erklären Sie das bitte.

Die Hisbollah will gar keinen Krieg gegen Israel, hat aber aus Solidarität mit der Hamas angefangen, nach dem 8. Oktober Israel anzugreifen. Der Befehlshaber der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat noch einmal bestätigt: Sie werden so lange Israel beschießen, wie es keinen Waffenstillstand in Gaza gibt. Das heißt, Nasrallah möchte den Krieg eigentlich einstellen und wartet auf einen Waffenstillstand im Gazastreifen, den die Hamas aber gar nicht will.

Auch Netanjahu wird vorgeworfen, diesen Krieg zu wollen oder ihn zumindest nicht zu beenden.

Er ist unter Zugzwang. Seit einem Jahr wurden knapp 100.000 Bürger aus dem israelisch-libanesischen Grenzgebiet vertrieben. Viele Reservisten wurden eingezogen, die Armee ist erschöpft, und Israel ist nicht dafür gemacht, einen jahrelangen Krieg zu führen, sondern kurze entscheidende Kriege. Das ist im Gazastreifen nicht gelungen. Das wird im Libanon wahrscheinlich noch viel weniger gelingen.

Trotzdem scheint sich Netanjahu einem Deal mit der Hamas in den Weg zu stellen.

Er steckt auch in einem Dilemma. Sollte die Hamas ihre Führungsrolle im Gazastreifen erhalten können, würde bereits der Countdown für einen neuen Krieg in Gaza laufen. Zwar könnte eine diplomatische Lösung auch den Konflikt mit der Hisbollah vorerst beilegen, aber genau das will die Hamas nicht. Sie möchte die Eskalation.

Die verheerenden Explosionen mit vielen Toten und Verletzten im Libanon waren eine weitere Eskalation des Konflikts. Der strategische Nutzen ist klein. Was wollte Israel damit bewirken?

Ich glaube, alle Beteiligten betreiben eine Gratwanderung, und sie versuchen der anderen Seite klarzumachen: Ich meine es ernst und es ist an der Zeit, dass du dich auf eine diplomatische Lösung einlässt. Tust du das nicht, ist der Preis, den du zahlst, höher.

Provoziert das aber nicht weitere Angriffe der Hisbollah?

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Wir sind nicht mehr in einer Phase, in der wir von Provokationen sprechen können. Es ist ja nur ein Teil der Ereignisse. Israel wird Tag für Tag mit Dutzenden, wenn nicht mit Hunderten Raketen beschossen. Israel will der Hisbollah klarmachen, dass der Preis, den sie dafür zahlt, immer höher wird, wenn sie nicht endlich damit aufhört. Es ist ein rein ideologischer Konflikt, der durch die Vernichtungsgelüste der Hisbollah entsteht. Ich denke, die Explosionen waren eine scharfe Warnung an Nasrallah, die ihm zeigen sollen: Das war nur der Auftakt. Israel hat noch andere Überraschungen in petto.

Herr Yaron, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Gil Yaron
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