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Russland: Alexej Nawalny ist tot – laut Experte "nicht im Kreml-Interesse"


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Kremlkritiker stirbt in Haft
"Sein Tod könnte das Regime erschüttern"


16.02.2024Lesedauer: 4 Min.
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Alexej Nawalny: Ein Video soll den Kremlkritiker kurz vor seinem Tod zeigen. (Quelle: t-online)

Er sollte mindestens 19 Jahre in Haft sitzen, starb am Freitag jedoch in einer russischen Strafkolonie. Alexej Nawalnys Tod könnte Russland erschüttern, sagt ein Experte.

Alexej Nawalny ist tot. Die Nachricht ging am frühen Freitagnachmittag deutscher Zeit wie ein Lauffeuer um die Welt. Immerhin galt Nawalny als wichtigster Oppositioneller in Putins Russland, seine Inhaftierung als politisch motiviert. Wohl kaum eine andere Figur hat dem russischen Präsidenten in den vergangenen Jahren mit verschiedensten Enthüllungen über die Dekadenz und Korruption in der Kreml-Elite das Regieren derart schwer gemacht.

Jetzt soll Nawalny am Freitag in einer Strafkolonie in Sibirien ums Leben gekommen sein, wie die Gefängnisverwaltung meldet. Nach einem Freigang im Straflager habe sich Nawalny demnach "unwohl gefühlt" und "fast sofort das Bewusstsein verloren". Medizinisches Personal habe den 47-Jährigen nicht wiederbeleben können. Mehr dazu lesen Sie hier.

Wieder ist ein Kritiker des Kreml unter mysteriösen Umständen gestorben. Wird Nawalnys Tod Folgen für die russische Politik haben? Was bedeutet das für die im März anstehenden Präsidentschaftswahlen? Und wie reagiert Putin?

"Man wollte keinen Märtyrer schaffen"

Andreas Umland, Experte vom Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien, glaubt, dass Nawalnys Tod nicht im Interesse des Kreml sei. "Man wollte ihn zwar aus der Politik heraushalten, aber keinen Märtyrer erschaffen", sagt Umland im Gespräch mit t-online.

(Quelle: imago stock&people/imago-images-bilder)

Zur Person

Andreas Umland (*1967) ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Publizist. Er arbeitet von Kiew aus als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien. Umland gründete die Buchreihe "Soviet and Post-Soviet Politics and Society" ("Sowjetische und postsowjetische Politik und Gesellschaft").

Schon 2020 war auf Nawalny ein Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok verübt worden. Die Urheberschaft schrieben Beobachter damals dem Kreml zu, Beweise gab es jedoch nicht. Darin liegt laut Umland auch der große Unterschied zum Tod Nawalnys an diesem Freitag: "Damals hätte man die Urheberschaft zumindest abstreiten können", sagt der Russlandexperte. Dass Nawalny nun in Haft gestorben ist, sei für den Kreml jetzt jedoch ein Problem.

"Es ist nicht möglich, die Ursache auf äußere Faktoren abzuwälzen", erklärt Umland. Der Tod des Oppositionellen sendet ein fatales Signal in Putins Russland: "Nawalny hat einen Giftanschlag überlebt, die russische Haft und mutmaßliche Folter waren aber offenbar zu viel für seinen Körper."

Nawalny wurde in der Haft gefoltert

Es sei dennoch nicht auszuschließen, dass sein Tod mit Absicht herbeigeführt worden sei, so Umland. Der Bruder des Oppositionellen hatte erst Ende Januar kritisiert, dass Nawalny in Haft "genau nach Lehrbuch" gefoltert werde. Mehr dazu lesen Sie hier. Doch dass Nawalny nun möglicherweise aktiv getötet wurde, hält Andreas Umland für unwahrscheinlich: "Eigentlich liegt das nicht im Kremlinteresse."


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Sein Tod könnte nun eine Erschütterung des Regimes auslösen.


Russlandexperte Andreas Umland


Das liege vor allem daran, dass Nawalny in der russischen Bevölkerung recht beliebt gewesen sei, so Umland. "Andere ermordete Oppositionelle wie Anna Politkowskaja oder Boris Nemzow waren zwar auch populär, aber längst nicht so gewichtig zum Zeitpunkt ihrer Ermordung wie Nawalny", sagt der Russlandkenner. Politkowskaja wurde 2006 ermordet im Treppenhaus vor ihrer Moskauer Wohnung aufgefunden. Nemzow starb 2015 durch Schüsse auf der Großen Moskwa-Brücke im Zentrum der russischen Hauptstadt unweit des Kremls. Mehr zu den Fällen lesen Sie hier.

Wegen dieser Popularität könnte Nawalnys Tod laut Umland nun tiefgreifendere Folgen für die russische Politik haben: "Sein Tod könnte nun eine Erschütterung des Regimes auslösen", sagt er. Welche Folgen das sein werden, ließe sich jedoch noch nicht absehen. "Zumindest kann der Kreml diese Situation nicht einfach unter den Teppich kehren", so Umland.

Anders sieht es der Politikwissenschaftler Alexander Libman. Er forscht an der Freien Universität Berlin zu Osteuropa und Russland. Kurzfristige Folgen auf die russische Politik werde Nawalnys Tod nicht haben, sagt Libman t-online. "Putins Regime ist dafür zu stark", meint der Experte. "Er hat schon den Aufstand Prigoschins überstanden und führt seit gut zwei Jahren den Krieg in der Ukraine, wo es derzeit auch nicht schlecht für Russland aussieht."

(Quelle: Fotostudio am Kurfürstenplatz)

Zur Person

Alexander Libman (*1981) ist ein russischer Politologe und Wirtschaftswissenschaftler. Er forscht zu den Schwerpunkten vergleichende Autokratieforschung, subnationale politische Regime, informelle Interaktion in bürokratischen Hierarchien sowie historische Determinanten der politischen und sozialen Entwicklung. Sein Fokus liegt dabei auf Russland und Osteuropa.

Mittel- und langfristig könnte der Tod des Oppositionellen jedoch durchaus Wirkung entfalten. Dabei gehe es aber um die Zeit nach Wladimir Putin. "Die populärste Figur der Opposition ist weg und es gibt, Stand jetzt, keine richtige Alternative", erklärt Libman. "Die Opposition im Ausland wird in Russland kaum gehört – nicht zuletzt, weil sie sich von dem Geschehen in Russland immer mehr abkoppelt." Es blieben lediglich "Putins Eliten", so der Politologe.

Was bedeutet Nawalnys Tod für die Wahlen?

In gut einem Monat – vom 15. bis zum 17. März – stehen die russischen Präsidentschaftswahlen an. Der Zeitpunkt des Todes von Nawalny sei angesichts dessen "erstaunlich", sagt Andreas Umland. Denn in jedem Fall werde es nun eine Reaktion der Opposition geben, ist er sich sicher – "fraglich ist nur, wie".

Eine Möglichkeit wären große Proteste, wie sie es auch schon von Gegnern des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gegeben hat. Wie der Kreml darauf reagieren würde, sei ebenso unklar, sagt Umland. "Sollten Proteste stattfinden, wird sich zeigen, wie sehr das Regime zu Repressionen bereit ist." Gleiches gelte jedoch für die Opposition: Sollte der Kreml auf harte Repressionen setzen, müssten Regimegegner Opferbereitschaft beweisen.

Alexander Libman hält Proteste jedoch für unwahrscheinlich. Sollte es welche geben, dann würden sie eher klein ausfallen, sagt er t-online. "Dafür ist Putins Repressionsmaschinerie bereits zu groß. Das haben die Anti-Kriegs-Proteste gezeigt, die schlicht niedergeschlagen wurden."

Kann Boris Nadeschdin Russlands Opposition anführen?

Fraglich bleibt, wer die großen Fußstapfen Alexej Nawalnys künftig füllen könnte. "In den Startlöchern" stehe etwa Boris Nadeschdin, sagt Andreas Umland. Nadeschdin will gegen Putin bei den Wahlen antreten. Die Zulassung verwehrte ihm die Wahlkommission jedoch, der Politiker geht gerichtlich dagegen vor. Nawalny und sein Team hatten mehrfach öffentlich die Bewerbung Nadeschdins unterstützt und die Bürger dazu aufgerufen, für die Kandidatur des Kriegsgegners zu unterschreiben. Mehr zu Boris Nadeschdin lesen Sie hier.

Der Präsidentschaftsbewerber sei "ein anderes Kaliber als Nawalny", sagt Umland. Nadeschdin habe auch eine andere Geschichte. Dessen Kritiker haben mehrfach behauptet, dass er eigentlich vom Kreml gestützt werde, damit es zumindest den Anschein eines echten Gegenkandidaten gebe. Die Vorstellung eines "Kremlprojekts" hält Umland jedoch nicht für wahr: "Man hat ihn dort nicht vollständig unter Kontrolle." Russlandexperte Libman hingegen hält Nadeschdin für "zu schwach", um eine tatsächliche Alternative darzustellen.

Nawalny saß seit seiner Rückkehr nach Russland nach der Behandlung seiner Nowitschok-Vergiftung in Berlin in russischer Haft. Er ist unter anderem wegen angeblichen "Extremismus" zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Menschenrechtsorganisationen forderten seit Langem Nawalnys Freilassung. Den Nachruf auf den Kremlkritiker lesen Sie hier.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterviews mit Andreas Umland und Alexander Libman
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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