t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikAusland

Raketeneinschlag bei Krankenhaus in Gaza: Vieles spricht für Hamas-Lüge


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Raketeneinschlag in Gaza
Vieles spricht für eine große Hamas-Lüge


Aktualisiert am 19.10.2023Lesedauer: 5 Min.
Verzweiflung in Gaza-Stadt: Hunderte Menschen sollen bei einem Raketeneinschlag ums Leben gekommen sein.Vergrößern des Bildes
Verzweiflung in Gaza-Stadt: Viele Menschen sollen bei einem Raketeneinschlag ums Leben gekommen sein. (Quelle: Abed Khaled/dpa)
News folgen

Wie viele Menschen sind wirklich bei der Explosion vor einem Gaza-Krankenhaus gestorben? Und wer ist dafür verantwortlich? Die Informationslage im Überblick.

Am Dienstagabend kam die erschütternde Meldung: Vor einem Krankenhaus im von der Hamas besetzten Gazastreifen ist eine Rakete eingeschlagen. Schnell verbreitete die Terrororganisation, die die Klinik führt, die Nachricht von Hunderten Toten und Verletzten – und machte Israel für den vermeintlichen Angriff verantwortlich. Doch an dieser Version gibt es erhebliche Zweifel. Nicht zuletzt, weil die Hamas dafür bekannt ist, Propaganda und Fake News zu streuen, um das eigene Ansehen zu steigern und Gewalt und Proteste gegen den Gegner Israel anzustacheln.

Und obwohl auch Israel nach dem Großangriff der Hamas inzwischen mehr als 3.200 Menschen im Gazastreifen getötet hat, ist es wahrscheinlich, dass die angeblich Hunderten Toten diesmal nicht auf das Konto von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gehen – wenn denn überhaupt so viele Menschen ums Leben gekommen sind.

Klar ist: Jedes Menschenleben, das in dem Krieg im Nahen Osten ausgelöscht wird, zählt. Doch dieser Fall legt einmal mehr offen, dass die Terrororganisation Hamas auf falsche Schuldzuweisungen und Informationen setzt. Wer könnte also wirklich für den Raketeneinschlag am Krankenhaus verantwortlich sein und wie viele Menschen wurden getötet? Ein Überblick über die aktuellen Spekulationen und Erkenntnisse.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

EU-Geheimdienste zweifeln an Todeszahlen

Israel selbst weist die Schuld an dem Raketeneinschlag einer Terrororganisation zu, die eng mit der Hamas zusammenarbeitet. Eine Rakete soll fehl gestartet sein – und das Militär ist sich sicher, dass weitaus weniger Menschen bei dem Ereignis ums Leben gekommen sind, als von der Hamas behauptet. "Die israelische Armee hat Geheimdienstinformationen, die stark darauf hinweisen, dass die Zahl der tragischen Todesfälle durch eine fehlgeleitete Rakete des Islamischen Dschihad von der Hamas auch als Teil einer Desinformationskampagne übertrieben wurde", teilte ein Armeesprecher mit.

Aus Europäischen Geheimdienstkreisen hieß es ebenfalls, dass bei der Explosion auf dem Krankenhaus-Parkplatz in Gaza-Stadt weniger Menschen gestorben sind, als die Hamas angibt. Die Terrororganisation sprach von 470 Toten und 300 Verletzten. Eine anonyme Quelle aus der EU sagte jedoch am Mittwoch: "Es gibt nicht 200 oder gar 500 Tote, sondern eher ein paar Dutzend, wahrscheinlich zwischen zehn und 50." Israel sei "wahrscheinlich nicht" für den Beschuss verantwortlich – darauf deuteten den Geheimdiensten vorliegende "ernsthafte Spuren" hin. Die Quelle verwies darauf, dass das Gebäude nicht zerstört worden sei.

"Keine Beweise"

Seit dem israelischen Raketenbeschuss als Reaktion auf das Hamas-Massaker am 7. Oktober haben viele Menschen im Gazastreifen Schutz in Kliniken und anderen öffentlichen Einrichtungen gesucht. Zu groß ist ihre Todesangst im eigenen Heim. Dennoch glauben europäische Geheimdienste nicht daran, dass sich zum Zeitpunkt des Raketeneinschlags Hunderte Menschen im Krankenhaus befunden hätten.

Das Gebäude sei wahrscheinlich zuvor evakuiert worden, wie eine ganze Reihe von Krankenhäusern im nördlichen Gazastreifen, nachdem die israelische Armee dies angeordnet hatte. Dafür, dass sich hunderte Menschen auf dem Parkplatz davor befunden hätten, gebe es "keine Beweise".

Video | Explosion an Gaza-Klinik
Player wird geladen
Quelle: reuters

Wo ist die Rakete wirklich eingeschlagen?

Auf dem Parkplatz davor? Laut den palästinensischen Behörden soll die israelische Rakete doch das Krankenhaus getroffen haben. Von einem Parkplatz war auch in den Anschuldigungen der Hamas nicht die Rede.

Die israelische Armee hingegen teilte mit, Aufnahmen von Militärdrohnen zeigten "eine Art Treffer auf dem Parkplatz". Auf dem Online-Dienst X verbreiteten sich rasend schnell Videos, die den Vorfall zeigen sollen. Sie unterstützen die These Israels, wenngleich sie diese nicht hundertprozentig beweisen können.

Auf einer Aufnahme ist etwa zu sehen, wie Raketen vom Gazastreifen Richtung Israel geschossen werden. Kurz nach dem Start explodiert dem Video zufolge eine Rakete am Himmel. Wenige Sekunden später ereignen sich zwei Explosionen am Boden: eine kleinere etwas weiter entfernt vom Krankenhaus, eine größere in unmittelbarer Nähe.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Der dänische Datenspezialist Oliver Alexander erklärte auf X, warum die Aufnahmen beweisen könnten, dass die Raketenteile nicht direkt das Krankenhaus getroffen haben. Er verwies auf Gebäude nahe der Klinik, auf denen sich Solarpanels befinden und die an den Krankenhausparkplatz angrenzen. Auf den oben stehenden Aufnahmen ist zu sehen, dass es unmittelbar vor den Gebäuden brennt.

Der Schweizer OSINT-Experte Benjamin Pittet postete auf X Aufnahmen, auf denen er die betroffenen Orte bunt gekennzeichnet hat, was die israelischen Argumente ebenfalls unterstützt. Zu sehen sind die beiden Gebäude mit Solarpanels (gelb und rot) und der Parkplatz vor der Klinik:

"Open Source Intelligence" (OSINT)

bezeichnet das Auswerten öffentlicher Quellen und die Veröffentlichung der Funde und Recherchewege. Zu den wichtigsten OSINT-Methoden gehören die zeitliche und örtliche Einordnung von Fotos und Videos (Geolokalisierung, Chronologisierung). Mit ihren Analysen decken OSINT-Experten unbekannte Vorgänge auf und entlarven Fake News.

Auf Fotos vom Tag nach dem Raketeneinschlag ist deutlich zu sehen, dass der Parkplatz der von der Hamas geführten Gesundheitseinrichtung und die sich darauf befindlichen Autos erheblich zerstört worden sind. Die Gebäude in der Umgebung hingegen weisen weniger Schäden auf. Aufnahmen der russischen Nachrichtenagentur Tass zeigen das vergleichsweise geringe Ausmaß der Zerstörung der Häuser und auch im Inneren einer Klinikkapelle:

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Zudem ist dem israelischen Militär zufolge kein größerer Krater erkennbar, wie es bei einem typischen israelischen Luftangriff hätte der Fall sein müssen. Diese Darstellung stimmt mit den Fotos und Videos überein, die nach dem Einschlag öffentlich wurden. Nirgendwo ist ein derartiger Krater zu erkennen.

Aufmerksamkeit erregt lediglich ein Foto eines kleineren, dunkleren Lochs auf dem Parkplatz. Es ist jedoch nicht bekannt, ob dieses aufgrund der Explosion entstanden ist. Experte Oliver Alexander schrieb dazu: "Es scheint der einzige Krater zu sein, der in den derzeit veröffentlichten Aufnahmen der Krankenhausexplosion zu sehen ist."

Loading...
Loading...

Das israelische Militär veröffentlichte am Mittwoch außerdem einen brisanten Audiomitschnitt von zwei mutmaßlichen Hamas-Terroristen, die darüber sprechen, dass es sich um eine fehlgeleitete Rakete des Islamischen Dschihad handeln soll. "Es [die Rakete, Anm. d. Red] ist von uns?", fragt ein Mann. Der andere antwortet: "Es sieht so aus." Mehr Details zu dem Telefonat lesen Sie hier.

USA unterstützen israelische These

Rückhalt erhält Israel unter anderem von den USA. Die US-Regierung gibt dem Land nach derzeitigem Kenntnisstand nicht die Schuld für die verheerende Explosion bei der Klinik im Gazastreifen. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrat der US-Regierung teilte am Mittwoch beim Kurznachrichtendienst X mit: "Wir sammeln weiterhin Informationen, doch nach unserer derzeitigen Einschätzung, die auf der Analyse von Luftbildern, abgefangenen und offen verfügbaren Daten beruht, ist Israel nicht für die gestrige Explosion im Krankenhaus in Gaza verantwortlich."

Zuvor hatte sich US-Präsident Joe Biden bei seinem Besuch in Tel Aviv ähnlich geäußert. Zunächst hatte er davon gesprochen, dass für den Raketeneinschlag offenbar "ein anderes Team" verantwortlich gewesen sei. Später konkretisierte er, dass die ihm vorliegenden Informationen darauf hindeuteten, dass die Explosion Ergebnis eines irrtümlichen Raketenbeschusses durch eine Terrorgruppe in Gaza gewesen sei.

Video | Aufnahmen wecken Zweifel nach Explosion in Gaza-Klinik
Player wird geladen
Quelle: t-online

Schwere Proteste in Berlin

Der bisherige Erkenntnisstand spricht demnach dafür, dass es nicht Israel war, das absichtlich eine Rakete auf das Krankenhaus geschossen hat, sondern die Terroristen des Islamischen Dschihad. Ob der Vorfall jemals gänzlich aufgeklärt wird, ist fraglich. Doch er zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, vorsichtig mit Informationen zu Kriegshandlungen umzugehen. Hier lesen Sie, wie Sie Fake News und Propaganda im Netz erkennen können.

Die höchstwahrscheinlich falschen Informationen, die die Hamas zum Raketeneinschlag am Krankenhaus veröffentlicht, sind allerdings bereits um die Welt gegangen – und haben teils schwere Proteste in Nahost ausgelöst (mehr dazu lesen Sie hier). Auch in der deutschen Hauptstadt Berlin gingen Menschen im Zuge von pro-palästinensischen Demos auf die Straßen und randalierten.

Verwendete Quellen
  • sueddeutsche.de: "Tödlicher Feuerball" (kostenpflichtig)
  • tagesschau.de: "Was für die Version der israelischen Armee spricht"
  • twitter.com: Beiträge von @yousuf_tw, @OAlexanderDK, @COUPSURE, @Osinttechnical
  • heise.de: "OSINT-Experten: Mit Akribie gegen Kriegsverbrechen und Propaganda"
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website