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Haushaltseklat der EU: Angela Merkel soll Problem mit Ungarn und Polen richten


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Haushaltskrise in der EU
Eklat durch Polen und Ungarn: Merkel soll es richten – aber wie?


Aktualisiert am 19.11.2020Lesedauer: 6 Min.
Angela Merkel: Da Deutschland aktuell die Ratspräsidentschaft inne hält, muss die Bundeskanzlerin nun versuchen, doch noch eine Lösung zu finden.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel: Da Deutschland aktuell die Ratspräsidentschaft innehat, muss die Bundeskanzlerin nun versuchen, doch noch eine Lösung zu finden. (Quelle: Fabrizio Bensch/reuters)

Der EU droht inmitten der Corona-Pandemie das Geld auszugehen: Ungarn und Polen blockieren per Veto den neuen EU-Haushalt. Am Abend ist Krisensitzung. Wie kann es weitergehen?

Was zunächst nach abstraktem Geschehen in Brüssel klingt, könnte zu einem Riesenproblem werden: Ungarn und Polen blockieren den EU-Haushalt. Platzt der Deal, steht die Europäische Union ohne Budget und ohne Corona-Hilfen da – inmitten der Pandemie. Plötzlich wird über Maßnahmen diskutiert, die in EU-Kreisen als "Atombombe" bezeichnet werden.

"Jetzt ist nicht die richtige Zeit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Wiederaufbau zu blockieren", stellt Sven Giegold, Mitglied des Europäischen Parlaments und Sprecher der deutschen Grünen, gegenüber t-online fest. Klar ist: Die EU steckt in der Krise. Ausweg ungewiss. Wie konnte es so weit kommen – und wie geht es weiter?

Der EU-Haushalt und die Corona-Hilfen

Der geplante EU-Haushalt setzt sich zusammen aus dem sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen und den Corona-Aufbauhilfen. Der mehrjährige Finanzrahmen ist das reguläre Budget der Union und umfasst alle Ausgaben: von der Verwaltung über Landwirtschaftshilfen bis hin zur Raumfahrt. Er wird für mehrere Jahre festgelegt, in diesem Fall von 2021 bis 2027. Es geht um über eine Billion Euro.

Dazu kommen in diesem Jahr die Corona-Aufbauhilfen in Höhe von 750 Milliarden Euro. Davon sollen 390 Milliarden Euro als Zuschüsse, also ohne die Pflicht zur Rückzahlung, ab Mitte 2021 ausgezahlt werden. Bis dahin sollen die nötigen Genehmigungsverfahren beendet sein. Zehn Prozent, also 39 Milliarden Euro, sollten jedoch schon mit dem ersten Januar als Sofortmaßnahme gezahlt werden. Das ist nun nicht mehr sicher.

Es geht nicht um den Haushalt

Das Problem: Seit dem Vertrag von Lissabon ist der EU-Haushalt ein verbindlicher Rechtsakt mit besonderem Gesetzgebungsverfahren. Damit muss der Haushalt im Rat mit Einstimmigkeit beschlossen werden. Dies nutzen Polen und Ungarn jetzt mit ihren Vetos aus. Es geht ihnen jedoch nicht um den Haushalt – sondern den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus.


Dieser soll zusätzlich zum Haushalt beschlossen werden, ist aber mit ihm verknüpft. Der Entwurf besagt, dass Mitgliedsstaaten die Gelder gekürzt werden können – immer dann, wenn Verstöße des Staates gegen die Rechtsstaatlichkeit die Haushaltsführung der EU beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen. Eine solche Sanktionierung müsste mit qualifizierter Mehrheit im Rat beschlossen werden, der betroffene Staat könnte also kein Veto einlegen.

Dieser Entwurf muss jetzt vom Rat der Staats- und Regierungschefs noch offiziell mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden. Ungarn und Polen drohen also, überstimmt zu werden und nutzen die Veto-Möglichkeit beim Haushalt als Druckmittel.

Orbán: "Erpressung" durch die EU

Warum Ungarn und Polen? Die Regierungen der beiden Länder fühlen sich durch drohende Sanktionen in ihrer Souveränität eingeschränkt. Der polnische Präsident Andrzej Duda sprach von einem "Diktat", mit welchem man nicht einverstanden sei. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán warf der EU auf Twitter "Erpressung" hinsichtlich seiner ablehnenden Haltung in Sachen Migration vor. In Brüssel würden "nur Länder, die Migranten aufnehmen, als Rechtsstaaten betrachtet", schrieb er.

Die Befürchtung der Länder, bald von einer Kürzung der Gelder betroffen zu sein, ist nicht unbegründet. In diesem Jahr hat die Kommission einen Bericht über die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsländern vorgelegt. Dort werden sowohl Polen als auch Ungarn zahlreiche Verletzungen dieses Prinzips vorgeworfen: In Polen ist beispielsweise der Justizminister gleichzeitig Generalstaatsanwalt, in Ungarn ist die Pressefreiheit nicht garantiert, es gibt Bedenken aufgrund der Korruption im Land. Wegen dieser und weiterer Probleme laufen gegen beide Staaten EU-interne Verfahren.

"Rechtsstaatlichkeit" wird im Bericht der Europäischen Kommission als Prinzip definiert, nach dem jegliche Staatsgewalt Recht und Gesetz einhalten, in Einklang mit Demokratie und den Grundrechten agieren, und durch unabhängige Gerichte kontrollierbar sein muss. Aufgeführt werden zudem die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Verbots von willkürlicher exekutiver Gewalt, des wirksamem Rechtsschutzes, der Gewaltenteilung und der Gleichheit vor dem Gesetz.

Wie geht es nun weiter?

Am Donnerstagabend tagen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten. Eigentlich sollte es um die Zusammenarbeit in der Corona-Pandemie gehen, nun wird es eine Krisensitzung. Polen und Ungarn könnten darauf hoffen, mit ihrem Veto andere Staaten, die dringend auf EU-Gelder angewiesen sind, dazu zu bewegen, gegen den Rechtsstaatsmechanismus zu stimmen und ihn so zu verhindern. Im Gegenzug könnten sie dann den Haushalt freigeben.

Klar ist aber auch: Ganz ohne Rechtsstaatsmechanismus würde der Haushalt später im Europäischen Parlament scheitern, welches ebenfalls zustimmen muss. Außerdem würden Staaten wie die Niederlande dann vermutlich ihrerseits ein Veto einlegen. Es wäre also nichts gewonnen.

Auch Nachverhandeln ist schwierig: Das Europäische Parlament hatte sich von dem Rechtsstaatsmechanismus eigentlich mehr versprochen und nur nach harten Verhandlungen dem aktuellen Kompromiss überhaupt zugestimmt. Noch mehr Abstriche will man nicht machen. Das betonte Sven Giegold gegenüber t-online: "Der Rechtsstaatmechanismus wurde schon massiv eingedampft auf Druck von Ungarn und Polen. Das, was jetzt noch davon übrig ist, darf nicht weiter verwässert werden, um nicht völlig unglaubwürdig zu werden."

Merkel ist am Zug

Bleibt der Europäische Rat: Die Präsidentschaft hier hat noch bis Ende des Jahres Deutschland inne. Es liegt also an Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine Lösung zu finden. "Die deutsche Ratspräsidentschaft hat nun eine große Aufgabe vor sich. Nämlich für eine Einigung zu sorgen und dabei auch klar zu machen, dass man sich nicht erpressen lässt“, meint Sven Giegold von den Grünen. Mit einer Einigung der Staats- und Regierungschefs in der heutigen Runde wird aber nach Angaben eines Regierungssprechers nicht gerechnet.

Was passiert, wenn es keine Lösung gibt?

Ohne eine Einigung geht der EU das Geld aus. Die Zeit drängt, Länder wie Spanien, Italien oder Frankreich, die bisher am stärksten von der Pandemie betroffen sind, bräuchten das Geld aus den ersten Corona-Hilfen dringend. Diese würden dann im Januar jedoch nicht fließen.

Auch die regulären Finanzen der EU würden stillstehen: Als Nothaushalt vorgesehen ist monatlich ein Zwölftel des Haushalts des Vorjahres. Dies betrifft allerdings ausschließlich mehrjährige Hilfen bei der Landwirtschaft sowie die Verwaltungskosten. Zum Beispiel die für viele Länder so wichtigen Regionalhilfen würden vorerst wegfallen.

Ungarn und Polen profitieren am meisten von EU-Geldern

Damit würden Ungarn und Polen sich selbst eine ihrer größten Einnahmequellen verbauen: Die beiden Länder sind die zwei EU-Staaten, die aus ihrer Mitgliedschaft den größten finanziellen Gewinn machen. Daher wäre es eine Möglichkeit, den Rechtsstaatsmechanismus mit der aktuellen Mehrheit im Rat zu beschließen, auch ohne die Zustimmung von Polen und Ungarn.

Ob sie dann noch bei ihrem Veto gegen den Rechtstaatsmechanismus bleiben würden? Fraglich. "Jemand, der Empfänger von Transfers ist, ist als Blockadeakteur nicht besonders glaubwürdig", findet auch Sven Giegold.

EU-Haushalt ohne Polen und Ungarn?

Ebenfalls möglich wäre es, die Corona-Hilfen vom mehrjährigen Finanzrahmen zu lösen. Damit könnten wenigstens diese ausgezahlt werden. Sowohl rechtlich als auch politisch wäre dies jedoch kompliziert und wohl kaum rechtzeitig für eine Auszahlung im Januar umsetzbar.

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Grünen-Politiker Giegold nennt noch eine weitere Möglichkeit: "Man muss Polen und Ungarn klar signalisieren, dass ein solches Veto nicht akzeptabel ist. Denn es gibt notfalls auch die Möglichkeit zu Beschlüssen nur mit den Mitgliedstaaten, die das wollen. Das wäre natürlich äußerst bedauerlich, aber theoretisch kann sich auch eine Gruppe von Mitgliedsstaaten mit der Europäischen Kommission und dem Parlament auf eine begrenztere Gruppe von Ländern einigen, die von Geldern profitieren.“

Kommt die "Atombombe"?

Auch eine Option, die in EU-Kreisen als "Atombombe" betitelt wird, steht im Raum. Artikel 7 des Vertrags von Lissabon sieht die Möglichkeit vor, EU-Mitgliedern die Stimmrechte zu entziehen, wenn ein Staat schwerwiegend gegen die Werte der Union verstößt. Solche Verfahren laufen bereits gegen Ungarn und Polen – wurden aber bisher nicht weiter vorangetrieben, weil etliche der anderen Mitgliedstaaten keine Zerreißprobe für die EU auslösen wollten.

Zudem fordert das Verfahren mit einem Beschluss wieder Einstimmigkeit im Rat. Juristen argumentieren zwar, dass das Mitgliedsland, gegen das das Verfahren läuft, nicht mit abstimmen dürfte. Sollte es so weit kommen, könnten sich Ungarn und Polen mit Vetos jedoch gegenseitig schützen.

"Die Wertekrise ist längst da"

Eine Lösung scheint somit in weiter Ferne. Doch selbst wenn wider Erwarten eine Einigung beim Ratsgipfel erzielt wird: Abgewendet ist die Krise damit nicht. Zum einen müssen nach dem Beschluss im Europäischen Rat in fast allen Mitgliedsstaaten noch die Parlamente zustimmen. Hier könnte es also erneut zu Problemen kommen.

Zudem hat die Union schon lange unwiderrufbar Schaden genommen, sagt Sven Giegold: "Die Wertekrise ist längst da. Wir haben Staaten, die offen mit Grundrechten und Grundwerten der EU brechen und da auch kein Hehl draus machen." Auch wenn Polen und Ungarn ihre Vetos zurücknehmen sollten, wird sich daran nichts ändern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefonat mit Sven Giegold
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