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EU einigt sich bei Asylpolitik: Verhandlungskrimi um Merkels Zukunft


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EU einigt sich bei Asylpolitik
Verhandlungskrimi um Merkels Zukunft: So lief die Gipfel-Nacht

Peter Riesbeck

Aktualisiert am 29.06.2018Lesedauer: 5 Min.
Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel: Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf einen Kompromiss verständigt. Reicht das?Vergrößern des Bildes
Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel: Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf einen Kompromiss verständigt. Reicht das? (Quelle: Olivier Matthys/ap-bilder)

Italien sperrt sich lange, doch am Ende gibt es

Aus Brüssel berichtet Peter Riesbeck

Es ist schon weit nach Mitternacht in Brüssel, als sich im Ratsgebäude wieder eine Gipfeltraube bildet. In der Mitte steht dann meist ein Diplomat eines Mitgliedslandes und berichtet den Journalisten aus den Beratungen der Staats- und Regierungschefs. Dieses Mal deutet sich eine mögliche Lösung im Asylstreit an. Nicht zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer, sondern zwischen den EU-Staaten und Italien.

Der neue italienische Regierungschef Giuseppe Conte will neue Regelungen für Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer gerettet werden. Die Schiffe mit den Bootsflüchtlingen sollen nicht mehr nur allein in Italien anlanden, sondern auch in anderen Staaten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schlägt geschlossene Auffangzentren auf freiwilliger Basis auch in anderen EU-Staaten vor. Aber lange ist nichts entschieden. Noch blockiert Italien sämtliche Beschlüsse des Gipfels, auch zur gemeinsamen Verteidigungspolitik, dem Zollstreit mit den USA und zur Reform der Eurozone. Italien verhindert ein Gipfelergebnis – auch für Angela Merkel und ihren Streit mit Seehofers CSU.

Dann, gegen 4.30 Uhr am Freitagmorgen, verkündet Ratspräsident Donald Tusk eine Einigung.

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Was hat die Nacht gebracht? Die drei wichtigsten Beobachtungen:

1. Angela Merkel: Die Suche nach eigenen Lösungen

Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich am Morgen nur knapp zum Ergebnis des Gipfels. Die Einigung sei eine "gute Botschaft", auch wenn es noch eine Menge Arbeit gebe. Der Kompromiss hat es in sich:

  • Es soll geprüft werden, ob in den Transitländern in Afrika sogenannte Anlandezentren für Flüchtlinge entstehen. In Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR sollen dort Asylanträge geprüft werden. Welche Länder kooperieren könnten, blieb unklar.
  • Es sollen Aufnahmelager innerhalb der EU entstehen, in denen gerettete Bootsflüchltinge aufgenommen werden. Mitgliedstaaten sollen sie freiwillig einrichten. Wer dazu bereit ist, blieb offen. Schutzbedürftige sollen aus diesen Lagern dann ebenfalls freiwillig von Ländern übernommen werden.
  • Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll schon bis 2020 massiv aufgestockt werden.
  • Der Türkei wird die zweite Tranche von drei Milliarden Euro für den Flüchtlingsdeal mit dem Land ausgezahlt.
  • Die sogenannte Sekundärmigration, also das Weiterziehen von Flüchtlingen innerhalb der EU, soll stärker geordnet und gesteuert werden. Das war ein Hauptstreitpunkt Merkels mit der CSU. Doch die Abschlusserklärung bleibt da sehr allgemein: "Mitgliedstaaten sollten alle nötigen internen gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen ergreifen, um solchen Bewegungen entgegenzuwirken, und dabei eng zusammenarbeiten."

Die ganze Nacht hatte der Gipfel verhandelt. Italien stellte sich quer. Auch Merkels eigenes Ziel geriet in Gefahr, mit anderen EU-Staaten über die Rückführung von Flüchtlingen zu verhandeln. Denn eigentlich gilt in der EU die Dublin-Regel und die besagt: Der Asylantrag ist in dem Land zu stellen, in dem ein Flüchtling die EU betritt.

Das klingt gut, nur befolgt niemand die Regel. Weshalb Innenminister Seehofer gedroht hatte, notfalls die Grenzen zu schließen.

Und Merkel? Handelt in Brüssel bilaterale, also zwischenstaatliche Verträge aus. Frankreich sagt seine Bereitschaft zur gemeinsamen Rückführung zu, ebenso Spanien und Griechenland, ja selbst die in der Flüchtlingspolitik so renitenten Ungarn. Das dürfte für Merkel im Streit mit Seehofers CSU wichtig sein.

Die Kanzlerin hatte auf dem Gipfel eine Kehrtwende vollzogen und sogenannten Ausschiffungszentren in Afrika zugestimmt, die nun geprüft werden. Und Merkel erntete Kritik. Ska Keller, Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, sagte t-online.de: "Es ist das eine, morgens im Bundestag die europäischen Werte zu beschwören und abends auf dem EU-Gipfel diese Werte zu opfern."

Für Merkel zählt nach dieser Gipfelnacht allein: Wird sich die CSU in den Beratungen am kommenden Sonntag damit zufrieden geben.

2. Giuseppe Conte: Noch eine Verwerfungslinie in der Flüchtlingspolitik

Italiens neue Regierung der fremdenfeindlichen Lega setzt auf Abschreckung. "Es kommt nicht infrage, dass wir nur wegen Merkel über Sekundärmigration sprechen", sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte und drohte, die Gipfelbeschlüsse komplett zu blockieren.

Conte wünscht, dass im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nicht mehr ausschließlich nach Italien gebracht werden. Um kurz vor Mitternacht wird die Sitzung der Staats- und Regierungschefs unterbrochen, in kleinen Runden wird auf dem Flur verhandelt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vermittelt.

Schließlich steht ein Vorschlag zur Debatte, der von elf Staaten unterstützt wird: EU-Staaten sollen freiwillig auf ihrem Gebiet Auffanglager für die Schiffsflüchtlinge einrichten, diese Auffanglager könnten gegebenenfalls auch außerhalb der EU liegen.

Schon vor dem Gipfel hatte Ratspräsident Donald Tusk solche Ausschiffungszentren in Nordafrika angeregt. Die Debatte geht bis tief in den Morgen. Und man einigt sich schließlich.

Fest aber steht: Die Verwerfungslinie in der Flüchtlingspolitik verläuft nicht mehr nur zwischen Ost und West, auch im Süden macht Italiens neue Regierung mit den Populisten von der fremdenfeindlichen Lega gegen Europas Asylpolitik mobil.

3. Sebastian Kurz: Die Politik der Nadelstiche

Unten in der Pressebar flimmerte noch das WM-Spiel Belgien gegen England über die Bildschirme, oben auf Ebene 20 des Ratsgebäudes hatte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz zur Zwischenbilanz geladen. Und die hatte es in sich. Er gehe "davon aus, dass es bilaterale Abkommen gibt", sagte Kurz mit Blick auf die Bemühungen von Kanzlerin Angela Merkel, zwischenstaatliche Verträge mit anderen EU-Ländern über die Rückführung von Flüchtlingen zu schließen. Das ist ein unfeiner Zug, wenn der Regierungschef Österreichs verkündet, woran andere Länder so arbeiten.

Mit Österreich hatte Merkel gesprochen, ebenso mit Italien und Ungarn. Merkel braucht diese Abkommen, andernfalls will Seehofer die Grenzen schließen. Und auch da legte Kurz gleich nach: "Wenn Deutschland solche Maßnahmen trifft, wird auch Österreich handeln", sagte Kurz. Im Klartext: Österreich schiebt dann auch Flüchtlinge zurück nach Italien.

Charmant parlierte Kurz und watschte in diesem schönen Wiener Ton auch gleich noch Angela Merkel ab. "Dublin gilt", sagte Kurz mit Blick auf den EU-Asylgrundsatz, wonach ein Flüchtling in dem EU-Staat seinen Asylantrag einzureichen hat, indem er in die EU einreist. Und er legte nach: "Auch wenn manche das 2015 anders gesehen haben."

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Mit "manche" ist Merkel und ihre Politik der Willkommenskultur zu verstehen. Doch Kurz mochte es nicht bei dieser einen Stichelei belassen. Er registrierte bei Merkel "eine andere Haltung als 2015", sagte er.

Kurz fühlt sich bestätigt. Er sei heftig für seine rigiden Positionen in der Flüchtlingspolitik angegangen worden, sagte er und stellte mit Genugtuung fest, dass seine Meinung "nun mehr als nur mehrheitsfähig ist".

Kurzum: Die Kanzlerin irrte mit ihrer Politik, so fasst es Kurz mal eben öffentlich zusammen. Das wird die CSU freudig vernehmen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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