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Europas Asyldebatte: Wie Abschottungspolitik in der Praxis aussieht


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Europas Asyldebatte
Wie Abschottungspolitik in der Praxis aussieht


28.06.2018Lesedauer: 6 Min.
Flüchtlinge auf der Insel Manus: Ohne Strom, ohne Trinkwasser, ohne medizinische Versorgung.Vergrößern des Bildes
Flüchtlinge auf der Insel Manus: Ohne Strom, ohne Trinkwasser, ohne medizinische Versorgung. (Quelle: Hass Hassaballa/ap)
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In Europa wird der Ruf nach Abschottung lauter. Diskutiert werden Auffanglager für Flüchtlinge weit entfernt von der EU. Israel, Australien und Libyen haben solche Lager bereits eingerichtet.

Die Zeichen stehen auf Abschottung. Seit dem EU-Sondertreffen am Sonntag in Brüssel wird klarer, dass Europa künftig eine härtere Gangart in der Asylfrage einschlagen wird. Nicht nur soll der Schutz der EU-Außengrenzen verstärkt werden. Auch die Einrichtung von Sammellagern für Migranten wird diskutiert.

Wie und wo solche Auffangzentren eingerichtet werden könnten, ist strittig. Völlig unklar bleibt der rechtliche Rahmen. Mögliche Konsequenzen einer Politik der Abschottung in der Praxis zeigen aber Beispiele aus Israel, Australien und aus Libyen.

Kaum ein Afrikaner erhält Asyl in Israel

Israel fährt seit Jahren einen rigorosen Kurs gegen Flüchtlinge aus Afrika. Die meisten stammen aus Eritrea oder dem Sudan und haben in ihrer Heimat Unterdrückung und Gewalt erfahren. Dennoch gewährt Israel praktisch niemandem von ihnen Asyl. Seit 2009 erhielten nicht mehr als zehn Eritreer ein Bleiberecht, nur einer aus dem Sudan.

Inzwischen kommen auch so gut wie keine afrikanischen Flüchtlinge mehr an im jüdischen Staat. 2013 wurde eine massive Sperranlage an der 240 Kilometer langen Grenze zu Ägypten vollendet: sechs Meter hoch, aus Metall, Betonpfeilern und Stacheldraht.

Die aktuell noch rund 40.000 afrikanischen Flüchtlinge im Land will die Regierung so schnell wie möglich loswerden. Sie erließ Gesetze, die die Migranten ihrer Rechte entledigten und das Wegsperren vereinfachten. Und sie ließ 2013 "Holot" errichten: Ein Sammellager mitten in der Negev-Wüste, in dem die Flüchtlinge bis zu zwölf Monate festgehalten werden können, zusammen mit anderen Insassen in Zehn-Bett-Zimmern.

Flankiert wird die schikanöse Politik von einem Rückführprogramm. Israel hat dafür Abkommen mit den afrikanischen Staaten Uganda und Ruanda geschlossen. Offiziell bestätigt wurde das nie, ebenso sind die Konditionen der Abkommen bis heute geheim. Das Magazin "Vice" berichtete, Israel habe Uganda im Gegenzug für die Aufnahme der Flüchtlinge Waffen und militärisches Training versprochen.

Den Migranten werden 3.500 Dollar angeboten sowie das Versprechen von Sicherheit und Arbeitsmarktintegration, damit sie freiwillig auf ihren Heimatkontinent zurückkehren. Gerne würde die Regierung in Zukunft auf diese Anreize verzichten. Jedoch wies das Oberste Gericht im März ein Gesetz, das Abschiebungen auch ohne Zustimmung zulassen würde, zunächst ab.

Für jene, die das Angebot des Staates bereits angenommen haben, endete der Rückflug nach Afrika oft mit einer Enttäuschung. Mehrfach berichteten abgeschobene Flüchtlinge, dass sie Tage nach der Ankunft in Ruanda nach Uganda gebracht wurden, wo man ihnen die Reisepapiere abnahm. Illegal im Land waren sie von da an sich selbst überlassen.

In einer israelischen Studie berichteten abgeschobene Flüchtlinge, wie sie sich aufgrund der Perspektivlosigkeit erneut auf die Flucht nach Norden machten – diesmal in Richtung Europa.

Australien schob die Flüchtlinge in Horror-Lager ab

Ähnlich rigoros ist der Kurs, den Australien seit 2013 gegen Flüchtlinge fährt: Asylanträge können nur noch aus Drittländern gestellt werden. Boote mit Asylsuchenden werden abgefangen und in ihre Ausgangshäfen zurückgeschickt. Wenn die Boote seeuntüchtig sind, werden die Menschen in von Australien finanzierte Lager in Nachbarländern gebracht. Dort sollen ihre Asylanträge geprüft werden.

Die Australier wollen Menschenschmugglern damit das Handwerk legen. Zugleich aber dienen die Maßnahmen der Abschreckung. Die Regierung verfügte, dass kein Bootsflüchtling – selbst ein schutzbedürftiger – sich je in Australien niederlassen darf. Bei einem Asylanspruch sollen Drittländer zur Aufnahme gefunden werden.

Die Regierung ließ mehrere Lager errichten: Auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Manus sowie auf Nauru im südlichen Pazifik. Nach Angaben der Flüchtlingshilfsorganisation "Refugee Action Coalition" lebten zuletzt 939 Menschen auf Nauru, darunter 140 Kinder, weitere 700 Männer befanden sich auf Manus. Viele der meist aus dem Iran, Afghanistan, Sri Lanka, Pakistan und Bangladesch stammenden Menschen harren dort seit Jahren ohne Perspektive aus. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hat diese Praxis als "grausam, inhuman und menschenunwürdig" bezeichnet, Menschenrechtsgruppen sprechen von "systemischer Folter".

Im Dezember 2014 randalierten die Insassen in Manus. Örtliche Sicherheitskräfte gingen gewaltsam dazwischen. Ein iranischer Flüchtling wurde getötet, 70 weitere Menschen verletzt. Andere Insassen kamen ums Leben, weil man ihnen medizinische Hilfe verwehrte oder sie sich das Leben nahmen. Als die Vorwürfe immer lauter wurden, erklärte ein australisches Gericht die Lager auf Manus für illegal. Im Oktober 2017 wurden sie geschlossen.

Trotzdem blieben hundert Männer auf Manus zurück. Sie weigerten sich die Camps zu verlassen, weil sie außerhalb Gewaltakte und Misshandlungen der lokalen Bevölkerung fürchteten. Ohne Strom, ohne Trinkwasser, ohne medizinische Versorgung und ohne zu wissen, wie es für sie weiter geht, hausen die Männer seither in den verlassenen Camps. Die USA haben zugesagt, insgesamt 1.200 Flüchtlinge aus Manus und Nauru aufzunehmen. Was mit den übrigen Menschen passieren soll, ist unklar.

"Libyen ist nicht in der Lage, Migranten zurückzunehmen"

Ideen, die Asylsuchenden schon auf den Transitrouten abzufangen und zu überprüfen, gibt es auch in Europa schon seit Jahren. Der italienische Ministerpräsident brachte die sogenannten Schutzzonen erst am vergangenen Wochenende beim Sondertreffen zur Asylkrise in Brüssel wieder auf den Plan. Länger schon war im Gespräch, den EU-Türkei-Deal auf Afrika zu übertragen. Die Idee hinter dem Plan ist, Asylsuchende aufzugreifen und ihre Anträge einer groben Prüfung zu unterziehen, noch bevor sie europäischen Boden betreten. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge sollten so ausgesiebt, Schutzbedürftige mit Asylchancen dann direkt übernommen werden.

Bei der Frage nach dem Standort solcher Schutzzonen ist immer wieder von Libyen die Rede. Erst Anfang der Woche schlug EU-Haushaltskommissar Günter Oettinger das Land als Partner in der Frage vor. Milliarden könnten in die Unterbringung von Menschen in "abgeschlossenen Dörfern" mit guten Bedingungen investiert werden, sagte er.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Libyen als Hölle für Flüchtlinge bezeichnet hat, das Auswärtige Amt von "KZ-ähnlichen Verhältnissen" in privaten Migrantenlagern sprach. Verdeckt arbeitende Reporter des US-Nachrichtensenders CNN fanden Beweise für moderne Sklaverei. Sie filmten Menschenhändler, die Migranten auf Sklavenmärkten wie Vieh verscherbelten.

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In Libyen Schutzzonen für Flüchtlinge einzurichten sei "absolut keine gute Idee", sagte die Menschenrechtsexpertin Joana Daniel-Wrabetz der Zeitung "Standard" aus Wien. Das Land sei "nicht in der Lage, Migranten zurückzunehmen". Die Sicherheitslage sei katastrophal. Tatsächlich herrscht sieben Jahre nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi noch immer Chaos im Land. Zwei Regierungen und unzählige Milizen kämpfen um die Macht. Die international anerkannte Regierung von Premier Fajes al-Sarradsch hat kaum Kontrolle über die Hauptstadt Tripolis hinaus.

Zugleich ist Libyen das wichtigste Transitland für Migranten aus Afrika auf dem Weg nach Europa. Um den Andrang der Asylsuchenden in seinen Häfen einzudämmen, schloss Italien im Sommer 2017 einen Deal mit al-Sarradsch. Beide Länder arbeiten nun eng beim Küstenschutz zusammen, Tripolis erhält dafür Geld- und Sachleistungen.

Tatsächlich sind die Ankunftszahlen in Italien seither deutlich gesunken. Menschenrechtsorganisationen aber beklagen die Situation der abgefangenen Flüchtlinge in Libyen. Viele landen in Lagern, in denen schlimmste Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Die Präsidentin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, Joanne Liu, sprach nach einem Besuch in den Camps im September 2017 von der "schlimmsten Verkörperung menschlicher Grausamkeit, die ich jemals gesehen habe". Sie habe Opfer von Folter, Vergewaltigung und Misshandlung gesehen.

Die meisten Lager unterstehen formal der anerkannten Regierung. Oft aber agierten die Lagerkommandanten mit freier Hand, weil niemand sie kontrolliere, schreibt die "Zeit". Daneben betreiben die Schlepperbanden "Privatgefängnisse", die das Auswärtige Amt als "KZ-ähnlich" beschrieb. In einem Bericht der deutschen Botschaft in Niger an das Kanzleramt und mehrere Ministerien, der t-online.de vorliegt, heißt es: "Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung." Laut Augenzeugen würden wöchentlich exakt fünf Insassen mit Ankündigung erschossen, "um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen, das heißt, den menschlichen 'Durchsatz' und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen".

Ärzte ohne Grenzen gab der EU eine Mitschuld an den Zuständen. Die europäische Abschottungspolitik mäste "ein kriminelles System schwerer Misshandlung von Menschen", warnte die Organisation im vergangenen September und fragte: "Sind die europäischen Regierungen tatsächlich bereit, Vergewaltigungen, Folter und Versklavung durch Kriminelle als Preis für sinkende Ankunftszahlen von Flüchtlingen in Europa zu akzeptieren?"

Libyen hat die Idee der Einrichtung von Auffanglagern auf seinem Staatsgebiet am Montag abgelehnt. Man sei "gegen jedwede Flüchtlingslager" in Libyen, sagte Vize-Ministerpräsident Ahmed Meitik in Tripolis. Italien denkt deshalb über Alternativen nach. Solche Zentren könnten genauso gut in den südlichen Nachbarstaaten Libyens errichtet werden, in Niger, Mali, dem Tschad oder Sudan, meinte Italiens Innenminister Matteo Salvini.

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