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EU-Gipfel zum Asylstreit: Plötzlich ist Angela Merkel abhängig von Europa


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Neue Rolle auf EU-Gipfel
Plötzlich ist Merkel abhängig von Europa

Von Peter Riesbeck, Brüssel

Aktualisiert am 28.06.2018Lesedauer: 4 Min.
Kanzlerin Angela Merkel am Tag des EU-Gipfels im Bundestag: Sie braucht diesmal Ergebnisse.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Angela Merkel am Tag des EU-Gipfels im Bundestag: Sie braucht diesmal Ergebnisse. (Quelle: Michael Kappeler/dpa-bilder)
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Merkel bestimmt seit Jahren, was auf EU-Gipfeln passiert. Doch diesmal ist sie in einer neuen Rolle in Brüssel. Sie ist im Asylstreit auf andere angewiesen.

Aus Brüssel berichtet Peter Riesbeck

Der Fußball kann der Politik dieses Mal nicht helfen. Deutschland ist raus bei der WM, sogar schon in der Vorrunde. Manchmal passiert eben Unvorstellbares. Nicht nur im Fußball.

Für Angela Merkel geht es um viel, wenn sie heute zum EU-Gipfel nach Brüssel reist. Die Kanzlerin braucht eine europäische Einigung in der Flüchtlingspolitik. So hat sie es angekündigt. In einer Regierungserklärung am Morgen forderte Merkel deshalb für ihre Verhältnisse lautstark eine gemeinsame Kraftanstrengung. Den Gipfel erhob sie zum Schicksalstreffen.

Sie muss klare Ergebnisse liefern, vor allem in der Grenzfrage. So will es die CSU. Sonst droht sie mit Alleingängen, mit unabsehbaren Konsequenzen – für die Union. Und für die Kanzlerin. Über Jahre hinweg hat Merkel auf den EU-Gipfeln die Politik bestimmt. Es ist wahrlich nicht ihr erster wichtiger Gipfel. Doch nun ist sie selbst plötzlich abhängig von Europa.

Was erwartet Merkel heute in Brüssel? Und was kann man aus früheren Schicksalsgipfeln in Brüssel lernen? Ein Überblick:

2018: Das Asyltreffen und die ungewohnt neue Rolle der Kanzlerin

Jahrelang war es Angela Merkel, die das Schicksal in Europa entscheidend bestimmte, nun bestimmt Europa über Merkels Schicksal mit. Die Kanzlerin sucht nach entscheidenden Reformen im EU-Asylrecht. Sonst droht Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer mit einseitigen Grenzschließungen.

Darum geht es beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs:

  • Merkel strebt bilaterale Abkommen zur Rückführung von Asylbewerbern an. Laut geltender Asyl-Bestimmungen in der EU, den sogenannten Dublin-Regeln, muss der Asylantrag in dem Staat gestellt werden, in dem ein Flüchtling in die EU einreist.
  • Die Grenzstaaten Italien, Griechenland, Bulgarien sehen ein Rückführungsabkommen zurückhaltend.
  • Über diese Quote zur Verteilung streitet Europa seit Jahren. Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei lehnen sie ab.
  • Die EU-Ratspräsident Donald Tusk schlägt vor, Asylzentren außerhalb der EU zu errichten. Nur derjenige, dessen Asylantrag dort gebilligt wird, würde weiter in die EU reisen können.

Die Probleme:

  • Auch für diese Flüchtlinge braucht es einen Verteilungsschlüssel. Darauf können sich die EU-Länder aber schon seit September 2015 nicht verständigen.
  • Bisher sind keine Staaten bekannt, die ein solches Auffanglager auf ihrem Gebiet dulden würden, weder in Nordafrika, noch in Europa. So lehnte Albanien ein solches Ansinnen jüngst ab.
  • Auch über eine Reform der Dublin-Regeln im EU-Asylrecht wird seit Jahren verhandelt. Ergebnislos.

Vom Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel sind nur kleine Fortschritte zu erwarten. Unklar ist, ob das reicht für die Kanzlerin in Europa. Und für ihre Auseinandersetzung mit der CSU.

2015: Tusk und Tsipras (sowie der Euro) auf dem Weg zur Ausgangstür

Ebenfalls Sommer, ebenfalls eine entscheidende Frage: Soll Griechenland im Euro bleiben? Das war die entscheidende Frage beim EU-Gipfel 2015. Merkels Finanzminister Wolfgang Schäuble war für Abschied, die Kanzlerin entschied auf Bleiben. Und hatte einen wichtigen Helfer: EU-Ratspräsident Donald Tusk.

In der entscheidenden nächtlichen Runde im Juli 2015 wollte Griechenlands Premier Alexis Tsipras schon den Raum verlassen, das wäre das Ende im Euro gewesen. Ratspräsident Tusk stellte sich ihm kurzerhand in der Tür in den Weg. Tsipras machte kehrt, sein Land blieb im Euro.

Merke: Man braucht Verbündete – nicht nur in Brüssel.

2012: Die doppelte Niederlage gegen Italien

Noch ein Gipfel im Juni, noch ein Schicksalstag. Im Halbfinale der EM kickt 2012 Italiens Stürmer Balotelli die DFB-Elf aus dem Turnier, in Brüssel berieten der EU-Staats- und Regierungschefs zeitgleich über die Euro-Krise.

Der Gipfel dauerte. Lange. Die Sonne blinzelte schon am nächsten Morgen, als Italiens Premier Mario Monti vor die Presse trat und Hilfen für die kriselnden Banken versprach. Die Kanzlerin war in der Nacht ohne Pressestatement ins Hotel abgerauscht. Und sie war überrumpelt von Monti und den Ländern des Südens.

"Morgengrauen" wurde der Gipfel noch jahrelang in Berlin genannt. Merkel hat ihre Lehren gezogen. Sie beendet seither keinen Gipfelabend ohne ein eigenes Pressestatement. Worte sind Deutungshoheiten.

Merke: Die Kanzlerin lernt – auch aus Niederlagen.

2010: Der Anfang der bilateralen Alleingänge in Deauville

Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy war Angela Merkel nie ganz geheuer. Angeblich studierten sie im Kanzleramt Filme des Komikers Louis de Funès, um den hippeligen französischen Präsidenten zu verstehen.

Es brauchte ein wenig, bis das Duo Merkozy geboren war. Der Anfang liegt in der Eurokrise. Merkel und Sarkozy trafen sich im Oktober 2010 im französischen Seebad Deauville und entwickelten beim Strandspaziergang den Rettungsschirm. Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker wusste von nix und empörte sich: "Der Stil ist schlicht unmöglich."

Merke: Fortan gilt nicht nur für die Euro-Krise – notfalls macht’s die Kanzlerin auch im Alleingang.

2007: Die Sache mit der Quadratwurzel in Polen

Angela Merkel kam 2005 ins Kanzleramt. In Europa war wieder mal Krise, die angestrebte EU-Reform war in Frankreich und Holland in Referenden gescheitert. Europa musste sich neu sortieren.

Es kam der Vertrag von Lissabon und die schwierige Frage, wie viel Stimmgewicht jedes Land in der EU erhalten sollte. Vor allem Polens Premier Jaroslaw Kaczyński beharrte auf Einfluss und einer komplexen Formel mit der Quadratwurzel aus der Einwohnerzahl eines Landes. Merkel zeigte sich auf dem Juni-Gipfel 2007 nachsichtig, ebenso wie später bei den schwierigen EU-Etatberatungen.

Merke: Als Novizin gab Merkel die erfolgreiche Vermittlerin.

Merkels Gipfel-Bilanz

Bei CDU-Kanzler Helmut Kohl (1982–1998) war alles noch einfach. Die Walz aus der Pfalz löste europäische Fragen mit Wucht – und mit Geld. So war das, als der Zweite Weltkrieg (und die deutschen Versprechen) noch unausgesprochen die deutsche Europapolitik bestimmten.

Für SPD-Regierungschef Gerhard Schröder (1998–2005) war das anders. Europa zählte hier wie manch anderes zum "Gedöns". "Die verbraten unser Geld", maulte Schröder über die EU. Also galt: Rausholen, was möglich ist.

Merkel sah Europa immer sehr pragmatisch. Und sie machte, was sie gerne tut. Warten, bis der Gegenüber Geduld und Nerven verliert. Dieses Mal ist anders. Merkel braucht eine Lösung. Eine neue Rolle für sie in Brüssel.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • dpa
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