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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte über guten Wein "Das ist rausgeschmissenes Geld"
Wein ist für viele Menschen ein Genuss, nur übertreiben sollte man es nicht, rät Weinkenner Carsten Henn. Doch taugen edle Flaschen auch als Geldanlage? Und wie viel sollte man überhaupt für eine Flasche ausgeben?
Wein ist beliebt, Wein ist begehrt. Doch es ist gar nicht so einfach, sich in der Welt dieses Getränks zurechtzufinden. Was kostet ein guter Wein? Worin unterscheiden sich Tropfen aus dem Discounter und direkt vom Winzer des Vertrauens? Wie sollte man Wein trinken, dass die Gesundheit nicht über Gebühr belastet wird? Und warum sollte man nie sein Geld in Wein als Spekulationsobjekt stecken? Diese Fragen beantwortet Carsten Henn, Weinexperte und Autor des Buches "Gebrauchsanweisung für Wein" im Gespräch.
t-online: Herr Henn, Hand auf Herz: Wie viele Flaschen Wein lagern in Ihrem Keller?
Carsten Henn: Es dürften so um die 3.000 bis 4.000 Stück sein. Ich zähle sie aber nicht regelmäßig.
Haben Sie Ambitionen, die alle noch auszutrinken?
Um Gottes willen, nein. Mit dem Trinken komme ich kaum hinterher, solche Mengen schafft niemand ohne Weiteres. Ich habe Wein lange Zeit oft nur nach Lust und Laune gekauft, ohne darüber nachzudenken, wie groß eigentlich der "Abfluss" bei mir ist. Das hat viel Spaß gemacht, nun ist der Keller sehr gut gefüllt. Vielleicht zu gut.
Und jetzt?
Meine Kinder teilen meine Leidenschaft für Wein nicht, mit dem Vererben wird es daher nichts. Probeflaschen, die mir zugesendet werden, spende ich in der Regel für einen guten Zweck, wenn ich sie nicht verkoste. Von meinen eigenen Flaschen werde ich in Zukunft wohl die eine oder andere Flasche verkaufen.
Zur Person
Carsten Henn, Jahrgang 1973, ist passionierter Weingenießer und Experte für das Getränk. Der Schriftsteller, Journalist und Restaurantkritiker hat zahlreiche kulinarische Kriminalromane veröffentlicht. Sein Bestseller "Der Buchspazierer" wurde in Dutzende Sprachen übersetzt und mit Christoph Maria Herbst fürs Kino verfilmt. Henns aktuelles Buch "Gebrauchsanweisung für Wein" erschien im März 2024 im Piper-Verlag.
Ist Wein eigentlich eine gute Geldanlage?
Manche Leute erwerben Wein als Spekulationsobjekt oder Finanzanlage, das ist generell eine ziemlich schlechte Idee. Ja, es gibt bestimmte Weine, die noch ordentlich im Wert steigen können. Aber das kann schnell im finanziellen Desaster enden, denn eine Wertsteigerung ist keineswegs garantiert. Außerdem handelt es sich in diesen Fällen um sogenannte Big Names, die ohnehin schon sündhaft teuer sind. Wer nur eine Flasche davon kauft, wird sich später ziemlich wundern. Denn es müssen meist Kisten davon sein, sechs Flaschen darin oder mehr, perfekt erhalten und dafür braucht es wiederum den entsprechenden Weinkeller. Also, davon kann ich nur herzlich abraten.
Was war der teuerste Wein, den Sie jemals getrunken haben?
Gute Frage. Ich war einmal beim Weingut Domaine de la Romanée-Conti …
… das als eines der besten Weingüter der Welt gilt.
Genau. Da durfte ich im Keller aus allerlei Fässern probieren, zum Schluss haben sie auch einen alten Weißen aufgemacht. Das war schon beeindruckend, denn an solche Tropfen kommt man eigentlich nie ran. Bei einer anderen Gelegenheit habe ich einmal einen alten deutschen Kometenwein genossen, also einen Wein aus dem Jahrgang 1811, als der Komet Flaugergues erschien und man ihn mit dem bloßen Auge erkennen konnte. Der Jahrgang gilt als absolut herausragend. Da reden wir schnell von ein paar Tausend Euro – wenn man diese Flaschen überhaupt jemals zu Gesicht bekommt. Man muss dafür jemanden kennen, der wiederum jemanden kennt … Sie wissen schon.
Waren das aber auch die besten Weine, die Sie jemals im Glas hatten?
Der beste Wein ist immer der Wein, den ich gerade im Glas habe. Denn er hat die Chance, der Beste zu werden. Aber im Ernst, es gab selbstverständlich verschiedene Weine, die mein Leben geprägt haben. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, in dem ich vor vielen Jahren meine erste Riesling Auslese vom Weingut Dr. Randolf Kauer getrunken habe: Niemals zuvor hatte ich etwas genossen, das so zwischen Restsüße und Säure spielte. Das war ein Kick. Man liest ja immer von Geschmacksexplosionen, die ein Wein auslösen soll, meist wird das aber einfach so behauptet.
Solche Aussagen sollen vor allem den Verkauf ankurbeln.
Sicher doch. Dieser Riesling damals war aber etwas Besonderes, was er am Gaumen ausgelöst hat, war unfassbar. Mein Vater ging glatt in die Knie, weil er so beeindruckt davon war. Das ist etwas, das ich bis heute immer wieder im Wein suche: dieses unglaubliche Spiel, diesen besonderen Moment.
Wann sind Sie dem Wein verfallen?
Das war während des Chemie-Aufbaukurses in der elften Jahrgangsstufe am Gymnasium. Im Unterricht ging es um die alkoholische Gärung, folgerichtig haben wir einen Ausflug an die Ahr gemacht. Dort an der damaligen Staatsweinbaudomäne Marienthal durften wir dann Wein verkosten – keine Ahnung, wie der Lehrer das durchgekriegt hat. Ich nahm vergorenen Traubensaft zu mir, schmeckte aber Erdbeeren, Kirschen, Vanille und zahlreiche andere Aromen. Seitdem bin ich dem Wein verfallen, das war mein Initiationsritus, auch wenn mir das damals noch nicht so klar gewesen ist. Das ist ein wenig wie mit dem ersten Kuss, so etwas vergisst man nicht.
Mit "Gebrauchsanweisung für Wein" haben Sie ein Buch über ihr Lieblingsgetränk geschrieben. Haben Sie ein paar Ratschläge?
Mit dem Wein verhält es sich wie mit einer Reise. Diese dauert allerdings ein ganzes Leben. Es schadet nicht, wenn man sich einen Begleiter dafür sucht. Der muss ja nicht den ganzen Weg dabei sein, aber Teile davon schon. Man kann sich zusammen über Entdeckungen freuen, aber auch über Fehlschläge ärgern. Dann sollte niemand vergessen, dass Alkohol gesundheitsschädlich ist – und das bereits in kleinen Dosen.
In welcher Preisklasse sollte man einsteigen, wenn man dieses gesundheitliche Risiko eingeht?
Wissen Sie, wie hoch der Durchschnittspreis hierzulande für eine verkaufte Weinflasche mit 0,75 Liter Inhalt ist? Das sind 2,84 Euro. Was daran liegt, dass die Discounter in Deutschland den größten Marktanteil haben. In diesem Preisbereich lohnt sich jeder Euro, den Sie zusätzlich investieren. Denn mit jedem Euro mehr haben Sie auch mehr in Geschmack investiert. Aber diese Rechnung geht nur bis zu einem bestimmten Punkt auf. Denn für Weine ab fünfzehn, dreißig, sechzig Euro oder mehr lässt sich diese Aussage nicht mehr so machen.
"Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken", sagt das Sprichwort. Was tun?
Geduld ist ebenso wichtig wie ein guter und vertrauenswürdiger Weinhändler. Wenn ein Laie sein Sparschwein schlachten würde und sich einen wahnsinnig teuren Wein leistet, dann wird am Ende ein wahnsinniges Gefühl der Enttäuschung stehen. Das ist rausgeschmissenes Geld. Denn man muss sich überhaupt erst einmal an die Art und Weise, wie diese Kult-Weine schmecken, wie zunehmend komplexer und feiner sie werden, herantrinken. Um einen guten Wein zu genießen, muss man sich auch keineswegs in Unkosten stürzen. Ein vermeintlich einfacher Wein kann weitaus glücklicher machen als ein hochpreisiger.
Wie unterscheiden sich Wein- und Biertrinker voneinander?
Tatsächlich trinke ich bisweilen gerne ein Bier. Nach einer langen Weinprobe, wenn ich so um die 200 Weine verkostet habe, dann kommt ein Bier gerade richtig. Ein Unterschied zwischen Bier und Wein besteht aber tatsächlich darin, dass ein Biertrinker sich doch ziemlich darauf verlassen kann, dass seine Marke immer gleich schmeckt.
Der Weintrinker erlebt hingegen Überraschungen der positiven und negativen Art?
Das macht einen großen Teil der Faszination aus. Wie prägte das Wetter die Trauben? Was stellte der Winzer mit ihnen an? Wie entwickelte sich der Wein im Keller weiter? Entkorke ich die Flasche jetzt schon oder gebe ich ihr noch ein paar Jahre? Jeder neue Jahrgang eines Weines unterscheidet sich von seinen Vorgängern. Ich persönlich glaube auch, dass es ganz entscheidend ist, mit wem man Wein trinkt. Man kann den tollsten Wein haben, aber wenn die Stimmung schlecht ist, kann man den Wein nicht richtig genießen. Mit Stinkstiefeln sollte man keinen Wein trinken und sich besser die richtigen Leute dafür aussuchen.
Weintrinker sind also Genießer?
Ich denke, ja. Es handelt sich um Menschen, die bereit sind, sich mit ihren Sinnen auf etwas einzulassen, die neugierig sind. Wie schmeckt das, warum schmeckt das so? Dass man auf diese Art genießen kann, ist doch unglaubliches Glück und unglaublicher Wert. Wenn man Wein so trinkt, ist es wie Bücher lesen, es geht um Achtsamkeit. So etwas macht man nicht nebenbei, wenn man dann aber dafür Zeit findet, genießt man es umso mehr. Das soll jetzt nicht hochgegriffen klingen, aber es ist wichtig, den Moment wertzuschätzen, dann lässt sich unendlich viel für die persönliche Einstellung zum Leben gewinnen. Wer guten Wein genießt, genießt auch gutes Essen. Meist handelt es sich bei Weintrinkern um glücklichere Menschen – auf jeden Fall für den Moment des Genusses!
Nun gilt Wein auch als Statussymbol der Wohlbetuchten und derer, die zu diesem Kreis gehören wollen.
Manche wollen auf dicke Hose machen, klar. Die nützen das aus, um sich zu profilieren. Ob das nun wirklich glücklich macht? Was im absoluten Luxussegment des Weines passiert, ist ziemlich enthoben, das ist ein ganz anderer Planet. Da gehören Weingüter Mega-Unternehmen, die auch Marken wie Louis Vuitton oder Tiffany besitzen. Eine andere, ganz eigene Welt für sich eben. Mit den Erzeugungskosten haben die Preise nichts mehr zu tun.
Haben Sie eine Lieblingstraube?
Das darf man nicht laut aussprechen, aber ich liebe Chardonnay. Ja, es werden ziemlich belanglose Weine aus Chardonnay-Trauben gemacht, aber auch ganz großartige. Erst recht, wenn sie von kalkigen Böden stammen. Dieses gängige "ABC", kurz für "Anything But Chardonnay" ("Alles außer Chardonnay") tut der großartigen Traube unrecht.
Sie haben auf die Gefahren des Alkoholkonsums hingewiesen. Macht Ihnen der eigene Konsum manchmal Sorgen?
Die Gefahren sind real, keine Frage, Mäßigung und Verantwortung sind wichtig. Nun fällt Wein aber nicht in die Kategorie "Pennerglück", ist an sich kein Getränk für den hemmungslosen Rausch. Manche Kritik am Genuss von Wein greift deshalb zu kurz. Der Genuss von Wein, allein, in geselliger Runde oder wie auch immer, macht glücklich. Mich zumindest. Ich habe dann eine gute Zeit, und ein schöner Abend hat durchaus positive Effekte auf Körper und Seele. Insofern ist er eben auch gesund.
Was raten Sie, um den Konsum in verträglichen Bahnen zu halten?
Nun, man kann es machen wie die Südeuropäer, die Wein hauptsächlich zu den Mahlzeiten trinken. Außerdem ist es grundsätzlich gut, nicht alleine zu trinken. Das Schöne am Wein ist ja, dass er ein unglaublich geselliges und narratives Getränk ist. Er animiert dazu, über ihn zu sprechen. Generell denke ich, dass ein Glas Wein in angenehmer Gesellschaft weniger schädlich ist als so manches industrielles Lebensmittel, das wir in uns hineinschaufeln.
Womit wir wieder bei den Weinen der Discounter angelangt sind.
Je teurer Weine werden, desto individueller werden sie. Ganz grob gesagt. Der Ansatz der Discounter ist Coca-Cola, alles soll immer gleich schmecken. Es gibt aber ganz andere, faszinierendere Weine, bei denen man die Böden, das Wetter, das Klima und die Handschrift des Winzers erspürt. Wer eine Fruchtbombe will, bekommt die auch für wenig Geld. Das ist völlig legitim. Aber Wein kann so viel mehr sein.
Also ist Wein am Ende doch eine Art Investition, wenn auch vor allem in die eigene Zufriedenheit?
Wein sollte man nur kaufen, wenn man ihn liebt. Dann liegt die Rendite immer bei über 12 Prozent!
Herr Henn, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Carsten Henn via Videokonferenz