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Frauengesundheit: Ungleichheit selbst beim Herzinfarkt


Expertinnen erklären
Frauengesundheit: Ungleichheit selbst beim Herzinfarkt

Von dpa
Aktualisiert am 27.02.2020Lesedauer: 4 Min.
Frauengesundheit: Der Herzinfarkt bei Frauen verläuft etwas anders als bei Männern.Vergrößern des Bildes
Frauengesundheit: Der Herzinfarkt bei Frauen verläuft etwas anders als bei Männern. (Quelle: dragana991)

Männer und Frauen sind gleich – auf dem Papier zumindest. In der Praxis gibt es aber noch immer viel Ungleichheit – nicht zuletzt in der Medizin. So zum Beispiel beim Herzinfarkt.

Eine Gruppe kranker Menschen sind Patienten – so männlich will es die Grammatik. Patientinnen sind da natürlich mitgemeint, heißt es dann. Doch allzu oft zeigt sich in der Gesundheitspraxis, dass Frauen zwar mitgemeint, aber nicht mitgedacht sind – und das hat teils brandgefährliche Folgen.

Die Schieflage zeigt sich auf mehreren Feldern: Viele Krankheiten werden bei Frauen später erkannt als bei Männern, viele Arzneimittel sind eher in ihrer Wirkung auf Männer untersucht.

Oft beginnt das Problem aber schon früher, sagt Ingrid Mühlhauser, Professorin für Gesundheitwissenschaften an der Universität Hamburg und Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit. "Wir haben in den Machtstrukturen des Gesundheitswesens einen Herrenclub", sagt sie. "Und der bestimmt, was geforscht wird."

Das ist die Folge

Viele Krankheiten und Fragestellungen, die vor allem Frauen betreffen, sind kaum oder unzureichend erforscht – Verhütungsmethoden und ihre Nebenwirkungen zum Beispiel. Oder die Endometriose, also Zysten und Entzündungen etwa an den Eierstöcken: Eine Krankheit mit zahlreichen Betroffenen, die oft massive Schmerzen erleiden, die aber trotzdem nur wenig erforscht ist. Entsprechend groß ist die Zahl der Fehl- und Nichtdiagnosen.

Betroffen von der Schieflage sind aber nicht nur frauenspezifische Krankheiten, sondern auch die sogenannten Volkskrankheiten wie Diabetes, aber auch der Herzinfarkt. Hier zeigt sich vielleicht am besten, was in der Medizin schiefläuft, wenn es um Frauen geht.

Beispiel Herzinfarkt: Von wegen Männerkrankheit

Der plötzliche Schmerz in der Brust, der Zusammenbruch: Der Herzinfarkt gilt bei vielen noch immer als reine Männerkrankheit. Dabei stimmt das gar nicht mehr, sagt Christiane Tiefenbacher, Chefärztin für Kardiologie am Marienhospital in Wesel und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung. "Das Bild vom Herzinfarkt als Männerkrankheit war früher vielleicht korrekt, aber Frauen holen definitiv auf."

Allerdings verläuft der Herzinfarkt bei Frauen etwas anders als bei Männern. So sind die Symptome häufiger untypisch, wie Mediziner sagen: "Bauch- und Rückenschmerzen zum Beispiel statt des klassischen Engegefühls in der Brust", wie Tiefenbacher erklärt. Dadurch erkennen selbst Profis einen Herzinfarkt bei Frauen oft spät oder gar zu spät.

Das gilt vor allem für jüngere männliche Ärzte, sagt Tiefenbacher: "Wir wissen aus Studien, dass Frauen bessere Chancen auf eine korrekte Behandlung haben, wenn sie von Frauen behandelt werden." Grund sind nicht nur die untypischen Symptome – oft kommen auch psychologische Hürden auf beiden Seiten dazu: "Frauen haben einerseits oft das Problem, dass sie in ihrem Schmerz nicht so ernst genommen werden – andererseits aber auch, dass sie niemandem zur Last fallen wollen."

Noch an weiteren Stellen hapert es, erklärt die Expertin: "Selbst wenn der Verdacht frühzeitig aufkommt, werden bei Frauen seltener aufwendige Untersuchungen vorgenommen, stattdessen beobachtet man länger." Auch die verschriebenen Medikamente sind oft andere – und nicht zwingend passendere. "Mehr Psychopharmaka zum Beispiel. Das zeigt ja auch, wie weniger ernst Beschwerden genommen werden."

Beispiel Diabetes: Fehldiagnose dank Nüchtern-Blutzucker

Genau wie der Herzinfarkt gilt auch der Diabetes Typ 2 oft als Männerkrankheit, selbst bei Ärzten. Entsprechend früh wird er bei Männern häufig entdeckt. "Bei vielen Frauen dagegen finden wir den erst über die Komplikationen, nach dem ersten Herzinfarkt", sagt Julia Szendrödi, stellvertretende Direktorin der Klinik für Diabetologie an der Uniklinik Düsseldorf.

Oft hat die Fehldiagnose einen ganz simplen Grund. "Wenn der Hausarzt auf Diabetes Typ 2 testet, nimmt er häufig den Nüchtern-Blutzucker", erklärt die Expertin. "Bei Frauen mit Diabetes Typ 2 ist der in der Frühphase der Krankheit aber häufig noch im Normbereich." Die Diagnose lautet dann: kein Diabetes – und damit keine dringend nötige Behandlung. "Männer haben zwar etwas häufiger Typ-2-Diabetes – aber Frauen verlieren mehr gesunde Lebensjahre und haben eine stärker erhöhte Sterblichkeit."

Auch hier liegen psychologische Ursachen zugrunde – etwa dann, wenn es um die Behandlung geht. "Da gibt es bei Ärzten oft noch das Vorurteil, dass die Frauen sich ohnehin gut darum kümmern", sagt Szendrödi. "Tatsächlich ist es aber so, dass viele Frauen sich noch immer zuerst um die Familie kümmern und erst danach um sich selbst." Daran können die Frauen und ihr Umfeld etwas tun. Gefragt sind aus Sicht von Szendrödi aber vor allem die Ärzte.

Diese sollten etwa vermehrt fragen, ob Frauen mit den Medikamenten und den typischen Nebenwirkungen zurechtkommen – wie niedrigem Blutdruck, der vor allem bei normalgewichtigen oder schlanken Frauen mit Diabetes Typ 2 auftritt. "Der fühlt sich einfach nicht gut an, weil er müde und schlapp macht. Dann setzen die Frauen das Medikament ab, haben im Arztgespräch aber keine Gelegenheit, über das Problem zu reden. Und der Arzt erhöht dann einfach nur die Dosis."

Problem erkannt – Gefahr gebannt?

Immerhin sagen sowohl Szendrödi als auch Kardiologin Tiefenbacher: Besserung ist in Sicht. Das Problem sei inzwischen präsent und spiele auch in der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten eine Rolle. Patientinnen sollten es aber auf dem Schirm haben, sagt Tiefenbacher: "Wir raten betroffenen Frauen, das Thema tatsächlich gezielt anzusprechen und eine intensive Untersuchung auch einzufordern."

Ähnlich sieht das Ingrid Mühlhauser – wirklich besser könne es aber erst werden, wenn die Machtstrukturen im Gesundheitswesen nicht mehr so männlich dominiert seien wie heute. Und selbst dann sei fraglich, ob sich wirklich alle Schieflagen aus der Welt schaffen ließen. "Das ist generell ein sehr komplexes Problem", sagt sie.

Denn natürlich spielen soziale Gründe dabei ebenfalls eine Rolle: Selbst gut ausgebildete Frauen geraten öfter in die Armutsfalle als Männer – was eine Auswirkung auf die Qualität der gesundheitlichen Versorgung hat. Und der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist längst nicht das einzige Problem der Arzneimittelforschung, so Mühlhauser: "Es fehlt da generell an einem genauen, differenzierten Blick auf den Einzelnen."

Die Expertin wünscht sich daher mehr und andere Kommunikation sowie mehr und andere Informationen für die Betroffenen – damit diese sich im Zweifelsfall wehren können, bevor sie falsch oder unzureichend behandelt werden. "Frauen müssen die Möglichkeit haben, ihre Probleme zu verstehen. Und Menschen generell sollen in der Medizin informierte Entscheidungen treffen können."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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