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Piercing-Risiken: Dermatologin warnt vor Entzündungen und Schmerzen


Meinung
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Unterschätzte Gefahr Piercing
Hier wird zu viel durchgestochen

MeinungEine Kolumne von Dr. med. Yael Adler

25.05.2024Lesedauer: 4 Min.
Gay man with piercings making up at homeVergrößern des Bildes
Körperschmuck: Seit Jahrtausenden beliebt, aber auch gefährlich. (Quelle: imago)

Seit Jahrtausenden schmücken Menschen ihre Körper mit Piercings. Doch der Schmuck hat oft schmerzhafte Folgen, wie Dr. Yael Adler weiß.

Ohrläppchen, Nase, Nasenscheidewand, Nasenflügel, Lippen oder Genitalien – der Fantasie der Ringträger sind inzwischen keine Grenzen mehr gesetzt. Der besonders für nicht Gepiercte schwer nachvollziehbare Drang, allüberall sichtbar oder unsichtbar Ringe, Stifte oder Implantate anzubringen – und das oftmals unter Schmerzen –, hat weit zurückreichende kulturhistorische Wurzeln, immerhin seit mehr als 7.000 Jahren: Unter den Ureinwohnern Afrikas, Amerikas oder Asiens sind ähnliche Praktiken verbreitet. Beliebte Materialien sind hier nicht nur Metall, sondern auch Horn, Knochen, Perlmutt, Holz, Quarz oder Ton. Überlieferte Skulpturen zeigen gedehnte Ohrlöcher.

Die Ausnutzung von Piercings zur sexuellen Stimulation in späteren Zeitabschnitten ist da quasi eine kulturelle Verfeinerung. Inzwischen hat sich das Anwendungsgebiet nämlich längst auf Nippel, Nabel oder Genitalien ausgeweitet. Piercings stecken heute auch im Penis oder sind als eindeutiges Schamlippenbekenntnis zu beobachten.

Yael Adler
(Quelle: Markus Höhn)

Zur Person

Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Phlebologie und Ernährungsmedizin (DGEM). Seit 2007 praktiziert sie in ihrer eigenen Praxis in Berlin. Ihr Talent, komplexe medizinische Sachverhalte anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln, stellt sie seit Jahren in Vorträgen, Veranstaltungsmoderationen und den Medien unter Beweis. Über Prävention und Therapien spricht sie regelmäßig in ihrem Podcast "Ist das noch gesund?". Ihre Bücher "Haut nah" und "Darüber spricht man nicht" standen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Mit ihrem letzten Buch "Genial vital! – Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung" durfte sich die leidenschaftliche Ärztin erneut über diese Spitzenplatzierung freuen.

Ähnlich wie bei Tattoos geht es auch beim Piercen darum, die eigene Individualität zu demonstrieren. Parallel dazu wird die Zugehörigkeit zu einer Gruppe Gleichgesinnter signalisiert. Eine Art Stammesritual 2.0, befeuert von Modetrends.

Quasi zeitgleich mit der Wandlung des Piercings zur Massenerscheinung hat sich ein Kulturwandel vollzogen, der nicht nur professionellen Piercing- und Tattoostudios Sorgenfalten beschert, sondern auch und vor allem uns Hautärzten: der starke Hang zur Heimarbeiterbewegung, gern auch mit der Handykamera für die Ewigkeit und die sozialen Netzwerke festgehalten.

Begnügte man sich früher zum Ohrlochstechen vorm Badezimmerspiegel daheim mit einer Nähnadel und einer Kartoffel, bietet der einschlägige Online-Versandhandel inzwischen alles, was das Herz begehrt, und zwar nicht nur, was die zahllosen Schmuckvarianten anbelangt. Penis-Piercings werden im Foto übrigens gern an geschälten Bananen oder grünen Gurken simuliert, träumt weiter, Jungs!

Risiken beim Heim-Piercen

Auch das Sortiment an Instrumenten ist schier unüberschaubar, und man kann sich in den Angebotsseiten leicht verlieren zwischen Spreizzange, Nabelzange, dem Ringschließer oder dem Spezialringöffner.

Ich als Ärztin frage mich, warum Amateure sich all diese Werkzeuge anschaffen, anstatt kurzerhand ein professionelles Studio aufzusuchen. Ganz abgesehen von Hygienestandards, die zu Hause in der Küche nun mal nicht gegeben sind, nimmt unsere Haut die Invasionen durch Stechen oder Schneiden meist übel. Immerhin ist es ihre Aufgabe, unseren gesamten Organismus als evolutionär perfektionierte Schutzhülle zu umgeben, was in aller Regel recht gut gelingt. Wird sie aber mechanisch verletzt, löst das dichte Netzwerk der Nerven Alarm aus: Unser Rückenmark und unser Gehirn empfangen Signale und fahren sofort die Immunabwehr hoch. Entzündungsbotenstoffe eilen über Blut und Lymphe direkt aus den Nervenendungen herbei.

Wundheilung kann Monate dauern

Die Abwehrzellen schalten auf Hochbetrieb, und unser Körper versucht alles, um die eben entstandene Wunde zu schließen und den gemeldeten Eindringling (Fremdkörper) zu zerstören, abzukapseln oder wenigstens wieder abzustoßen – das ist der Job der Fresszellen, Tötungszellen und Antikörper. Da das nicht klappt, fließt oft jede Menge Eiter, oder das als diskret gedachte Piercing im Nasenflügel wird plötzlich durch einen entzündlichen Hof in den Mittelpunkt des optischen Interesses gerückt.

Weil bei Piercingverletzungen Gewebeschichten durchstoßen werden, kommt es immer zu Vernarbungen. Nerven- und Akupunkturpunkte werden gestört, was neben Entzündungen an der direkten Einstichstelle auch zu tieferen Gesundheitsschädigungen in anderen Körperregionen führen kann. Die neu in den Körper gebohrten Kanäle sind evolutionär nicht vorgesehen, die Folge sind nicht selten übelriechende Wundheilungsstörungen über Wochen, manchmal Monate. Brustwarzenpiercings benötigen bis zu vier Monate, um zu heilen, Nabelpiercings bis zu neun Monate. Normale OP-Wunden heilen meist schneller. Nicht zufällig kommt es etwa bei der Hälfte aller Piercings zu Komplikationen.

Allergien, Bakterien, Keime

Zieht man in Betracht, dass oft Laien am Werk und die aparten Anbringungsorte der Fremdkörper mitunter zusätzlich heikel sind, verwundert es eigentlich nicht, dass hier längst Berichte über Infektionen mit Hepatitis B und C, Tuberkulose, Tetanus und HIV kursieren.

Piercingschmuck und seine Befestigungen sollten aus Edelstahl oder Titan sein, weil ansonsten ein hohes Risiko für eine Nickelallergie besteht. Selbst Gold ist mitunter mit Nickel versetzt. Und eine Nickelallergie führt gern zu nicht sehr dekorativen juckenden Ekzemen oder Rötungen und Bläschen. Bei jedem Piercing besteht die Gefahr von Infektionen, auch mit aggressiven Problemkeimen, die vor Ort wüten, oder durch streuende Bakterien, mit einer Blutvergiftung, einer Herzinnenhaut-, Knochenmark- oder Nierenentzündung nebst völlig überdrehtem Immunsystem. Dann ist eine Behandlung mit Antibiotika notwendig.

Schwierigkeiten beim Essen

Beim Prinz-Albert-Piercing durch die Eichel fühlt sich Mann gerne erst mal dauererregt, dann aber bald eher abgestumpft. Entfernt er sodann den Schmuck, bleibt der durchstoßene Kanal bestehen und Urin und Sperma können aus zwei Öffnungen austreten.

Ohrenpiercings ziehen in bis zu 35 Prozent der Fälle Komplikationen nach sich. Gerade wenn der Ohrknorpel durchstochen wird, vergrößert sich das Risiko. Oft sehen wir Hautärzte tumoröse Wuchernarben, Keloide, die dann wie riesige rote, harte, Gefäß überzogene Bommeln auf dem Ohr prangen und leider gerne auch wieder nachwachsen, wenn man sie operativ entfernt. Schmuck in der Zunge oder an der Mundschleimhaut lässt Zähne splittern und brechen, er drängt das Zahnfleisch zurück und kann zu Abszessen führen. Auch Ess- und Sprechstörungen sind möglich.

Übrig bleiben oft hässliche Narben

Geht die Piercing-Phase irgendwann dann doch einmal vorbei, setzt ein heftiger Einringkampf ein. Es ist ziemlich kompliziert, alte Piercingnarben aus dem Gesicht zu schneiden, ohne dass sich neue Narben bilden. Jedes Mal ist der komplette Tunnel auszuschneiden. Der aber ist nicht selten narbig umschlossen, sodass auch die neue Narbe wieder etwas eingezogen wird.

Natürlich treten nicht sämtliche möglichen Unfälle in jedem individuellen Fall ein. Man sollte sie aber durchaus in seine Abwägungen einbeziehen, bevor man in den Ring steigt. Egal ob, oder wo der dann sitzt – kommen Sie gesund durch die Zeit!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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