Husten, Kopfschmerzen und Co. Deshalb sollten Sie nicht krank zur Arbeit gehen
Phänomen Präsentismus: Trotz Krankheit schleppen sich viele Menschen zur Arbeit. Doch das ist nicht die beste Idee – weder für Arbeitnehmer noch Arbeitgeber.
Mit positivem Corona-Test ist die Sache ganz klar: Das Büro bleibt tabu. Was aber, wenn Kopfschmerzen plagen oder gar eine depressive Phase beginnt? Viele Menschen schleppen sich dann doch zur Arbeit. Präsentismus nennt sich das Phänomen – und weder den kranken Arbeitnehmern noch den Arbeitgebern ist damit laut Experten geholfen. Inzwischen entwickelt sich auch ein Markt mit digitalen Angeboten insbesondere für die mentale Gesundheit.
So viele Menschen gehen krank zur Arbeit
Jeder zweite Beschäftigte (51 Prozent) in Deutschland geht manchmal, häufig oder sehr häufig krank zur Arbeit, wie das Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung aus Konstanz für die Techniker Krankenkasse herausfand. Frauen neigen der im Herbst veröffentlichten Studie zufolge eher zu Präsentismus als ihre männlichen Kollegen.
"Betriebswirtschaftlich gesehen sind die Kosten, die durch Präsentismus entstehen, mindestens so hoch wie die Kosten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten", heißt es bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Nach Einschätzung des Psychologen Simon Hahnzog könnte der Anteil sogar noch größer sein. Die Kosten, die den Unternehmen durch Präsentismus entstehen, seien etwa doppelt so hoch wie durch tatsächlich oder angeblich kranke Arbeitnehmer zusammen. Viele Firmen hätten aber mehr Sorgen wegen Blaumachern und steckten mehr Energie und Geld in den Kampf gegen diesen Absentismus.
Die Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt
Doch wer krank arbeite, sei nur eingeschränkt leistungsfähig, macht Hahnzog deutlich: "Ich bin acht Stunden da, arbeite effektiv aber nur fünf." Auch passierten Kranken häufiger Fehler, was wiederum zu Folgekosten führe: "Das ist ein Lawineneffekt", sagt Hahnzog, der auch Firmen zu dem Thema berät. "Wenn einer einen Fehler macht, müssen unter Umständen zehn andere eine Stunde mehr arbeiten." Auch passierten signifikant mehr Unfälle, wenn man krank zur Arbeit gehe. Und dauerhafter, regelmäßiger Präsentismus erhöhe das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Störungen.
Die Zahl der Fehltage vor allem wegen psychischer Erkrankungen steige seit Jahren, sagt Simon Senner, Chefarzt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau/Konstanz. Am Anfang der Corona-Pandemie habe dieser Trend gestoppt. "Wahrscheinlich haben Existenzängste dazu geführt, dass sich mehr Menschen zur Arbeit geschleppt haben", sagt er. Spätestens seit Herbst 2020 gehe die Zahl der Fehltage wieder hoch.
Präsentismus wird durch die Pandemie verstärkt
Hahnzog geht davon aus, dass die Entwicklungen infolge der Pandemie die Lage sogar noch verschärfen: "Im Homeoffice ist die Schwelle viel kleiner geworden, doch zu arbeiten. So richtig krank bin ich ja nicht, da kann ich mich kurz in einen Zoom-Call schalten." Die Erholungszeit zu Hause werde verringert. Arbeitnehmer seien noch mal stärker der Eigenverantwortung überlassen worden, sagt Hahnzog. Führungskräfte wiederum hätten den Gesundheitszustand der Mitarbeitenden im Homeoffice weniger gut im Blick.
Nach dem Arbeitsschutzgesetz sind Arbeitgeber verpflichtet, eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, wie Senner betont. Seiner Einschätzung nach hat das aber nur die Hälfte gemacht. Während bei körperlichen Gefahren relativ einfach Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden könnten wie Abstandshalter, sei das bei psychischen Belastungen schwieriger. Führungskräfte könnten aber lernen, wie sie mögliche psychische Störungen erkennen und wie sie dann Mitarbeitende adäquat darauf ansprechen und Unterstützung anbieten können.
Apps könnten Menschen mit psychischen Belastungen helfen
Dem Trend folgend gibt es inzwischen unter anderem viele App-Angebote für Menschen mit psychischen Belastungen, sagt Senner, der auch Mitglied im medizinischen Beirat von Wellster ist, einem Anbieter für digitale Gesundheitsplattformen. "Für Themen wie mentale Gesundheit am Arbeitsplatz gibt es Geld, da wird investiert."
Bei den Apps ist Vorsicht geboten
Die Verbraucherzentrale weist darauf hin, dass es keine einheitlichen Qualitätskriterien gebe. "Die meisten Apps in diesem schnelllebigen Markt sind zudem nicht wissenschaftlich auf ihren Nutzen hin untersucht." So könne es hilfreiche Apps geben – aber auch solche, die schlimmstenfalls etwa wegen falscher Messungen Schaden anrichten können. Ratsam sei, das Thema mit dem Hausarzt zu besprechen.
Der Markt wachse stark, sagt Chefarzt Senner. Die digitalen Angebote seien eine wichtige Hilfestellung und ermöglichten Betroffenen, sich ohne Scham oder andere Hindernisse Unterstützung zu suchen. "Die Digitalisierung im Gesundheitswesen erlaubt es, Therapien schneller und individueller allen Menschen zugänglich zu machen."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa