Krankenkassen fordern bessere Aufklärung IGeL-Leistungen bringen oft keinen Nutzen
Jeder zweite Patient bekommt bei einem Arztbesuch sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) angeboten. Die Krankenkassen beklagen allerdings eine mangelnde Aufklärung der Patienten über Nutzen und mögliche Risiken von solchen Selbstzahler-Leistungen.
Die IGeL-Behandlungen gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen und müssen vom Patienten privat bezahlt werden. Die Verbraucherzentralen raten auf dem Portal www.igel-ärger.de., auf ein persönliches Informationsgespräch mit dem Arzt zu bestehen.
Patienten fühlen sich schlecht informiert, nehmen die Leistungen trotzdem an
Der Markt der Individuellen Gesundheitsleistungen boome, erklärte Peter Pick, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDS). "Information und Aufklärung geraten in der Praxis dabei manchmal in den Hintergrund."
Nach Angaben des MDS kennen 82 Prozent der Versicherten individuelle Gesundheitsleistungen. Eine repräsentative Umfrage habe ergeben, dass jeder Zweite (52 Prozent), der Selbstzahlerleistungen in der Arztpraxis angeboten bekomme, diese auch annehme. Drei Viertel der Patienten fühlen sich demnach allerdings nicht ausreichend über mögliche Schäden informiert.
Patienten sollten Bedenkzeit erhalten
"Für manche Facharztgruppe ist das 'Igeln' zum Volkssport geworden", sagte Pick. "Aus unserer Sicht sind die Ärzte gefordert, über Nutzen und mögliche Risiken der Selbstzahlerleistungen ausführlich aufzuklären." Dafür müssten schriftliche Informationen zur Verfügung gestellt werden. Die Patienten sollten zudem ausreichend Bedenkzeit erhalten und nicht unter Druck gesetzt werden.
Seit 2012 haben die MDS-Experten insgesamt 41 Selbstzahler-Leistungen unter die Lupe genommen. Das Spektrum reicht von Akupunktur in der Schwangerschaft über Lichttherapie bei saisonal depressiver Störung bis hin zur Bestimmung des Immunglobin G gegen Nahrungsmittel.
"Offensichtlich geht es den Ärzten ums Geldverdienen"
"Unsere Bewertungen zeigen, dass vieles, was in den Praxen angeboten wird, der wissenschaftlichen Bewertung nicht Stand hält", erklärte Michaela Eikermann, Leiterin des Bereichs Evidenzbasierte Medizin beim MDS. "Beim überwiegenden Teil können wir nicht von Hinweisen für einen Nutzen, sondern eher von Hinweisen für einen Schaden für den Patienten sprechen."
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte, eine 14-tägige Bedenkzeit zwischen dem Angebot des Arztes und der Leistungserbringung einzuführen. "Offensichtlich geht es den Ärzten bei IGeL-Leistungen ums Geldverdienen", erklärte Vorstand Eugen Brysch. "Viel zu häufig werden Patienten überrumpelt von Angeboten, deren Nutzen oft umstritten ist." Brysch rief die Bundesregierung auf, die gesetzlichen Grundlagen für eine verpflichtende Bedenkzeit zu schaffen.
Ärzte weisen die Vorwürfe zurück
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wies die Vorwürfe zurück. "Es ist falsch, IGeL unter Generalverdacht zu stellen", erklärte der KBV-Vorsitzende Andreas Gassen. Im individuellen Patientenfall könnten diese Leistungen durchaus medizinisch sinnvoll sein. Die Versichertenbefragung der KBV habe für das vergangene Jahr gezeigt, dass individuelle Gesundheitsleistungen von den Patienten selbst verstärkt nachgefragt würden. "Natürlich muss der Patient ausreichend Zeit haben, um über das Angebot entscheiden zu können", fügte Gassen hinzu.
Eine Entscheidungshilfe zu IGeL-Leistungen gibt auch der sogenannte IGeL-Monitor. Auf dem Internet-Portal www.igel-monitor.de werden Individuelle Gesundheitsleistungen wie beispielsweise die Messung des Augeninnendrucks zur Früherkennung eines Glaukoms (Grüner Star), die professionelle Zahnreinigung oder der Ultraschall der Eierstöcke nach ihrem Nutzen bewertet.
Einen Auszug aus den Ergebnissen finden Sie hier:
Die "tendenziell positiven" IGeL-Leistungen | ||
Individuelle Gesundheitsleistung | Fazit | Nutzen / Schaden |
Akupunktur zur Migräneprophylaxe | tendenziell positiv | Keine Hinweise auf Nutzen. Keine Überlegenheit im Vergleich zur medikamentösen Standardtherapie.Hinweise auf weniger Schäden. Weniger Nebenwirkungen, weniger Therapie-Abbrüche. |
Extrakorporale Stoßwellentherapie beim Fersenschmerz | tendenziell positiv | Belege für Nutzen. Übereinstimmende Ergebnisse für Nutzen der hochenergetischen und radiären Therapie.Belege für geringe Schäden. übereinstimmende Ergebnisse hinsichtlich geringer Schadwirkungen. |
Lichttherapie bei saisonaler Depression | tendenziell positiv | Hinweise auf geringen Nutzen. Linderung depressiver Beschwerden, Vergleich gegen Scheinintervention.Keine Hinweise auf Schaden und unerwünschten Ereignisse, die auf Lichttherapie zurückzuführen sind. |
IGeL-Leistungen mit unklarem oder negativem Nutzen (Auszug) | ||
Individuelle Gesundheitsleistung | Fazit | Nutzen / Schaden |
Augenspiegelung mit Messung des Augeninnendrucks zur Glaukom-Früherkennung | tendenziell negativ | Keine Hinweise auf Nutzen, auf Grund unzureichender Datenlage nicht abschätzbar.Hinweise auf Schaden. Unzureichende Datenlage / nicht abschätzbar, wer richtige bzw. falsche Testergebnisse erhält. |
Bestimmung des Immunglobulin G (IgG) gegen Nahrungsmittel | negativ | Keine Hinweise auf Nutzen. Sowohl unzureichende Datenlage als auch fehlende Rationale.Hinweise auf erhebliche Schäden. Unnötige Einschränkung der Ernährung mit gegebenenfalls negativen Auswirkungen. |
Colon-Hydro-Therapie (diverse Indikationen, unter anderem Verstopfung) | negativ | Keine Hinweise auf Nutzen, aufgrund mangelnder Studien bzw. Mängeln in der Methodik der Studien.Hinweise auf erhebliche Schäden. Seltene aber gravierende unerwünschte Ereignisse wie Darmperforationen, Störung desElektrolyte-Haushalts. |
Professionelle Zahnreinigung (PZR) bei Erwachsenen ohne Parodontitis | unklar | Keine Hinweise auf Nutzen, unzureichende Datenlage.Keine Hinweise auf Schäden. Keine Schäden, die auf PZR zurückzuführen sind. |
PSA Test (Früherkennung Prostatakrebs) | tendenziell negativ | Auch nach Neubewertung Hinweise auf geringen Nutzen aufgrund widersprüchlicher Studienergebnisse.Belege für geringe Schäden. Wenn sie auftreten erhebliche Schadwirkungen, da aber insgesamt eher selten nur als "gering" eingestuft. |
Ultraschall der Brust (Früherkennung Brustkrebs) | unklar | Hinweise auf geringen Nutzen. Es gibt keine Studien zum direkten Nutzennachweis.Hinweise auf geringen Schaden. Fehlalarme und unnötig entdeckte und behandelte Brustkrebsherde möglich |
Ultraschall der Eierstöcke (Früherkennung Eierstockkrebs) | negativ | Keine Hinweise auf Nutzen. Treffsicherheit des Ultraschalls ist gering, kein Überlebensvorteil.Belege für geringen Schaden. Viele falsch-positive Befunde (Fehlalarme). |
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.