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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gründer von "Headspace" Macht uns Meditation glücklicher, Herr Puddicombe?
Früher Mönch, heute erfolgreich mit einer Meditations-App: Andy Puddicombe räumt im Exklusivinterview mit Esoterik-Klischees auf und erklärt, wie Meditation im Lockdown helfen kann.
Zwei Freunde von ihm sterben bei einem Autocrash, wenig später verunglückt seine Stiefschwester bei einem Fahrradunfall und seine Ex-Freundin verliert bei einer Operation ihr Leben: Es sind einige Schicksalsschläge, die der Brite Andy Puddicombe in den Neunzigern verarbeiten muss. Der damals 22-Jährige entscheidet sich dafür, in den Himalaya zu gehen und Mönch zu werden. Zehn Jahre später kehrt er nach Großbritannien zurück und eröffnet ein Meditationsstudio, in dem er auch seinen späteren Geschäftspartner, den Marketingprofi Rich Pierson, kennenlernt.
Mit ihm zusammen entwickelt er 2010 die Achtsamkeits-App "Headspace" – die heute weltweit Millionen von Menschen das Meditieren näherbringt.
Und das kann uns auch in der Corona-Krise unterstützen, sagt Andy Puddicombe im Interview mit t-online. "Durch Meditation können wir eine mentale Stabilität finden." Puddicombe berichtet zudem, wie er als Mönch mit Verzicht klargekommen ist – und wie die Reaktion der buddhistischen Gemeinschaft auf seine App ausgefallen ist.
t-online: Jobverlust, Krankheit, Einschränkungen im täglichen Leben: Die Corona-Pandemie hat vielen Menschen zugesetzt. Was können wir dennoch aus dem vergangenen Jahr lernen?
Andy Puddicombe: Ich kann mich an kein anderes Jahr erinnern, in dem alle wollten, dass es einfach nur schnell vorbei ist. Aber wir können versuchen, nicht alles nur negativ und schlecht zu sehen. Viele Menschen haben mir erzählt, dass das Jahr sie auch gezwungen hat, sich selbst zu überdenken. Zu überlegen, was, wer und welche Orte ihnen im Leben wichtig sind. In der Folge haben sie ihr Leben teilweise grundlegend geändert. Gerade in solch schwierigen Zeiten lernen wir sehr viel über uns selbst, über andere und über die Welt, die uns umgibt.
Was kann uns helfen, mental gestärkt durch diese Zeit zu kommen?
Meditation und Achtsamkeit können uns durch sehr schwierige Zeiten wie die jetzige tragen. Die Menschen kämpfen mit Stress, mit Sorgen und Wut, mit Ungeduld und Ängsten. Meditation kann dabei helfen, sich klarzuwerden, dass das Wesentliche menschliche Gefühle sind. Durch sie können wir eine mentale Stabilität finden, das zeigt auch die Wissenschaft. Meditation stärkt unsere psychische, emotionale und auch physische Gesundheit.
Deutschland befindet sich derzeit im Lockdown. Wir können unsere Freunde nur einzeln treffen, die Fitnessstudios sind zu, kulturelle Veranstaltungen sind abgesagt. Auf vieles müssen wir also verzichten. Sie haben einige Jahre als Mönch und damit im Verzicht gelebt. Haben Sie einen Ratschlag, wie wir damit besser umgehen können?
Man muss natürlich bedenken, dass ich mich bewusst dazu entschlossen habe, in das Himalaya-Gebirge zu gehen und so zu leben. Der Verzicht in der Corona-Pandemie ist hingegen alles andere als freiwillig. Dennoch glaube ich, dass uns Achtsamkeit auch hierbei helfen kann. Das beginnt damit, zu erkennen, dass wir nicht alles, was uns passiert, kontrollieren können. Aber wir können unseren Geist trainieren und unsere Wahrnehmung schärfen, sodass uns unsere Erlebnisse nicht überwältigen und wir damit umgehen können, dass uns Ablenkung fehlt.
Wie meinen Sie das?
Wir Menschen mögen Ablenkung. Sobald sich unser Geist abmüht, wenden wir uns anderen Dingen zu – treffen uns mit Freunden, gehen aus, zocken am Handy. So schaffen wir es, ein wenig von uns selbst wegzukommen. Das ist nichts Schlechtes. Aber wir können auch lernen, uns mit unserem Geist wohl zu fühlen, egal, in welchem Zustand er sich gerade befindet. Egal, ob wir abgelenkt oder ruhig sind, ob wir glücklich oder unglücklich sind – wir setzen uns hin und beobachten ihn. Es geht weniger darum, wie es unserem Geist gerade geht, sondern mehr, wie wir ihn wahrnehmen und mit ihm arbeiten.
Sollten wir ihn also auf Positives lenken?
Das ist nur ein Element davon. Die Basis ist, dass man im Einklang mit Geist und Gedanken ist. In der Meditation lernen wir, dass Gedanken kommen und gehen. Je weniger wir an einem Gedanken festhalten, desto weniger verstricken wir uns darin. So können wir uns auf das konzentrieren, was wir gerade eigentlich tun. Für mich ist das die wahre Freiheit – mehr als immer zu versuchen, glücklich zu sein oder uns darin zu versteifen, dass wir noch glücklicher sein könnten. All das übt nämlich Druck aus.
Andy Puddicombe, Jahrgang 1972, gründete 2010 die App "Headspace", die geführte Meditationen anbietet. Puddicombe lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Los Angeles.
Was haben Sie in Ihrer Zeit als Mönch am meisten vermisst?
Am meisten habe ich meine Freunde vermisst. Ich war recht jung, als ich mich dem Mönchskloster anschloss, Anfang 20. Ich kam gerade von der Universität und war es gewohnt, viel auszugehen und Party zu machen. Ich war immer viel unter Leuten gewesen. Im Kloster bist du zwar auch unter Leuten, aber es ist natürlich eine ganz andere Gemeinschaft. Dort geht man nicht viel raus. Am Anfang hat es sich dort sehr streng angefühlt. Mir fehlte das Spielerische, die Heiterkeit und so ein bisschen die Albernheit des Alltags. Ich habe eine Zeit gebraucht, um diese Dinge dort in den Traditionen zu entdecken.
Also war die Umstellung für Sie nicht ganz so einfach?
Es war wirklich knifflig. Wenn man ins Kloster geht, ist es am Anfang eine große Erleichterung, es fühlt sich super an – wie ein Ausbruch aus der Realität. Man nennt das die "Honeymoon-Phase". Aber nach ein paar Wochen merkt man dann: "Oh, das ist alles. Es gibt nichts zu tun, man muss nirgendwo hingehen." Und das ist der Punkt. Alles, was man tun kann, ist, im Moment präsent zu sein. Aber sobald noch mehr Zeit vergangen ist, kommt einem das auch zugute. Man versteht seine Gedanken dann besser und es tritt Ruhe ein.
Haben Sie auch materielle Dinge vermisst?
Vieles, was man heute vermutlich vermissen würde, gab es damals noch nicht, wie etwa Handys. Und meine Kleidung habe ich ebenfalls nicht wirklich vermisst, weil ich mit den Mönchsroben zufrieden war. Vielleicht haben mir meine Haare etwas gefehlt, die man als Mönch ja abrasiert. Und Essen. Aber nichts davon hat mir wirklich etwas ausgemacht. Ich habe das so angenommen und mich gefreut, dass ich viel reisen konnte und neue Abenteuer erleben durfte.
Was hat der Verzicht in Ihnen ausgelöst?
In meinen Mönch-Jahren nichts zu besitzen, hat dazu geführt, dass ich verstanden habe, dass mein Glück nichts mit äußeren Umständen zu tun hat. Es hat nichts mit Eigentum zu tun, nichts mit einem bestimmten Ort oder einer bestimmten Person. Das soll nicht heißen, dass diese Dinge mir nicht auch Zufriedenheit bringen können, aber mein Glück hängt nicht davon ab.
Für viele Leute ist Meditation etwas Mystisches, Esoterisches. Dabei ist ihr Nutzen wissenschaftlich bewiesen. Können Sie erklären, was durch Meditation im Gehirn passiert?
Es gibt zum Beispiel eine Studie, für die Magnetresonanzaufnahmen von Meditierenden gemacht wurden. Sie zeigte: Wenn wir meditieren, erhöht sich die Blutzufuhr in bestimmten Teilen des Gehirns und ein Prozess, der sich Neuroplastizität nennt, findet statt. Konkret wird der Bereich des Gehirns, der für Zufriedenheit und Glück zuständig ist, besser durchblutet. Je häufiger wir diesen Vorgang wiederholen, desto leichter haben wir Zugang zu diesen Gefühlen.
Wir werden also glücklicher durchs Meditieren?
Es kommt darauf an, was man unter Glück versteht. Viele empfinden Glück, wenn sie etwas Leckeres essen oder mit jemandem sprechen, den sie sehr mögen. Wir können dieses Glück aber nicht permanent haben – auch nicht durch Meditation. Glückliche Momente kommen und gehen. Und natürlich gibt es ebenso Dinge, die uns traurig machen. Aber unterhalb dieser Emotionen liegt eine stabile Zufriedenheit, die wir durch Meditation erlangen können. Sie trägt uns durch gute und schlechte Momente. Diesen Seelenfrieden verstehe ich unter Glück.
Es muss einem dementsprechend klar sein, dass sich durch Meditation nicht alle Probleme mit einem Schlag in Luft auflösen.
Genau. Auch ich dachte, als ich losgezogen bin, um Mönch zu werden, dass durch Meditation alle meine negativen Gefühle verschwinden würden. Das tun sie aber nicht. In der Meditation lernt man, einfach dazusitzen, egal was im Kopf vor sich geht. Man ist einfach in Einklang mit seinen Gedanken und Gefühlen – und das bereitet auf sämtliche Situationen im Leben vor.
Fiel Ihnen das Meditieren im Kloster direkt leicht?
Nein, überhaupt nicht. Aber es war nicht schwierig für mich, weil Meditation schwierig ist. Es fiel mir vielmehr deshalb schwer, weil ich mich in einer Umgebung befand, wo man mit einer ganzen Stunde Meditation beginnt. Und das ist eine nahezu unmögliche Länge, um zu starten. Außerdem dachte ich damals, ich müsste meine Gedanken und jegliche negativen Gefühle beim Meditieren abstellen.
Wie funktioniert meditieren stattdessen?
Das Herz der Meditation ist das Beobachten des Geistes, der Gedanken. Man schließt einfach nur seine Augen und schaut, was los ist. Man nimmt auch die Ablenkung wahr. Nach einiger Zeit wird das zu einem Vergnügen – anstatt nerviger Pflicht.
Meditation wirkt für viele sehr passiv. Ist sie das?
Das passive Element ist vielleicht, dass wir ein Gefühl von Ruhe und Klarheit erfahren. Eine Stille durch Meditation. Aber der wahre Wert der Meditation zeigt sich, wenn wir den Zustand mit in den restlichen Tag nehmen. Und darin steckt viel Bewegung. Einer meiner Lehrer sagte einmal zu mir: "Wir sitzen nicht mit geschlossenen Augen auf dem Boden, um besser im Meditieren zu werden. Wir tun es, um diesen Zustand des Geistes zu erfahren und ihn in unseren Alltag mitzunehmen."
Glauben Sie, dass die Corona-Pandemie dazu beiträgt, dass sich Menschen mehr mit sich selbst beschäftigen?
Ja, auf jeden Fall. Das haben wir auch in der Nutzung unserer App gemerkt. Zum einen haben sich generell mehr Menschen der Meditation zugewandt, um in ihrem Leben dauerhafte Veränderungen zu bewirken und mehr Klarheit zu finden. Zum anderen ist das Interesse an bestimmten Übungen – gegen Stress, Ängste und für einen besseren Schlaf – größer geworden.
Viele Menschen befinden sich derzeit im Homeoffice und schaffen es abends kaum, abzuschalten. Wie können sie Meditation in ihren Alltag integrieren?
Es kann helfen, immer am gleichen Ort zur gleichen Zeit zu meditieren. Man sollte sich also zunächst einen Bereich schaffen, der dem Meditieren gewidmet ist. Das muss nicht unbedingt ein eigener Raum sein, es kann genauso eine Ecke im Zimmer oder einfach nur ein Kissen auf dem Boden sein. Da wir nach einiger Zeit bestimmte Orte mit bestimmten Gefühlen verbinden, kann das helfen, eine Meditationsroutine aufzubauen. Und als zweites sollte man eine feste Zeit dafür wählen. Dazu kann man die Meditation sogar mit etwas anderem verbinden, das bereits zur Alltagsroutine gehört – mit dem morgendlichen Duschen oder Frühstücken oder Teetrinken etwa. So vergisst man es seltener. Es trennt so ganz klar die Zeit, in der man arbeitet, von jener, in der man etwas für sich tut.
Wie lang und wie oft sollte ich meditieren, damit es mir etwas bringt?
Die Wissenschaft zeigt, dass die Regelmäßigkeit wichtiger ist als die Dauer der Meditation. Wer noch nie zuvor meditiert hat, kann mit drei oder fünf Minuten beginnen. Das reicht fürs Erste. Und dann steigert man sich langsam auf zehn Minuten. Wer möchte, kann noch länger meditieren, aber für viele Leute funktionieren zehn Minuten sehr gut.
Wer an Achtsamkeit und Meditation denkt, denkt oft an eine Art Auszeit, in der man weit weg von Ablenkung ist – also auch von allen Medien, besonders vom eigenen Handy. Sie nutzen aber eine App und neuerdings sogar eine Netflix-Sendung für die Meditationen. Wie passt das zusammen?
Ja, das klingt erstmal fremd. Aber im Grunde ist das Handy nichts Stressiges. Es ist einfach nur ein Gerät aus Plastik, Metall und Glas. Es ist also nicht das Handy selbst das Problem. Es ist unsere Beziehung, die wir damit haben. Wir sollten beleuchten, welchen Stellenwert es in unserem Leben bereits eingenommen hat. Als wir "Headspace" gestartet haben, wollten wir die Menschen dort erreichen, wo sie sind. Und sie waren damals – und sind es immer noch – an ihren Handys. Es gibt schon lange Meditationscenter und Kloster, aber nicht jeder will oder kann dort hingehen. Zudem sind die Menschen – insbesondere in diesen Zeiten – viel zu Hause und schauen Fernsehen. Deshalb haben wir jetzt die Möglichkeit ergriffen, sie mit einer Netflix-Sendung auch dort zu erreichen.
Sie haben "Headspace" 2010 gegründet, mittlerweile wurde die App weltweit über 65 Millionen Male heruntergeladen. Waren Sie von Anfang an überzeugt davon, dass Meditieren per App funktioniert?
Nein. Ich habe anfangs gedacht, dass es eine schreckliche Idee ist. Aber nur, weil ich es nicht verstanden habe. Die Idee dazu hatte mein Unternehmenspartner Rich Pierson. Ich sagte zu ihm: "Aber wir müssen zum Meditieren doch mit den Menschen im gleichen Raum sein!" Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht allzu lange das Kloster verlassen und als Mönch hatte ich nie ein Handy besessen. Ich wusste gar nichts über Apps. Ich brauchte erst meine Zeit, bis ich von der Idee überzeugt war.
Wie hat die buddhistische Gemeinschaft auf die App reagiert?
Als wir begonnen haben, gab es sehr viel Skepsis. Was machen die da? Versuchen die mit Meditation Geld zu machen? Aber wir haben die App nicht auf den Markt gebracht, um ein Unternehmen zu gründen und Geld zu machen. Wir haben sie auf den Markt gebracht, weil wir Meditation für jeden zugänglich machen wollten. Nur müssen wir mit der App aber auch Geld verdienen, um die Menschen, die daran arbeiten, bezahlen zu können. Nach einiger Zeit habe ich sehr viel Unterstützung von den Klöstern erhalten. Manche Mönche haben sogar Menschen, die ins Kloster gegangen sind und dort Probleme mit der Meditation hatten, die App gegeben, damit sie leichter einen Zugang finden. Das finde ich toll!
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Puddicombe.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Videointerview mit Andy Puddicombe