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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Medikamentenmangel in Deutschland "Das kann fatale Folgen haben"
Der Medikamentenmangel verschärft sich. Experten warnen: Ein Ende ist nicht abzusehen. Was hilft in der Krise? Und was sollte man besser lassen?
Die Versorgungskrise auf dem Arzneimittel-Markt hält an und könnte sich noch verschärfen. Erst kürzlich stellte der Geschäftsführer eines der größten Generika-Unternehmen auf dem deutschen Markt eine düstere Prognose auf. Ratiopharm-Chef Andreas Burkhardt warnte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Es werden in Zukunft noch viel mehr Medikamente knapp werden."
Regionale Apothekerverbände berichten, mancherorts sei fast jedes zweite Medikament nicht mehr durchgängig zu bekommen. Nach einer Studie des Apothekerverbandes Nordrhein sei "aktuell jedes zweite Rezept von einem Engpass betroffen", erklärte Jan Harbecke, Vorstandsmitglied im Apothekerverband Westfalen-Lippe in den "Westfälischen Nachrichten."
Betroffen seien längst nicht mehr nur Antibiotika, Herz-Kreislauf-Medikamente sowie Diabetes- und Schmerzmittel. Lieferengpässe gebe es inzwischen auch bei vielen Standardprodukten, so das Blatt weiter.
Was steckt dahinter und was können Betroffene tun? t-online fragte den Sprecher des Apothekenverbandes (ABDA), Christian Splett.
t-online: Herr Splett, woher kommt die derzeitige Krise, wie erklären Sie sich den akuten Medikamentenmangel?
Christian Splett: Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Klar ist: Die Produktion und Logistik von Arzneimitteln hat ihren Preis, die Kassen wollen aber mithilfe ihrer Festbeträge und Rabattverträge die Ausgaben drücken. Orientiert wird sich hier am billigsten Produkt.
Durch den hohen Kostendruck nehmen Unternehmen dann einige Produkte manchmal ganz vom Markt, weil sich die Herstellung für sie nicht mehr lohnt. Oder sie lagern die Produktion aus in Länder wie China oder Indien. Und das haben wir ja auch schon gesehen: Da können Unterbrechungen in den Lieferketten auftreten, nicht nur unter Corona-Bedingungen.
Auch, wenn sich zum Beispiel irgendwo irgendwelche Schiffe stauen …
… oder Fabriken in Fernost wegen Qualitätsmängeln nicht rechtzeitig liefern können.
Was passiert nun für mich als Patient, wenn ich mit einem Rezept vom Arzt in der Apotheke auftauche und das Mittel ist dort nicht verfügbar?
Dann wird der Apotheker natürlich zunächst versuchen, das Präparat irgendwo anders zu beschaffen, beim Großhandel oder zur Not auch in Apotheken in der Nachbarschaft. Das ist natürlich auch mit Aufwand verbunden.
Als wir jüngst Lieferengpässe bei bestimmten Kindermedikamenten sahen, haben einige Apotheken diese sogar selbst produziert, um Abhilfe zu schaffen. Eine Vergütung dafür, dass sich der Apotheker vor Ort stundenlang bemüht, das Produkt oder einen adäquaten Ersatz zu beschaffen, gibt es derzeit allerdings nicht.
Christian Splett ist Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Es handelt sich um die Spitzenorganisation aller Apothekerinnen und Apotheker. Sie zählt 17 Landesapothekerkammern und 17 Landesapothekerverbände zu ihren Mitgliedern, wobei Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner Größe in die Bereiche Nordrhein und Westfalen-Lippe aufgeteilt wurde.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat dafür ein neues Gesetz aufgelegt?
Ja, nach dem "Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz" ist der Mehraufwand zur Beschaffung eines Medikaments, das gerade schwer zu bekommen ist, mit gerade einmal 50 Cent ausgewiesen, die der Apotheker dafür abrechnen kann. Das ist eindeutig zu wenig.
Dagegen wehren sich die Apotheken – und auch wir uns als Verband. Nach konservativen Berechnungen sind die Apotheken derzeit mindestens sechs Stunden in der Woche damit beschäftigt, Ersatzmedikamente zu beschaffen. Nach unseren Berechnungen müsste das Honorar dann bei 21 Euro liegen.
Nun ist es offenbar auch nicht so einfach, ein Medikament gegen ein – wenn auch gleichwertiges Mittel – auszutauschen…
Das ist sowohl für den Patienten als auch für den Apotheker ein Problem. Denn letztlich muss die Apotheke dafür sorgen, dass die Kosten für das Ersatzpräparat auch von den Krankenkassen übernommen werden.
Und der Patient ist oft skeptisch, wenn er seine Medizin in einer neuen Darreichungsform, Packungsgröße oder Wirkstärke bekommt. Sodass er die Tablette vielleicht teilen muss oder zwei statt einer Tablette nehmen muss. Die Überzeugungsarbeit, dass es sich dabei um ein durchaus adäquates Produkt handelt, ist oft nicht so einfach. Schnell bekommen Patienten dann das Gefühl, ihnen würde jetzt etwas Minderwertiges angeboten.
Wie ist denn eigentlich der Markt der Versandapotheken geregelt? Wäre es für mich als Patientin eine Option, meine Medizin online zu bestellen?
In Deutschland ist der Versandhandel mit Medikamenten klar geregelt. Von den knapp 18.000 Apotheken in Deutschland hat etwa jede sechste auch eine Versandhandelserlaubnis. Dazu muss die Apotheke aber eine ganz normale Zulassung als Apotheke haben. Die Kriterien sind also streng.
Aber in der Abwicklung ist das nicht so einfach?
Naja, der Patient muss sein rosa Rezept per Brief dort hinsenden, das macht den Weg natürlich noch länger. Gerade bei einer akuten Erkrankung ist das wohl keine gute Option.
Wie sieht es im EU-Ausland aus?
Die Wege sind hier meist noch länger, also ergibt sich da kein Vorteil. Aber formal ist der Versand von Medikamenten aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland möglich – je nach den dort geltenden Vorschriften.
Wichtig wäre dabei aber sicher auch, genau auf das Impressum zu schauen?
Sicher, das auf jeden Fall, wenn man sich für diesen Weg entscheiden will. Im Internet ist die Gefahr von Produktfälschungen und anderen Straftaten immer noch recht hoch, bei den schwarzen Schafen, die sich auf diesem Markt tummeln.
Ich vergleiche das manchmal mit dem Auto-TÜV. Sie würden wohl auch kein Auto fahren wollen, das weder eine Prüfplakette noch eine Zulassung hat. In beiden Fällen geht es um Ihre Gesundheit. Apotheken mit behördlicher Betriebserlaubnis stehen auch in der Pflicht, ihre Lieferanten zu kontrollieren.
Nun hört man in jüngster Zeit, dass sich Menschen im Internet ein Präparat bestellen, das eigentlich für die Diabetes-Behandlung zugelassen ist und das sie zum Abnehmen verwenden.
Das ist natürlich besonders problematisch, weil etliche Apotheken berichten, dass es für die damit behandelten Diabetikerinnen und Diabetiker nur schwer zu bekommen ist. Wenn ein Medikament, das für einen festen Patientenkreis zugelassen wurde, plötzlich zu einem Lifestyle-Produkt avanciert, lassen sich bestimmte Nebenwirkungen kaum abschätzen.
Ich kann nur dringend abraten, sich irgendwelche Medikamente irgendwo im Internet zu bestellen – für eine Krankheit, die man nicht hat, oder aus Quellen, die man nicht kennt. Das kann fatale Folgen haben.
Herr Splett, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Christian Splett
- Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: "Ratiopharm-Manager: "Es werden noch viel mehr Medikamente knapp" (16.05.2023, kostenpflichtig)
- Westfälische Nachrichten: "Medikamentenmangel: Jedes zweite Rezept betroffen" (15.05.2023, kostenpflichtig)