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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit um Gaslieferungen Warum Putin vom Westen dringend Rubel braucht
Russland droht Deutschland mit dem Ende der Gaslieferungen, wenn es seine Rechnungen nicht fortan in Rubel bezahlt. Das ist keine Formalität: Importeure wie Deutschland sollen so Putins System und seinen Krieg stützen.
Im Streit um das passende Zahlungsmittel für die russischen Erdgaslieferungen erhöht Russland den Druck auf die EU. "Keine Bezahlung, kein Gas", so deutlich sprach der Kremlsprecher am Dienstag im amerikanischen Sender PBS die große Furcht der Deutschen aus: Russland könnte uns bald den Gashahn zudrehen. Wirtschaftsminister Habeck reagierte am Mittwoch, indem er die erste Stufe des Notfallplans Gas in Deutschland aktivierte.
Damit wird ein Szenario immer wahrscheinlicher, das die Bundesregierung bis zuletzt vermeiden wollte: Seit Beginn des Krieges hat sich Deutschland mit einigen anderen Staaten in der EU gescheut, Sanktionen gegen den russischen Energiesektor zu verhängen – obwohl dieser eine der wichtigsten Einnahmequellen für Russland ist. Stattdessen fließt das Gas seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine weiter in die EU.
Wenn Deutschland also bereit ist, weiterhin russisches Gas mitten in Putins brutalem Angriffskrieg zu beziehen, warum droht dann plötzlich doch das Energie-Aus? Weil die Forderung der Russen, die Energierechnungen nun in Rubel zu bezahlen, nicht nur eine Formalität ist.
Zahlungen in Rubel würden Putin an mehreren Fronten stützen
Putin drängt abhängige Staaten damit in eine unmögliche Position. Bremser wie Deutschland, Italien oder auch Österreich stehen vor einer unangenehmen Entscheidung: Entweder es kommt kein Gas aus Russland mehr – oder sie riskieren den Bruch mit den westlichen Partnern, mit denen sie seit Beginn des Krieges meist eine außergewöhnlich geschlossene Front gezeigt hatten.
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Die Zahlungen in Rubel würden Putin deutlich stärken, während sie den Westen schwächen. Das hat mehrere Gründe:
- Zahlungen in Rubel würden den Kurs der russischen Währung künstlich stützen.
- Putin könnte seine Zentralbank wieder stärken.
- Ausländische Devisen könnten Russland wichtige Importe aus China oder Indien ermöglichen.
- Putin könnte bei neuen Verträgen die Preise für die Importeure erhöhen.
Ein gängiger Irrtum ist, dass die deutschen Importeure bei der russischen Zentralbank ihre Euros in Rubel tauschen müssten, um ihre Rechnungen wie gewünscht in der russischen Landeswährung zu bezahlen. Dieser Darstellung widersprechen allerdings die Devisen-Experten der Commerzbank.
Umtausch in Rubel stützt den Währungskurs
"Um Rubel zu erwerben, muss niemand die Sanktionen gegen die russische Zentralbank brechen", schreiben sie in einer aktuellen Analyse. "Rubel – wie jede andere Währung der Welt – gibt es nicht nur bei der Zentralbank, sondern auch bei Geschäftsbanken."
Zwar hat die EU einige russische Banken sanktioniert und aus dem Swift-System ausgeschlossen. Die relevanten Geldhäuser für die Energie-Importe, so etwa die Gazprombank, spüren aber bisher noch keine Sanktionen. Auch die Ökonomin Ulrike Neyer von der Universität Düsseldorf sieht daher die Möglichkeit, die Energielieferungen in Rubel zu bezahlen, ohne Sanktionen zu brechen.
Müssten westliche Firmen nun bei russischen Banken die Millionensummen, die Deutschland täglich für Erdgas bezahlt, zuerst in Rubel tauschen, erhöht das die Nachfrage nach der russischen Währung und stabilisiert so ihren Wert.
Genau diesen Weg hat Putin in einem Gespräch mit Kanzler Scholz am Donnerstag nun konkret aufgemalt. Sowohl der ehemalige EZB-Präsident und aktuelle Ministerpräsident Italiens Mario Draghi als auch Scholz stellen dies als Erleichterung dar: Laut den beiden Staatsmännern würde Europa dann weiterhin in Euro bezahlen, tatsächlich würden sie aber Rubel von der Gazprombank kaufen, stellte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow klar.
Zentralbank stabilisierte den Rubel zuletzt mit harter Hand
Die russische Zentralbank könnte von diesen Devisenumwandlungen profitieren, auch wenn sie über Geschäftsbanken laufen. Obwohl die westlichen Sanktionen der Zentralbank einige Werkzeuge aus der Hand genommen haben, konnte die Bank den Rubel zuletzt mit rigiden Methoden stützen. Vor Kurzem lag der Kurs nur knapp 17 Prozent unter dem Wert vor dem Kriegsbeginn. Zum Vergleich: Zwischenzeitlich hatte sich der Wert des russischen Rubels beinahe halbiert.
Die Zentralbank verbot ausländischen Investoren, russische Anlagen zu verkaufen und russische Banken durften keine ausländischen Banknoten an ihre Kunden auszahlen oder umwandeln. Doch eine besonders effektive Maßnahme traf die Zentralbank gegenüber den Exporteuren.
Die EU, die USA und Großbritannien hatten in ihren Sanktionen bewusst die russischen Energieunternehmen ausgelassen – schließlich importiert besonders die EU einen größeren Anteil ihres Energiebedarfs aus Russland. So fließen täglich weiter Millionenbeträge in ausländischen Devisen nach Russland.
Gibt die EU nach, steigt Russlands Druck womöglich nur weiter
Und diese stützen über Umwege den Rubelkurs, denn: Die Unternehmen müssen 80 Prozent ihrer Exporteinnahmen in ausländischen Devisen bei der Zentralbank in Rubel umwandeln. Das erhöht künstlich die Nachfrage nach der Währung.
Ginge die EU auf die Forderung Russlands ein, die Energierechnungen in Rubel zu bezahlen, könnte Putin die Lieferungen für Öl und Gas weiterhin als Druckmittel verwenden.
Eine Möglichkeit wäre etwa, dass Russland die Devisenumwandlung über Geschäftsbanken verbietet und die Importeure zwingt, direkt mit der Zentralbank zu handeln. Damit würde die Zentralbank 100 Prozent der ausländischen Devisen erhalten, anstatt wie bisher nur 80 Prozent über die Geschäftsbanken.
Devisen ermöglichen wichtige Importe aus China oder Indien
Zusätzlich würde Russland die EU-Staaten zwingen, ihre eigenen Sanktionen gegen die Zentralbank zu umgehen. Robin Brooks, Chefökonom des Institute for International Finance, sagte der "Neuen Züricher Zeitung", eine solche zentrale Rolle der Zentralbank habe den Zweck, dass der russische Staat seine Währungsreserven weiter aufstocken könne. Durch die Sanktionen ist ein größerer Teil der russischen Rücklagen in Euro und Dollar eingefroren.
Russland könne die Devisenreserven dann für den Kauf wichtiger Güter wie Chips oder Medikamente einsetzen, und zwar in Ländern wie China oder Indien, die keine Sanktionen gegen das Land verhängt haben. Beide Länder dürften nur ein geringes Interesse an Zahlungen in russischem Rubel haben und stattdessen Euros oder Dollars verlangen.
Gaspreise könnten weiter steigen
Zuletzt kann Russland durch die Zahlung in Rubel die Verträge nachverhandeln. "Die Lieferverträge, die nun nicht mehr eingehalten werden können, müssen umgeschrieben werden", schreiben die Experten der Commerzbank in ihrer Analyse.
Das bedeute, dass europäische Importeure, die mittels längerfristiger Lieferverträge bisher vor dem Anstieg der Gaspreise geschützt waren, sich verschlechternden Konditionen ausgesetzt sehen könnten. Die Preise könnten steigen. Verzichtet Deutschland aber auf russisches Gas, dürften die Kosten noch höher ausfallen.
Putins Forderungen nach Zahlungen in russischem Rubel sind somit ein kluger Schachzug im Konflikt mit der EU – und besonders mit Deutschland. Bei allen Optionen muss Deutschland ein Opfer bringen.
Das Ende der russischen Gaslieferungen rückt näher
Bisher stellt sich Deutschland auf die Seite der westlichen Partner – es weigert sich, nachzugeben und den Rubelkurs über Zahlungen in der russischen Währung zu stützen.
Damit riskiert Deutschland allerdings die Versorgungslücke: Russland droht seit der Absage der G7-Staaten an seine Forderung wiederholt, die Lieferungen einzustellen.
Politisch hat Russland bereits mit dem Westen gebrochen, ein Ende der Gaslieferungen würde auch die ökonomische Verbindung trennen. Für die EU und besonders Deutschland würde das erhebliche Konsequenzen haben, warnen Ökonomen (mehr dazu lesen Sie hier).
Putin zögert Umstellung etwas heraus
Die entschiedene Ablehnung von Seiten der EU hat zuletzt etwas Zeit gebracht. Putin kündigte am Mittwoch an, dass die Zahlungen nicht sofort ab Donnerstag in Rubel erfolgen müssten. Zuvor möchte sich der russische Präsident mit Vertretern der Zentralbank und Vertretern des Gazproms-Konzerns treffen.
Eine Entwarnung bedeutet das für die EU aber nicht. Mit seiner Ankündigung lässt Putin das Damoklesschwert eines plötzlichen Lieferstopps zwar nicht hinabsausen, aber weiterhin über Deutschland schweben.
Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck warnten vermehrt vor Massenarbeitslosigkeit und einer schweren Rezession in einem solchen Szenario. Auch Putin kennt diese Risiken – und möchte die Angst davor offenbar zu seinem Vorteil nutzen.
- Eigene Recherchen
- Commerzbank: Tagesinfo Devisen
- Wall Street Journal: How Russia's Central Bank Engineered the Ruble’s Rebound
- Neue Züricher Zeitung: Gas nur noch gegen Rubel: Putin will die Europäer verwirren – und spalten