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Gas-Embargo: "Der Füllstand unserer Gasspeicher wird die neue Corona-Inzidenz"


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Drohendes Gas-Embargo
"Der Füllstand unserer Gasspeicher wird die neue Corona-Inzidenz"


Aktualisiert am 29.03.2022Lesedauer: 6 Min.
Ein Gazprom-Mitarbeiter in Russland: Deutschland droht ein Lieferstopp.Vergrößern des Bildes
Ein Gazprom-Mitarbeiter in Russland: Deutschland droht ein Lieferstopp. (Quelle: TASS/imago-images-bilder)
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Ein Lieferstopp für russisches Gas rückt näher. Was Putin zum Einlenken im Krieg gegen die Ukraine zwingen soll, hätte für Deutschland aber schwere Konsequenzen.

Gas aus Russland heizt weiter unsere Wohnungen, treibt deutsche Fabriken an, sorgt dafür, dass warmes Essen auf dem Tisch steht. Doch wie lange noch?

Ein Lieferstopp, ein Gas-Embargo, rückt näher: Entweder verhängt es der Westen als zusätzliche Sanktion gegen Moskau – oder Russland dreht dem Westen selbst den Hahn zu, etwa weil sich die G7-Staaten weigern, ihre Rechnungen in Rubel zu bezahlen.

Noch jedoch setzt die Bundesregierung alles daran, solch ein Szenario abzuwenden, trotz des zunehmenden Drucks der Nato-Partner USA und Polen, die auf ein Embargo drängen. Das Credo von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): Fallen die Gaslieferungen aus Russland kurzfristig aus, droht eine Wirtschaftskrise von extremem Ausmaß.

Doch stimmt das eigentlich? Wie könnte Deutschland sonst noch an Gas gelangen – und wie wahrscheinlich ist das Embargo wirklich? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was bedeutet ein Gas-Embargo für die Wirtschaft?

Das Gros der Wirtschaftsexperten ist sich einig: Die Folgen eines Gas-Lieferstopps wären fatal für die deutsche Wirtschaft. Zu groß ist die Abhängigkeit von Russland, zu vielfältig kommt das Gas aus dem Osten hierzulande zum Einsatz.

Neben der Wärme- und Stromerzeugung findet es vor allem in der Industrie Verwendung. Stehen wegen eines Embargos die Fließbänder still, droht ein extremer Einbruch ganzer Industriezweige und damit womöglich der gesamten deutschen Wirtschaft.

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Wie groß dieser Effekt ist, ist unter Experten jedoch hoch umstritten. Für viel Aufsehen sorgte zuletzt eine Studie mehrerer Ökonomen um den Volkswirt Rüdiger Bachmann. Sie kamen zu dem Schluss: Im Großen und Ganzen seien die wirtschaftlichen Verluste verschmerzbar, schlimmstenfalls sinke das Wirtschaftswachstum dieses Jahr "nur" um drei Prozent.

Die meisten Ökonomen jedoch sehen das anders – und warnen wie Scholz und Habeck vor den Konsequenzen eines Embargos. Zu ihnen zählt auch der Düsseldorfer Volkswirtschaftsprofessor Jens Südekum: "Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen könnten weitaus riskanter ausfallen als in besagter Studie dargestellt."

Chemie-Industrie wäre besonders stark betroffen

Denn: Die Autoren hätten für ihre Untersuchung viele Annahmen getroffen und manches außer Acht gelassen, etwa drohende Arbeitslosigkeit sowie die Inflation. Einzelne Branchen und Regionen würden hart getroffen, darunter vor allem die Chemie-Industrie.

Entsprechend alarmiert zeigt sich auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI). "Anders als in der Finanz- und Coronakrise würde sich bei einer Industriekrise Deutschland nicht relativ schnell wieder erholen", warnte Verbandschef Wolfgang Große Entrup. "Dann steht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieses Landes auf dem Spiel." Viele Branchen sind von den Produkten aus der Chemie-Industrie abhängig. Mit einem kurzfristig einsetzenden und länger anhaltenden Lieferausfall würden "spätestens im Herbst" Versorgungsengpässe erwartet, so der VCI auf t-online-Anfrage.

Ein realistisches Szenario, wie auch Ökonom Jens Südekum findet. "Wir sollten deshalb jetzt noch so viel Gas wie möglich von Russland beziehen und damit unsere Speicher füllen", sagte er t-online. "Je mehr Gas wir auf Vorrat haben, desto mehr Zeit haben wir, um die Konsequenzen abzumildern."

Spätestens, wenn im Herbst die Heizsaison beginne, gelte, so Südekum: "Der Füllstand unserer Gasspeicher wird die neue Corona-Inzidenz. Dann wird es auf jeden Kubikmeter ankommen, dann braucht es groß angelegte Energiesparkampagnen, bei denen alle mitziehen."

Ökonomisch klingt die Antwort damit eindeutig. Doch lässt es sich moralisch überhaupt noch vertreten, weiter Gas aus Russland zu beziehen? Müssten wir nicht jetzt schon alle Register ziehen, um Putin in die Knie zu zwingen?

Südekum ist skeptisch, dass das überhaupt gelänge. "Die eigentliche Frage ist doch viel eher: Lässt sich Putin von einem Embargo wirklich beeindrucken? Ich glaube das nicht unbedingt. Am Ende ist er es womöglich ja sogar selbst, der uns das Gas abdreht. Darauf müssen wir uns vorbereiten."

Gibt es kurzfristige Alternativen zum russischen Gas?

Die Ampelregierung versucht, Alternativen zu Gas, Kohle und Öl aus Russland zu finden und sich langfristig von Putins Energiepolitik zu lösen. Während das bei Kohle und Öl innerhalb der kommenden Monate möglich sein könnte, ist die Abhängigkeit beim Gas jedoch deutlich höher.

Erst im Sommer 2024 könnte man größtenteils auf russisches Gas verzichten, heißt es in einem aktuellen Papier des Wirtschaftsministeriums – und selbst dann wäre Deutschland noch für 10 Prozent des Gasbedarfs auf Russland angewiesen. Zum Vergleich: Aktuell bezieht Deutschland noch mehr als 40 Prozent seines Gases aus Russland.

Die USA präsentieren sich als Alternative, um Deutschland vom russischen Gas unabhängig zu machen. Zuletzt versprach Präsident Joe Biden, Europa zusätzliche 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas zukommen zu lassen, bis 2030 sollen es sogar 50 Milliarden Kubikmeter sein.

Das US-Gas reicht heute kaum aus

Doch kurzfristig ist das Fracking-Gas, das in der Vergangenheit für seine umweltschädliche Förderung in der Kritik stand, keine Alternative für Deutschland. Nicht nur fehlen an den deutschen Häfen die speziellen LNG-Terminals, um das Flüssiggas anzunehmen – die USA fördert nicht einmal genug Erdgas, um die versprochenen Mengen zu liefern.

Schon jetzt soll das Land an seine Exportgrenze stoßen, berichtet die "New York Times". In den USA werben nun viele Fracking-Unternehmen für unbürokratische Genehmigungsverfahren, um mehr Erdgas zu fördern. Inwiefern die Branche mit ihrer Lobbyarbeit erfolgreich sein wird, ist allerdings ungewiss. Manche Bundesstaaten wie etwa Kalifornien wollen neue Fracking-Lizenzen in den kommenden Jahren verbieten und nicht die Branche ausbauen.

Auch Verträge mit anderen Gasexporteuren, wie etwa Katar, stehen noch immer in der Schwebe. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft drängt die Regierung daher dazu, nicht in erster Linie auf Flüssiggas zu setzen, sondern auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Wasserstofftechnologie.

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Es kommt auch auf die Erneuerbaren an

Der Ökonom Jens Südekum teilt diese Auffassung, er sagt: "Wie gut uns eine Abkehr vom russischen Gas noch in diesem Jahr gelingt, dürfte auch davon abhängen, wie windig das Jahr noch wird und wie viel Sonne scheint."

Ein weiterer Schlüssel, um kurzfristig weniger Gas aus Russland zu beziehen: Deutschland muss seinen Bedarf an Erdgas senken – durch Energiesparen oder durch gezieltes Umschichten. So könnten im Strommix etwa andere Quellen stärker ausgebaut werden, um Erdgas zu ersetzen.

Bisher erzeugt Deutschland knapp 15 Prozent seines Strombedarfs aus Erdgas, weitere Quellen sind erneuerbare Energien, aber auch Energie aus Atom- und Kohlekraftwerken. Beides Energieformen, die Deutschland eigentlich zunehmend verringern und nicht ausbauen wollte.

Auch für das Heizen vieler Wohngebäude nutzt Deutschland einen großen Teil seiner Erdgasimporte. Hier könnten großflächige Gebäudemodernisierungen und der Wechsel auf andere Heizformen, etwa Wärmepumpen oder Fernwärme, den Bedarf an Erdgas drastisch reduzieren.

Doch innerhalb weniger Tage sind die Umstellungen nicht möglich. Auch diese Maßnahmen dürften mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

Wie realistisch ist ein Gas-Embargo?

Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Der aktuell wichtigste ist, ob die westlichen Gas-Importeure künftig, wie von Russland gefordert, ihre Rechnungen in Rubel begleichen werden oder nicht. Fakt ist: Derzeit wird ein Embargo immer wahrscheinlicher.

Denn Deutschlands Politiker machten zuletzt deutlich, dass sie die Putins Forderung nicht akzeptieren wollen. Wirtschaftsminister Habeck sprach von einem "Vertragsbruch", Finanzminister Christian Lindner (FDP) riet deutschen Firmen, die Zahlungen weiter wie gehabt in Euro zu leisten. Am Montag sprachen sich auch die G7-Staaten geschlossen dagegen aus, die Rechnungen in Rubel zu begleichen. Putin hält seinerseits an der Forderung fest, das betonte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montagabend noch einmal erneut.

Die Währungsfrage ist deshalb so wichtig, weil Putin eine Ablehnung der neuen Spielregeln – Russen-Gas nur noch gegen Rubel – als Vorwand nutzen könnte, um seinerseits den Gashahn zuzudrehen. Heikel ist sie außerdem, weil viele den Schritt zuletzt als klugen Schachzug Putins interpretierten, der den Westen zwinge, seine eigenen Sanktionen gegen die russische Zentralbank zu umgehen.

Dieser Darstellung allerdings widersprechen jetzt die Devisen-Experten der Commerzbank deutlich. "Um Rubel zu erwerben, muss niemand die Sanktionen gegen die russische Zentralbank brechen", schreiben sie in einer aktuellen Analyse. "Rubel – wie jede andere Währung der Welt – gibt es nicht nur bei der Zentralbank, sondern auch bei Geschäftsbanken."

Zwar hat die EU einige russische Banken sanktioniert und aus dem Swift-System ausgeschlossen. Die relevanten Geldhäuser für die Energie-Importe, wie etwa die Gazprombank, spüren aber bisher noch keine Sanktionen. Deutsche Unternehmen konnten ihre Gasrechnungen also bequem über das Swift-System in Euro bezahlen – die nun durch den Rubel ersetzt werden sollen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jens Südekum
  • Statement des VCI
  • Commerzbank: Tagesinfo Devisen
  • Commerzbank: Tagesinfo Rohstoffe
  • New York Times: Europe and the U.S. Make Ambitious Plans to Reduce Reliance on Russian Gas
  • New York Times: Why the U.S. Can’t Quickly Wean Europe From Russian Gas
  • NZZ: Gas nur noch gegen Rubel: Putin will die Europäer verwirren – und spalten
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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