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Notfallplan Gas: Drohen Nachzahlungen für Verbraucher? Das bedeutet die Alarmstufe


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"Massive Preisanstiege"
Dieses Gesetz kann für die Deutschen teuer werden


Aktualisiert am 24.06.2022Lesedauer: 5 Min.
Robert Habeck: Der Wirtschaftsminister hat am Donnerstag die Gas-Alarmstufe ausgerufen.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck: Der Wirtschaftsminister hat am Donnerstag die Gas-Alarmstufe ausgerufen. (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)
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Wirtschaftsminister Robert Habeck hat die Gas-Alarmstufe ausgerufen. Die Folgen für Verbraucher sind gravierend.

Man sieht Robert Habeck die Anstrengungen der vergangenen Tage an, als er am Morgen zur Pressekonferenz kommt. Er ist besorgt: Denn das, was er verkündet, zeigt, wie ernst die aktuelle Lage ist.

"Wir haben in Deutschland eine Störung der Gasversorgung", sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Berlin. Daher sei es erforderlich, die Alarmstufe des Notfallplans Gas auszurufen (t-online berichtete): "Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschland."

Die Alarmstufe bringt noch keine staatlichen Eingriffe in den Gasmarkt. Doch Verbraucher und Firmen dürften sie dennoch spüren. t-online erklärt, was die Ausrufung des Alarms bedeutet.

Warum hat Habeck jetzt die Alarmstufe ausgerufen?

Kurz gesagt: Es liegt an den Gasspeichern, konkret daran, dass sie zu leer sein könnten. Das Wirtschaftsministerium habe verschiedene Szenarien durchgerechnet, wie sich die Speicherstände bis zum Winter verändern werden. Derzeit fließt nur etwa 40 Prozent des verabredeten russischen Gases nach Deutschland, der Speicherstand liegt bei rund 58 Prozent. Mit diesen Mengen könnte es im Winter knapp werden, so Habeck.

Russland streitet ab, dass die Lieferungen aus politischen Gründen gedrosselt wurden. Stattdessen gebe es Verzögerungen bei Reparaturarbeiten, weil eine Turbine im Ausland feststecke. Doch Habeck sieht in diesen Erklärungen lediglich Vorwände und warf Kremlchef Wladimir Putin unlängst einen "ökonomischen Angriff" vor.

Und weitere Einschränkungen sind bereits absehbar: Eine geplante Wartung der Pipeline Nord Stream 1 wird ab dem 11. Juli die Gaszufuhr für 10 Tage einschränken. Ein weiterer Faktor: Mit der Alarmstufe ebnet der Bund auch den Weg dafür, Kohlekraftwerke zur Verstromung einzusetzen und so Gas zu sparen (siehe unten).

Was beinhaltet die zweite Stufe?

In der sogenannten Alarmstufe kümmern sich die Versorger noch in Eigenregie um eine Entspannung der Lage. Das geschieht beispielsweise durch einen Rückgriff auf ihre Gasspeicher, den Kauf von Erdgas aus alternativen Lieferquellen oder die Verschiebung von Erdgas innerhalb der überregionalen Pipeline-Netze. Doch die Alarmstufe ist die Vorstufe einer Notsituation, die verhindert werden soll.

Durch die im Mai beschlossene Preisanpassungsklausel, im Energiesicherungsgesetz eingefügt, ist es Versorgern erlaubt, hohe Einkaufspreise für Erdgas auch bei langfristigen Verträgen direkt an ihre Kunden weiterzureichen (siehe unten). "Alle hiervon betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette (haben) das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen", heißt es in Paragraf 24.

Voraussetzung dafür ist nämlich das Ausrufen der Alarmstufe. Doch es gibt noch eine weitere Bedingung: Die Bundesnetzagentur muss dafür – zusätzlich zur Alarmstufe – förmlich "eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen" feststellen. Dabei geht es also nicht nur darum, wie viel Gas durch die Ostsee-Pipeline fließt. Die Bundesnetzagentur wird dies aber zunächst nicht tun, wie Habeck auf der Pressekonferenz sagte.

Was bedeutet das für Verbraucher?

Nichts Gutes. Die Gaspreise für Verbraucher dürften drastisch steigen – vorausgesetzt, die Preisanpassungsklausel greift (siehe oben). Laut Jens Südekum, Regierungsberater und Ökonom an der Uni Düsseldorf, werde das aber "nicht mehr lange dauern". "Dann dürfen die Versorger auch langfristige Verträge anpassen und die höheren Kosten durchreichen. Es drohen dann massive Anstiege der Endkundenpreise", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.

"Analysten rechnen mit einer Vervierfachung bis Versechsfachung", so Südekum. "Das wären heftigste Preisschübe, auf die wir uns einstellen müssen. Die Inflation würde nochmals spürbar nach oben gehen."

Laut dem Vergleichsportal Verivox haben die Grundversorger für Juni, Juli und August bereits insgesamt 150 Tariferhöhungen der Gaspreise angekündigt – um durchschnittlich 35 Prozent, was bei einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden (vierköpfige Familie) Mehrkosten von 635 Euro pro Jahr entspräche. Und Verivox rechnet mit einer "größeren Preiserhöhungswelle" spätestens im Herbst, heißt es. Auch Preiserhöhungen von deutlich mehr als 35 Prozent seien möglich.

Verbraucherschützer: "Es wird unangenehm"

Auch Verbraucherschützer schlagen jetzt Alarm. "Es wird unangenehm für die Deutschen", sagte Udo Sieverding, Bereichsleiter Energie bei der Verbraucherzentrale NRW, im Gespräch mit t-online. Die Deutschen müssten sich auf deutlich höhere Preise einstellen, wenn die Preisanpassungsklausel greift, auch für Strom (mehr dazu lesen Sie hier). Er rät Verbrauchern daher, schon jetzt Geld auf die Seite zu legen, wo das möglich ist – und fordert ein weiteres Entlastungspaket.

Die Energiewirtschaft hält sich bislang mit Prognosen noch zurück. "Wie sich die Ausrufung der Alarmstufe auf die Endkundenpreise auswirken wird, lässt sich derzeit noch nicht genau abschätzen", so die Vorsitzende des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae. "Klar ist, dass aufgrund des ohnehin sehr hohen Börsenpreisniveaus der Druck auf die Gaspreise weiter steigen wird."

Was sagt die Industrie dazu?

Aus der Industrie gab es zunächst Zustimmung. "Die Maßnahme ist folgerichtig, um auf die zunehmend ernste Versorgungslage zu reagieren und die Märkte zu stabilisieren. Das gilt gleichermaßen für Erdgasmengen wie explodierende Preise", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup. Das Vorgehen der Bundesregierung sei verantwortlich, dennoch bedeute das große Herausforderungen für die Industrie.

Ähnlich äußerte sich auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian: "Zwar ist die Versorgung mit Gas kurzfristig noch gesichert, dennoch sind die Unternehmen über die Branchen hinweg in allerhöchster Sorge. Es ist gut, dass die Bundesregierung die Weitergabe der höheren Gaspreise an die Kunden trotz bestehender Verträge aktuell nicht ermöglicht und selbst inzwischen die großen Nachteile eines solchen Verfahrens sieht."

Warnung vor Gasrationierung

Der Industrieverband Hamburg (IVH) warnte vor Rationierungen bei der Gasversorgung der Unternehmen. Schon jetzt unternähmen die Industriebetriebe "unter dem erheblichen Druck der galoppierenden Gaspreise" alles Mögliche, um den Verbrauch zu senken, sagte IVH-Chef Matthias Boxberger. "Weitere maßgebliche Einsparungen wären nur erreichbar, wenn die Produktion gedrosselt würde. Dies hätte gravierende negative Folgen für Lieferketten und den gesamten Wirtschaftskreislauf."

Auch Wirtschaftsminister Habeck sieht diese Gefahr und will Rationierungen möglichst vermeiden. "Das soll nicht passieren, in keinem Monat, im besten Fall", sagte er, fügte aber hinzu: "Ich kann es natürlich nicht ausschließen, weil es so voraussetzungsreich ist, was wir tun. Aber es ist kein Szenario, auf das wir hinarbeiten – im Gegenteil."

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BASF mit "Sonderalarmplan Erdgas"

Rationierungen würden viele Branchen treffen, doch besonders gasintensiv ist die Chemieindustrie. Der weltgrößte Chemiekonzern BASF sieht dafür kurzfristig auch keine Alternativen. Das Unternehmen hat einen "Sonderalarmplan Erdgas" für seinen weltweit größten Standort in Ludwigshafen ausgearbeitet, in dem detailliert aufgelistet ist, wie BASF auf Gaskürzungen oder Druckschwankungen reagieren wird.

Einzelheiten nennt der Konzern nicht und lässt nur wissen, dass Ludwigshafen mit reduzierter Last weiterbetrieben werden könnte, wenn die Versorgung nicht unter etwa 50 Prozent des maximalen Gasbedarfs sänke.

Was bringt die Aktivierung der Alarmstufe wirklich?

Die Alarmstufe bringt noch keine staatlichen Eingriffe in den Gasmarkt, der wäre erst bei der Notfallstufe möglich. Auch Habeck sagte, der Markt sei noch in der Lage, die Mengen zu besorgen, die zur Versorgungssicherheit und für eine moderate Befüllung der Speicher benötigt würden.

Die Ausrufung der Alarmstufe ist aber auch eine Voraussetzung für die Umsetzung der Pläne der Bundesregierung, dass vermehrt Kohlekraftwerke wieder ans Netz geholt werden, um Erdgas bei der Stromproduktion einzusparen.

Das entsprechende Gesetz soll am 8. Juli den Bundesrat passieren. Habeck sagte, die Kraftwerksbetreiber bereiteten sich bereits darauf vor, dann in zweieinhalb Wochen Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen.

"Jetzt herrscht Alarmstimmung"

Verbraucherschützer Sieverding sieht neben dem "rechtlich soliden Fundament", das der Bund mit der Alarmstufe schaffe, noch einen weiteren Vorteil der Alarmstufe: einen psychologischen Faktor.

"Den Menschen muss klar werden: Jetzt herrscht Alarmstimmung", sagte er t-online. "In den kommenden Monaten werden harte Eingriffe kommen. Jetzt sollten sich die Menschen darauf einstellen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Udo Sieverding
  • Pressemitteilung DIHK
  • Schriftliches Statement Verivox
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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