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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Versicherer schätzen Die Flut-Reparaturen dauern länger – und werden teurer
Steigende Materialpreise und Lieferschwierigkeiten drohen den Wiederaufbau im Flutgebiet zu erschweren. Die Versicherungswirtschaft warnt davor, dass teures Baumaterial und eine hohe Nachfrage nach Handwerkern die Kosten nach oben treiben.
Der Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe im Juli könnte deutlich teurer werden und länger dauern als bislang gedacht. "Neue behördliche Auflagen können den Wiederaufbau von Gebäuden teurer machen", sagte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), t-online.
"Lieferschwierigkeiten bei Baumaterial und haustechnischen Geräten treiben die Kosten nach oben und nicht zuletzt sind Baumaterialien und Handwerkerleistungen aufgrund der hohen Nachfrage erheblich teurer als sonst", so Asmussen weiter.
Die Höhe der Schäden durch Tief "Bernd" beziffert der Branchenverband bei "merklich über sieben Milliarden Euro". Eine weitere Folge der hohen Handwerkernachfrage: Die Dauer des Wiederaufbaus könnte sich die Länge ziehen.
Pflichtversicherung im Gespräch
In den Wochen nach der Katastrophe hatten Politiker in den betroffenen Gebieten, wie etwa der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach, eine verpflichtende Elementarschutzversicherung gefordert. Auch die Ökonomin Monika Schnitzer sieht eine Pflichtversicherung als probates Mittel, um Hilfezahlungen durch den Staat unnötig zu machen. Die Versicherungsbranche hält das für den falschen Ansatz. "Eine Versicherungspflicht als singuläre Lösung lehnen wir ab", sagt Asmussen jetzt.
Auch R+V-Chef Norbert Rollinger sprach sich im Gespräch mit t-online klar gegen eine Versicherungspflicht aus: "Eine Pflichtversicherung löst keine Probleme. Im Gegenteil: Sie kann die Probleme sogar noch verschärfen. Denn sie hält davon ab, dass Hauseigentümer für ausreichenden Eigenschutz sorgen. Zudem wäre es ein unangemessener Eingriff in die Freiheit."
Bericht: Extremwetter sorgt jährlich für Milliardenschäden
Der GDV fordert daher, dass Prävention und Klimafolgenanpassung stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung gerufen werden und auch politisch eine höhere Bedeutung bekommen. Denn jedes Jahr entstehen in Deutschland Wetterschäden in Milliardenhöhe. Das geht aus dem Naturgefahrenreport 2021 des GDV hervor, der t-online vorab vorliegt.
So fielen im Jahr 2020 – ganz ohne besondere Katastrophen – allein Elementarschäden von über 1,6 Milliarden Euro an. Ähnliche Werte gelten für auch für frühere Jahre. Versicherungen gegen diese Schäden abzuschließen sei aktuell kein Problem. Auch im Flutgebiet seien 99 Prozent der Häuser problemlos versicherbar, erklären Versicherungsvertreter immer wieder
Es liege vor allem am mangelnden Risikobewusstsein, dass aktuell nur etwa 46 Prozent aller Privathäuser gegen Naturgefahren wie Hochwasser und Überschwemmungen versichert sind. Der Bund der Versicherten hingegen verweist auch auf hohe Selbstbeteiligungen und teure Prämien für Versicherungsschutz in gefährdeten Gebieten, die Menschen vom Abschluss entsprechender Policen abhielten.
Asmussen: "Natur wartet nicht auf unsere Entscheidungen"
Die jüngste Flutkatastrophe war dabei ein besonders starker Ausreißer. "Es ist das schlimmste Jahr für die Versicherungsbranche seit den 70er-Jahren", sagt Rollinger. "Wir werden dieses Jahr mindestens 965 Millionen Euro an Elementarschäden bei der R+V bezahlen müssen."
Bislang habe seine Versicherung 157 Millionen Euro an die Flutopfer ausgezahlt. Die durchschnittliche Höhe der Erstattungen liege bei 42.000 Euro, so der Versicherungschef: "Die Auszahlungen werden uns noch die nächsten drei Jahre beschäftigen."
Doch in Zukunft könnte es häufiger zu Ausreißern kommen. "Mehr Starkregen auf der einen Seite bedeutet auch mehr Dürre auf der anderen und wir erwarten, dass die Extreme noch weiter auseinanderdriften, wir verlieren die Mitte", so die Einschätzung des GDV. Dadurch seien in den kommenden Jahren auch Landstriche betroffen, die bisher keine extremen Wetterlagen erleben. Es müsse daher schnell gehandelt werden, denn "die Natur wartet nicht auf unsere Entscheidungen".
Schweiz und Österreich als Vorbilder
Statt Pflichtversicherungen brauche es vor allem transparentere Informationen über gefährdete Gebiete und "letztlich staatliche Bauvorgaben". Gerade wenn die öffentliche Hand in Bauvorhaben eingebunden sei, müsse stärker auf Gefahrenlagen geachtet werden, so R+V-Chef Rollinger.
"Wir appellieren an die Politik, nur Grundstücke aus der öffentlichen Hand zu verkaufen, die nicht von Flut oder anderen Katastrophen wie etwa Schnee, Hohlräumen im Ruhrgebiet oder Felsabgängen bedroht sind." Die Auswirkungen des Klimawandels verstärkten diese Notwendigkeit. "Es darf nicht mehr auf Teufel komm raus gebaut werden, nicht mehr nur, weil es aus fiskalischen Gründen erforderlich ist."
In anderen Ländern gibt es entsprechende Regulierungen. "In der Schweiz etwa heißt es: In überschwemmungsgefährdeten Gebieten wird nicht gebaut. In Deutschland gibt es zahlreiche Ausnahmen", sagt GDV-Chef Asmussen.
Für transparentere Informationen kann ein anderes europäisches Nachbarland als Vorbild dienen. So gibt es in Österreich seit einigen Jahren eine Plattform, auf der sich die Bürger über die Gefahrenlage an ihrem Wohnort informieren können. Die Daten gäbe es, so zeigt etwa eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, dass in Deutschland rund 1,2 Millionen Wohnimmobilien in Gebieten stehen, die von Starkregen besonders gefährdet sind.
- Interview mit Jörg Asmussen
- Interview mit Norbert Rollinger
- Naturgefahrenreport 2021
- Hora.gv.at
- Tagesschau: Was spricht für eine Pflichtversicherung?