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Wirecard-Jäger: Deutsches Unternehmen lässt Wirecard wie Chorknaben erscheinen


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Leerverkäufer Perring
"Wirecard war ein komplett kriminelles Unternehmen"


Aktualisiert am 18.06.2021Lesedauer: 6 Min.
Fraser Perring: "Wirecard war ein komplett kriminelles Unternehmen."Vergrößern des Bildes
Fraser Perring: "Wirecard war ein komplett kriminelles Unternehmen." (Quelle: Hannah McKay/reuters)
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Vor genau einem Jahr begann der Anfang vom Ende des einstigen Dax-Stars Wirecard. Einer, der diesen Tag lange vorhersah, ist Fraser Perring. Jetzt packt der Wirecard-Jäger aus.

Es gibt wenige Menschen, die an der Börse mehr Feinde haben als er: Fraser Perring ist verhasst und gefürchtet zugleich. Der Brite ist ein sogenannter Shortseller, wettet also auf fallende Aktienkurse und veröffentlicht in diesem Zuge regelmäßig Recherchen, die Ungereimtheiten in Bilanzen belegen und Betrugsfälle aufdecken sollen.

Auch beim Absturz von Wirecard spielte Perring eine entscheidende Rolle. Als der einstige Börsenstar im Leitindex Dax vor exakt einem Jahr in sich zusammenbrach, weil rund 1,9 Milliarden Euro in den Büchern fehlten, hatte Perring das Unternehmen bereits vier Jahre gejagt.

Heute ist klar: Hätte Deutschlands Finanzaufsicht Bafin eher auf Perring und dessen Recherchen gehört, wäre es womöglich nie dazu gekommen, dass Tausende Kleinanleger viel Geld mit dem Absturz der Wirecard-Aktie verloren.

t-online hat Perring anlässlich des einjährigen Skandaljubiläums virtuell zu einem seiner sehr seltenen Interviews getroffen. Ein Gespräch über seine Wette gegen Wirecard und über weitere deutsche Unternehmen, die er ins Visier nimmt.

t-online: Mister Perring, vor genau einem Jahr erklärte Wirecard, dass 1,9 Milliarden Euro in den Bilanzen fehlen. Können Sie sich noch an das Gefühl erinnern, das Sie in diesem Moment hatten?

Fraser Perring: Genugtuung! Und Erleichterung, dass es endlich vorbei ist. Denn ich hatte ja nicht nur viel Geld auf den Sturz der Aktie gesetzt, Wirecard hatte mich und mein Umfeld jahrelang überwacht. Und ich war überrascht, dass die fehlende Summe so niedrig war. Ehrlicherweise hatte ich erwartet, dass weit mehr Geld fehlt.

Tatsächlich?

Ja, mindestens das Doppelte. Wobei das gar nicht der Kern des Skandals ist. Viel schlimmer als die fehlenden 2 Milliarden Euro auf den philippinischen Konten sind bis heute die rund 20 Milliarden Euro, die durch den Fall der Aktie verbrannt wurden. Dieser eigentliche Betrug geht auf die Analysten zurück, die über Jahre Kaufempfehlungen für die Wirecard-Aktie ausgesprochen hatten – und dafür ihrerseits viele Gebühren kassiert haben.

Sie waren der schärfste Kritiker Wirecards, schon 2016 veröffentlichten Sie einen Recherchereport, in dem Sie das Wort "Betrug" 77 Mal verwendeten. Warum dauerte es so lange, bis der Konzern implodierte?

Das frage ich mich auch. Tatsächlich hat es viel zu lange gedauert, bis allen klar war: Wirecard war ein komplett kriminelles Unternehmen. Die einzige logische Erklärung dafür ist, dass viel zu viele Menschen an das Märchen vom "Börsenstar" Wirecard glauben wollten, inklusive der Finanzaufsicht Bafin. Wirecard war das Lieblingsunternehmen der Deutschen. Und alle haben es beschützt.

Der Wirecard-Jäger
Fraser Perring, geboren 1973, ist ein britischer Leerverkäufer. Mit seinem Unternehmen Viceroy Research wettet er an der Börse auf fallende Aktienkurse. Seit 2016 setzte er gegen Wirecard, veröffentlichte im selben Jahr unter dem Namen seiner damaligen Shortseller-Firma "Zatarra Research" einen kritischen Bericht über das Münchner Unternehmen. In diesem Gutachten warf Perring Wirecard unter anderem Betrug vor. Seit Herbst 2020 nimmt der 47-Jährige den Leasingspezialisten Grenke aus Baden-Baden ins Visier. Die Vorwürfe: Geldwäsche und Bilanzfälschung. Der Kurs des Unternehmens brach deutlich ein. Grenke streitet alles ab und sieht sich durch mehrere Bilanzprüfungen entlastet. Perring, gelernter Sozialarbeiter, lebt mit seiner Familie in London.

Was war der Ausgangspunkt für Ihre damalige Wirecard-Recherche?

Ein Artikel des Journalisten Dan McCrum hatte mich stutzig gemacht. Er war der erste, der in der "Financial Times" über Ungereimtheiten bei Wirecard schrieb. Das war für mich der Anlass, das Unternehmen einmal unter die Lupe zu nehmen. Dabei sind uns sehr schnell weitere Dinge aufgefallen, die seltsam wirkten – etwa, dass der frühere Finanzvorstand Verbindungen zu Ölschmugglern gehabt haben soll. Also veröffentlichten wir einen umfassenden Report und erwarteten, dass die Finanzaufsicht reagiert und Wirecard zur Rechenschaft zieht.

Das aber passierte nicht, im Gegenteil: Sie wurden selbst zum Gejagten. Was für ein Gefühl war das?

Das war völlig irre. Auf einmal stand ich selbst im Fokus und nicht Wirecard. Wirecard beauftragte sogar Agenten, die mich und meine Freunde beschatteten, meinen Computer hackten, in mein Auto einbrachen und in mein Haus. Ich musste schlimme Dinge über mich lesen. Wenige Tage noch vor dem Kollaps von Wirecard landete meine Krankenakte im Netz. Das alles war sehr beängstigend.

Stellen wir uns vor, Sie könnten den Ex-Chef von Wirecard, Markus Braun, heute treffen. Was würden Sie ihm angesichts dieser Angriffe sagen?

Nach allem, was er den tausenden Anlegern, aber auch mir persönlich angetan hat, würde ich ihm sagen: "Schämen Sie sich! Jetzt bekommen Sie, was Sie verdienen." Und wahrscheinlich würde ich hinzufügen: "Ich finde es widerlich, dass Sie nur zehn Jahre hinter Gitter kommen sollen." Doch soll ich Ihnen etwas verraten?

Ja, bitte.

Um Markus Braun geht es mir heute gar nicht mehr. Viel ungerechter ist, dass die Leute noch arbeiten, die Jagd auf Shortseller wie mich machen und die von Wirecard angestellt wurden. Wirecard ist fertig. Die Agenten aber, die mich fotografiert haben, die bei mir einbrachen, sollten sich auf etwas gefasst machen und wissen: Wenn ich komme, gewinne ich. Sie werden sich den Zeitpunkt zurückwünschen, als sie noch nicht wussten, wer ich bin.

Klingt, als hätten Sie weiterhin viel Groll. Dabei könnten Sie sich doch auch freuen, schließlich haben Sie durch das Leerverkaufen der Wirecard-Aktie viel Geld verdient. Können Sie uns verraten, wie viel?

(lacht) Nein. Aber es war sehr viel.

Mit einer solchen Antwort hatten wir gerechnet.

Es war wirklich ein Vermögen. Aber: Hätten Sie mir dieselbe Frage Anfang Juni vergangenes Jahr gestellt, hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass ich mir schon bald einen neuen Job suchen müsste.

Warum?

Weil ich sogar mein Haus auf den Untergang von Wirecard gesetzt hatte. Das würde ich natürlich niemandem empfehlen zu tun, aber ich habe es damals gemacht. Noch in den letzten Stunden vor dem Kollaps von Wirecard ging der Kurs noch einmal steil nach oben – und ich hatte meine Bank am Telefon, die nach weiteren Sicherheiten verlangte. Die hatte ich da aber nicht mehr. Fast wäre für mich alles schief gegangen.

Am Ende aber ging es gut für Sie aus.

Ja und nein. Klar, finanziell habe ich Gewinn gemacht. Und doch denke ich heute, dass es das alles nicht wert war. Hätte ich vorher gewusst, in welche Schlacht wir ziehen, mit welchen Methoden unser Gegner kämpft, hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht. Noch heute schulde ich so vielen Menschen eine Entschuldigung: Freunden, die ich vier Jahre lang kaum sehen konnte aus Angst, dass die Agenten von Wirecard mir folgen und auch in ihre Häuser einbrechen. Sogar meine Tochter habe ich wegen Wirecard mehrere Jahre kaum gesehen, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Ich würde mir Wirecard deshalb wahrscheinlich nicht noch einmal vornehmen.

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Kann es denn ein zweites Wirecard überhaupt noch geben – kann ein deutsches Unternehmen noch einmal in so großem Stil betrügen?

(lacht) Wer weiß, vielleicht gibt es da tatsächlich einen Kandidaten.

Sie spielen auf das Unternehmen Grenke aus Baden-Baden an, das Sie schon seit Längerem im Visier haben.

Nein, ich meine nicht Grenke. Überhaupt haben wir immer gesagt, dass Grenke niemals ein zweites Wirecard ist.

Welche Firma meinen Sie dann?

Sagen wir es so: Es gibt da ein deutsches Unternehmen, das Wirecard wie einen Chorknaben erscheinen lässt.

Etwas genauer bitte.

Stellen Sie sich eine Firma vor, die in einem deutschen Aktienindex gelistet ist, und die sich möglicherweise Geldwäsche und Bestechung hat zuschulden kommen lassen. Denken Sie an einen Whistleblower, der der Bankenaufsicht Bafin einen Tipp geben wollte, abgewiesen wurde und deshalb zu mir kam.

Klingt, als könnten Sie da einen großen Fisch an der Angel haben.

Oh ja. Ich bin sehr gespannt, was daraus wird. Wir recherchieren seit Oktober vergangenen Jahres an diesem Fall. Wir haben Zugang zu palettenweise belastenden Dokumenten. Viel mehr kann ich jetzt zwar noch nicht sagen, klar ist aber: Dieses Unternehmen dürfte große Schwierigkeiten bekommen.

Dann fragen wir etwas allgemeiner weiter: Warum haben Sie es immer wieder auf deutsche Aktiengesellschaften abgesehen?

Dafür gibt es einen sehr einfachen Grund. Die Deutschen sind sehr gründlich bei allem – auch beim Täuschen und Betrügen. Typisch deutsch führen sie über alles Buch und machen es uns so vergleichsweise leicht. So war es auch bei Wirecard: Die Strohmänner in Asien etwa mussten wir nicht lange suchen, weil sie gar nicht versteckt waren. Sie standen mit ihren echten Namen in den offiziellen Handelsregistern.

Das heißt, Sie wählen oft den Weg des geringsten Widerstandes.

In gewisser Weise, ja. Ich habe nichts gegen Deutschland oder deutsche Unternehmen. Doch deutsche Firmen sind eben sehr anfällig für das, was meine Kollegen und ich tun.

Viele Menschen denken, Shortseller wie Sie sind an der Börse die Bösen, weil Sie auf fallende Aktienkurse wetten. Hat sich das Bild durch den Wirecard-Skandal gewandelt, weil jetzt klar ist, dass Sie der Bankenaufsicht mit Ihrer Arbeit auf die Sprünge helfen können?

Nicht wirklich. Ein Problem ist, dass viele Medien immer noch das Wort "Attacke" benutzen, wenn es um Shortseller geht. Dadurch machen sie die betrügerischen Unternehmen zum Opfer. So war es auch bei Wirecard: Das Management stritt die Vorwürfe ab und behauptete, es sei unschuldig. Markus Braun und seine Kollegen sagten, die Shortseller hätten sie ohne Grund attackiert, dass wir Lügen über sie verbreiteten.

Glauben Sie, dass sich diese Sichtweise einmal ändert?

Nein. Die meisten Menschen haben nun mal eine bestimmte Einstellung – und verstehen nicht, dass wir Shortseller sie potenziell davor bewahren, Geld zu verlieren. Denn eines ist klar: Wenn es keinen Betrug gäbe, wäre ich arbeitslos.

Mister Perring, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Videointerview mit Fraser Perring
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