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Zum journalistischen Leitbild von t-online.GDL-Chef Weselsky "Die Streiks werden härter und länger als in der Vergangenheit"
Der Tarifstreit bei der Bahn spitzt sich zu: Die Lokführer-Gewerkschaft GDL droht kurz vor der Urlaubssaison
Die Temperaturen steigen, die Inzidenzen sinken und die Deutschen warten sehnsüchtig auf den Urlaub. Ohne Stau entspannt in den Urlaub zu kommen, damit wirbt die Deutsche Bahn – und hat offensichtlich die Rechnung ohne die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) gemacht. Kurz vor der Urlaubssaison kämpfen beide Seiten ihren Tarifstreit mit harten Bandagen aus, die Gewerkschaft droht mit Streiks.
Das weckt Erinnerungen an 2015. Hier stand der Bahnverkehr im Mai fast vollständig für sechs Tage, als die GDL zum größten Streik der Bahngeschichte aufrief. Und das war womöglich noch gar nichts, warnt Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der GDL, im Interview mit t-online.
t-online: Herr Weselsky, nächste Woche beginnen die Sommerferien, alle freuen sich auf Urlaub und Sie drohen mit Streik. Wann werden Sie das Land lahmlegen?
Claus Weselsky: Zunächst einmal: Wir wollen das Land gar nicht lahmlegen. Unser Ziel ist es, ohne Streiks mit der Bahn zu einer Tarifeinigung zu kommen. Wir haben unsere Forderungen bereits im Mai reduziert – jetzt ist das Management der Deutschen Bahn dran. Bekommen wir ein ordentliches Angebot, ist alles gut. Aber wenn die Bahn sich nicht bewegt, bleibt uns keine Wahl. Dann gibt es Streiks.
Das heißt, Sie können nicht ausschließen, dass Züge in den Sommerferien ausfallen werden?
Nein, ich kann Streiks in den Sommerferien nicht ausschließen. Das kann nur die Bahn. Sie muss ein Angebot auf den Tisch legen, das es verdient, verhandelt zu werden. Es liegt allein an der Bahn, Arbeitskampfmaßnahmen zu verhindern. Das ist kein Spaß, das ist bitterer Ernst. Die Kolleginnen und Kollegen warten nur auf das Signal. Kommt kein Angebot, gehen wir in den Ausstand, sodass die Kunden der Bahn massive Einschränkungen spüren werden.
Wie lange könnte der Streik denn dauern?
Diese Streiks werden härter und länger als in der Vergangenheit. Den Managern in der Bahnzentrale scheint das Gedächtnis zu fehlen, wie die letzten Streiks der GDL ausgefallen sind. Stattdessen stecken sie den Kopf in den Sand und geben uns in der Öffentlichkeit die Schuld. Dabei vergessen sie: Für einen Tarifkonflikt braucht es immer zwei.
Bei vielen Menschen sorgen solche Ankündigungen für Unverständnis. Sie haben eine Pandemie hinter sich und freuen sich auf ein paar unbeschwerte Monate, in denen sie verreisen können. Muss ein Streik da wirklich sein?
Es gibt keine richtige Zeit für Bahnstreiks aus Sicht der Kunden. Die Frage ist also nicht, ob der Streik nach der Pandemie kommt oder mitten in der Urlaubszeit, sondern ob die Bahn so einen Tarifstreit heraufbeschwören muss. Tausende Lokomotivführer und Zugbegleiter werden in den kommenden Wochen in den Streik eintreten, weil sie die Nase voll haben von einer Geschäftsführung, die nur an sich denkt und die Schuld auf die Mitarbeiter abwälzen will.
Zuletzt gab es Verwirrung darüber, was genau Sie eigentlich erreichen wollen. Können Sie noch einmal zusammenfassen, was konkret Sie nun fordern?
Wir haben Ende Mai unsere Forderungen verringert und möchten dieselben Gehaltserhöhungen, wie sie bei der Tariferhöhung im öffentlichen Dienst beschlossen worden sind. Das bedeutet: In diesem Jahr eine Einkommenserhöhung um 1,4 Prozent und 2022 um 1,8 Prozent. Die Laufzeit des Tarifs wäre dabei auf 28 Monate ausgelegt. Dazu möchten wir einen Corona-Bonus von 600 Euro, statt – wie ursprünglich gefordert – 1.300 Euro.
Und da spielt die Arbeitgeberseite nicht mit?
Nein, die Deutsche Bahn will den Eisenbahnern sogar noch ihre Mini-Betriebsrente zwischen 100 bis 150 Euro wegnehmen.
Die Bahn schlägt andere Töne an, sagt, Sie hätten jüngst ein Angebot abgelehnt, das ihren Mitarbeitern eine Lohn- und Gehaltssteigerung von 3,2 Prozent eingebracht hätte – wie im öffentlichen Dienst an Flughäfen. In der Summe sind das doch genau die Zahlen, die Sie verlangen, oder?
Da kommt die perfide Art der Deutschen Bahn zutage: Sie täuscht gezielt die Öffentlichkeit mit Aussagen, die schlicht nicht stimmen. Die Bahn wollte, dass wir einen Notlagentarifvertrag für die Flughäfen unterschreiben, der bis 2024 gehen soll. Hier würden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst 2022 eine Gehaltserhöhung erhalten. Die Flughäfen aber hatten den Betrieb in der Pandemie zeitweise heruntergefahren, während die Züge weiter gerollt sind. Das heißt: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich den Pandemiebedingungen Tag für Tag gestellt und sollen nun eine Nullrunde fahren? Mit uns gibt es das nicht.
In Ihren Worten liegt viel Wut. Wie tief sind die Gräben zwischen Ihnen und dem Bahnvorstand inzwischen?
Das Verhältnis ist momentan nicht gut. Wir sind aber professionell genug, um dennoch gute Ergebnisse am Verhandlungstisch zu erzielen – wenn uns die Bahn denn ein vernünftiges Angebot hinlegt. Es handelt sich nicht um einen Konflikt zwischen einzelnen Personen, sondern zwischen einem Management, das sich die Taschen vollstopft, und vielen Eisenbahnern, denen die Betriebsrente weggenommen werden soll.
Andere Medien berichten zuletzt, dass Sie in den Verhandlungen die Vorschläge der Bahn als nachvollziehbar und korrekt bezeichnet hätten. Woher kommt der Wandel?
Es stimmt, diesen Satz habe ich gesagt. Aber in einem ganz anderen Zusammenhang. Und auch das scheint bei einigen Medien dazuzugehören: Schlechte Recherche oder womöglich der Wunsch, etwas bewusst verzerrt darzustellen. Wir zweifeln nicht an, dass die Bahn in der Pandemie Verluste gemacht hat, aber wir zweifeln sehr wohl an, dass der Eisenbahner dafür den Kopf hinhalten soll. Dem kleinen Mann soll nun in die Tasche gegriffen werden, damit die Manager weiter Schampus trinken können. Ja, die Bahn muss Geld sparen, aber das geht anders.
Konkret hat die Bahn vergangenes Jahr rund 70 Prozent weniger Einnahmen erzielt, das bedeutete für den Konzern einen Milliardenverlust. Wenn Sie eine verantwortungsbewusste Gewerkschaft sind, warum nehmen Sie darauf nicht Rücksicht?
Rücksicht und Solidarität werden immer nur dann beschworen, wenn es dem Management dienlich ist. Es gibt in diesem Konzern aber keine Solidarität zwischen den Führungsebenen und den Mitarbeitern, schon seit Jahren nicht: Oben herrscht eine Selbstbedienungsmentalität. Wie dick kann der Firmenwagen werden, wie hoch sind die Bezüge? Unten aber sollen die Eisenbahner eine Nullrunde hinnehmen – was bei der aktuellen Inflation sogar eine Gehaltskürzung bedeutet.
Und dennoch sind Sie der Buhmann. Wie kommt es dazu, warum werden Sie offenbar immer wieder missverstanden?
Das weiß ich nicht. Wir verteilen unsere Pressemitteilungen, aber die Bahn übertüncht sie mit ihrer Propagandaabteilung. Die Bahn redet die GDL absichtlich klein.
Größe ist tatsächlich ein wichtiger Punkt: Seit Ende 2020 wendet die Deutsche Bahn das Tarifeinheitsgesetz an. Das bedeutet: Nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft zählt, die am meisten Mitglieder hat, also jener der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Inwiefern fechten Sie hier eigentlich einen Machtkampf aus?
Wir versuchen nur die Tarifvereinbarungen, die wir erkämpfen, auch durchzusetzen und mehr Mitglieder zu werben. Wo ist das ein Machtkampf? Wir haben seit Jahren die besseren Verträge erzielt. Wenn nur der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft zählt, ist es doch legitim, sich für mehr Mitglieder als nur Lokführer in den Betrieben zu öffnen.
Aber Sie stehen in Konkurrenz zur EVG.
Die Bahn hat willkürlich festgelegt, welche Gewerkschaft in den meisten Unternehmen mehr Mitglieder vertritt. Wir gehen dagegen mit einstweiligen Verfügungen vor. Ja, einige wurden bereits vor Gericht abgelehnt, aber wir versuchen es weiter – und gehen, wenn es sein muss, auch bis zum Bundesverfassungsgericht.
Wie geht es jetzt weiter, sind Sie bereit, noch einmal an den Tisch zurückzukehren, um so Streiks abzuwenden?
Wir sind immer bereit, an den Tisch zurückzukehren. Aber nur dann, wenn ein gutes Angebot vorliegt.
Herr Weselsky, wir danken Ihnen für das Gespräch.
- Telefoninterview mit Claus Weselsky