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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schwarzbuch der Steuerzahler Das sind die skurrilsten Steuersünden in Ihrem Bundesland
Eine Bank, die fast 81.000 Euro kostet – oder gerettete Feldhamster für mehr als zwei Millionen Euro. Der Bund der Steuerzahler prangert im neuen Schwarzbuch die Verschwendung von öffentlichen Geldern an.
Eine App, in der Pommes frites den Nutzer angrinsen, ein Werbeturm, den keiner sieht, ein Hotel für Feldhamster – all diese Dinge haben eines gemeinsam: Sie sind Projekte, bei denen der Staat große Summen Steuergeld in den Sand gesetzt hat. Zumindest wenn es nach dem Bund der Steuerzahler geht.
Dieser hat am Mittwoch sein 48. Schwarzbuch der Steuerzahler vorgestellt. Darin enthalten: Dutzende Beispiele dafür, wie der Staat das Geld der Steuerzahler verschwendet. t-online zeigt Ihnen die skurrilsten Fälle aus 15 der 16 einzelnen Bundesländer:
Baden-Württemberg
In Ladenburg im Rhein-Neckar-Kreis hat Baden-Württemberg im Zuge des Neubaus einer Landesstraße eine Brücke über ein Industriegleis gebaut. Die Tücke dabei: Der Betreiber des privat genutzten Industriegleises will dieses zurückbauen. Und den Wirtschaftsweg, der ebenfalls unter der Brücke entstehen soll, gibt es noch nicht. Die Landesstraße soll ohnehin erst 2024 fertig werden. Der Bund der Steuerzahler nennt das Bauwerk deshalb "So-da-Brücke", denn sie stehe "einfach so in der Landschaft."
Kosten: Rund 1,2 Millionen Euro
Bayern
Im bayrischen Erding soll ein Tunnel entstehen. Allerdings nicht für Autos unter einem Berg hindurch oder für Radfahrer unter einer Straße. Vielmehr sollen die Bediensteten des städtischen Rathauses vom "Grafenstock", dem historischen Rathaus, per pedes ins "neue Rathaus" gelangen, einem Erweiterungsbau der städtischen Verwaltung. Die Verwaltungsgebäude liegen an beiden Seiten der Landshuter Straße. Die Stadt erläutert die Notwendigkeit laut Steuerzahlerbund mit dem "Abstimmungsbedarf" der Rathausmitarbeiter – doch einfach über die Straße gehen, können die Mitarbeiter nicht, kritisiert der Steuerzahlerbund.
Kosten: Mindestens 1,1 Millionen Euro
Berlin
In Berlin flossen binnen acht Tagen, nachdem der Berliner Senat die Weichen dafür gestellt hatte, bereits Corona-Soforthilfen. Laut dem Bund der Steuerzahler sei dies viel zu überstürzt gewesen. Denn die Anträge seien nicht richtig geprüft worden. Insgesamt sind binnen zwei Wochen rund 1,6 Milliarden Euro geflossen.
Kosten: Mehr als 1,6 Milliarden Euro
Bremen
Eigentlich sollte die Akte um das 1919 vom Stapel gelassene US-Segelschiff "Seute Deern" ("süßes Mädchen"), das 2019 ins Hafenbecken von Bremerhaven sank, geschlossen werden. Doch nun gibt es einen neuen Plan: Der Haushaltsschuss des Bundestages will eine Kopie des Schiffes finanzieren.
Kosten: Bis zu 46 Millionen Euro
Hamburg
Digitalisierung ist in Deutschland oft ein kritisches Thema. So auch in der Hansestadt: Laut Steuerzahlerbund benutzt die Hamburger Polizei noch 8.082 Computer, die auf das Betriebssystem Windows 7 laufen. Das Problem: Der Support wurde von Microsoft im Jahr 2020 eingestellt. Nun musste die Stadt einen erweiterten Supportvertrag mit Microsoft für die alten PCs abschließen.
Kosten: 476.000 Euro
Hessen
In Hessen sitzt man gerne. Zumindest könnte man diesen Eindruck gewinnen. Denn in Hanau wurde ein "Hafenbalkon", eine große Ruhebank auf einer Plattform aus wetterfestem, rostfarbenem Stahl, errichtet. Der Ausblick: Ein Gewerbegebiet am Mainufer.
Kosten: 80.650 Euro
Mecklenburg-Vorpommern
Edles Wasser aus einer Quelle in 181 Metern Tiefe – ausgerechnet auf dem Gelände der städtischen Wasserwerke in Parchim. Die mecklenburgische Kleinstadt beteiligte sich an einem Unternehmen, das das angeblich weiche und besonders geschmacksneutrale "Luxuswasser" verkaufen wollte. Ein Liter kostete rund 20 Euro und wurde nur an Restaurants geliefert. Doch das Unternehmen erwirtschaftete erst Verluste, wurde dann im Sommer 2020 aufgelöst. Zuvor hatte der Landesrechnungshof kritisiert, die Beteiligung habe keinen öffentlichen Zweck, sei also unzulässig.
Kosten: 651.000 Euro Verlust bis Ende 2018 sowie 24.000 Euro Beteiligung durch Auflösung verloren
Niedersachsen
In der Bibel ist mit dem Turmbau zu Babel von zu hohen Gebäuden die Rede. In Niedersachen versuchte man es ebenfalls mit einem Turm. Dieser wurde jedoch zu klein. Ein Werbeturm im friesischen Schortens sollte von der nahen Bundesstraße zahlungswillige Kunden anlocken. Doch er wurde nur 37 Meter hoch – statt der angepeilten 40 Meter. Deshalb ist er kaum zu sehen, kritisiert der Steuerzahlerbund. Anzeigen schalten will auf dem Turm deshalb kaum jemand.
Kosten: 707.000 Euro
Nordrhein-Westfalen
Eine Currywurst, die lächelt. Sowas findet sich höchstens im Kinderfernsehen – normalerweise. In NRW ist das Teil einer neuen App, einem Uni-Forschungsprojekt. Die App, genannt "Rendezfood", soll Kunden mit Restaurants in der Nähe zusammenbringen. Das Essen bekommt dabei Gesichter. So kann ein Hamburger auch beleidigt sein, wenn man an ihm vorbeigeht. Der Bund der Steuerzahler kritisiert: Die App sei unnötig – und vor allem unnötig teuer.
Kosten: 1,45 Millionen Euro
Rheinland-Pfalz
Die Stadt Bad Bergzabern und das Land Rheinland-Pfalz ließen sich vor mehr als zehn Jahren auf einen Deal mit einem Investor ein: Sie kauften ein Barockschloss von ihm, bauten es um und verpachteten es anschließend. Der Investor machte daraus ein Vier-Sterne-Hotel. Doch die Umbaukosten explodierten. Außerdem bekam der Investor ein Vorkaufsrecht zugesprochen – von dem er Gebrauch machte. Für 1,4 Millionen Euro erwarb er das Gebäude zurück, das als "Kurts Schloss" in die Annalen einging – benannt nach dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD).
Kosten: Verluste insgesamt von mehr als 4 Millionen Euro
Saarland
Kündigungen können für die Betroffenen ärgerlich sein. Im saarländischen Völklingen wurde das nun umgedreht: Die Stadt hat dem Geschäftsführer der Völklinger Hütte, einem Industriedenkmal, gekündigt. Allerdings hat sie die Zustellung des entsprechenden Schreibens verpatzt. Daraus folgte ein teurer Rechtsstreit, bei dem der gekündigte Manager in der ersten Instanz siegte. In der zweiten einigten sich die Parteien auf eine Vergleichszahlung.
Kosten: schätzungsweise 150.000 Euro
Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt gibt man sich tierlieb, besonders wenn es um den streng geschützten Feldhamster geht. Wegen eines neuen Gewerbegebietes in Sangerhausen sollte eine Feldhamsterzuchtstation errichtet und über zehn Jahre betrieben werden. Der Steuerzahlerbund rechnet mit Kosten von fast 20.000 Euro – pro Hamster. Doch das Projekt steht nun erst einmal auf der Kippe.
Kosten: Mindestens 2,3 Millionen Euro
Sachsen
Zu Ostern bekam jeder Bürger in Sachsen einen Brief des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). Darin erläuterte er die aktuelle Corona-Situation und warb für Verständnis. Der Bund der Steuerzahler zitiert Kritiker des Briefes, dieser sei eine "belanglose Ansammlung von Durchhalteparolen ohne den geringsten faktischen Informationsgehalt". Eine kostenfreie Ansprache im Radio oder als Interview in Zeitungen hielt die Staatskanzlei laut Steuerzahlerbund für ungeeignet.
Kosten: 426.217,54 Euro
Schleswig-Holstein
Ein altes Parkhaus in Lübeck erregt die Gemüter. Weil es nicht mehr verkehrssicher ist, soll es bald verschwinden. Der Stadtverwaltung scheint das egal zu sein, so der Steuerzahlerbund. Denn statt ein neues Parkhaus schnell zu planen, sanierte sie das alte zunächst – nur um es dann in drei Jahren endgültig abzureißen.
Kosten: 900.000 Euro
Thüringen
In Mühlhausen entsteht eine Spiellandschaft. Die Kinder vor Ort freut das zwar, nicht aber den Bund der Steuerzahler. Denn die Kosten des Spielplatzes sind stark gestiegen. Statt 866.000 Euro werden nun rund 1,1 Millionen Euro fällig, 245.000 Euro mehr als geplant. Der Grund dafür: Unter anderem wurden bei der Planung die Lampen vergessen.
Kosten: Rund 1,1 Millionen Euro
Was fordert der Steuerzahlerbund?
Der Steuerzahlerbund will Transparenz über die Steuerverschwendung schaffen. "Nur wenn wir über die Probleme sprechen, können wir Verbesserungen erreichen", sagte Reiner Holznagel, Präsident des Bundes, am Dienstag in einer Pressekonferenz.
Er äußerte sich insgesamt kritisch zur Rolle des Staats als Wirtschaftsunternehmer. Die Bedeutung von Kriterien wie Daseinsvorsorge, mit denen unternehmerisches Engagement der öffentlichen Hand begründet werde, müssten dringend "genauer definiert werden", forderte Holznagel. Der Staat baue seine wirtschaftlichen Aktivitäten seit Jahren aus, die Zahl öffentlicher Unternehmen liege inzwischen bei 18.000. Im Jahr 2017 hätten die Steuerzahler dafür 31 Milliarden Euro aufbringen müssen, ergänzte Holznagel.
Zudem fordert er, Steuerverschwendung als Straftatbestand aufzunehmen. Ebenso wie Steuerhinterziehung sei Steuerverschwendung kein "Kavaliersdelikt".
- Eigene Recherche
- 48. Schwarzbuch der Steuerzahler
- Online-Pressekonferenz
- Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP und dpa