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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neuste Wirtschaftsprognose Die Krise ist noch lange nicht vorbei
Noch vor wenigen Monaten überschlugen sich die Wirtschaftsforscher mit immer düsteren Prognosen. Nun steht fest: Die deutsche Wirtschaft trifft es weniger schlimm als erwartet. Grund zur Entwarnung gibt es aber noch nicht.
Die Corona-Krise hat die deutsche Wirtschaft zum Patienten gemacht. Die Konjunktur ist im historischen Ausmaß eingebrochen, die Zahl der Menschen in Kurzarbeit in die Höhe geschnellt. Inzwischen aber, so scheint es, schwächen sich die Symptome ab.
Zu diesem Schluss jedenfalls kommen die Volkswirte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). In dessen aktueller Konjunkturprognose heißt es: "Deutschland geht es den Umständen entsprechend gut."
Die Ökonomen rechnen in diesem Jahr mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von immerhin sechs Prozent. Zum Vergleich: Bei der Finanzkrise 2009 brach die Wirtschaftsleistung um fünf Prozent ein. Damals gingen die heimischen Ökonomen bereits von der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg aus.
Doch die jetzigen sechs Prozent sind bereits deutlich weniger, als das DIW noch etwa im Juni befürchtet hatte. Vor drei Monaten gingen die Forscher noch von einem Einbruch von 9,4 Prozent aus.
Kurzarbeit und Konjunkturpaket wirken
Der Grund für die schnelle Erholung seien unter anderem das Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Bereits im Juni hat das DIW errechnet, das Konjunkturpaket könne das BIP in diesem und nächstem Jahr jeweils um 1,3 Prozent steigern.
Auch die Kurzarbeit gehe langsam zurück, weshalb die Einkommen wieder steigen."Dem historischen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts im Frühjahr wird ein äußerst kräftiges drittes Quartal folgen, sodass wir insgesamt optimistischer sein können als noch im Sommer", sagte DIW-Konjunkturexperte Claus Michelsen.
"Zu denken, die Krise sei schnell ausgestanden, wäre falsch"
Doch auch wenn sich der Corona-Patient auf dem Weg der Besserung befindet, wird es noch lange dauern, bis er sich vollständig erholt hat, so die DIW-Forscher. "Jetzt zu denken, die Krise sei schnell ausgestanden, wäre falsch", warnte DIW-Präsident Marcel Fratzscher.
Die Ökonomen rechnen damit, "dass wir Ende 2021 oder Anfang 2022 das Vor-Krisen-Niveau erreicht haben werden", so Michelsen. Im kommenden Jahr gehen die DIW-Forscher von einem Wachstum von 4,1 Prozent aus, im Jahr 2022 nur noch von drei Prozent.
Deshalb erholt sich die Wirtschaft nur langsam
Diese langsame Erholung hat laut DIW drei entscheidende Gründe:
- Wachstum: Zurzeit zieht das Wirtschaftswachstum nur deshalb überdurchschnittlich an, weil die Ausgangsbasis landesweite Einschränkungen waren. Nun sind Geschäfte, Restaurants und Kinos bundesweit wieder offen. Ein überdurchschnittliches Wachstum ist also nichts Überraschendes. Das wird aber alsbald nachlassen.
- Angst: Die Unsicherheit für Firmen und Verbraucher sind immer noch sehr groß, da niemand genau weiß, ob oder wann eine zweite Welle kommt.
- Exporte: Die Exporte dürften als Konjunkturmotor laut DIW vorerst ausfallen. "Bei zahlreichen wichtigen Handelspartnern – etwa in den USA, aber auch in europäischen Nachbarländern – wurden Wirtschaft und Arbeitsmärkte weitaus stärker in Mitleidenschaft gezogen als hierzulande", heißt es seitens des Instituts. "Ausgerechnet die deutschen Exportschlager wie Maschinen und Fahrzeuge werden wohl längere Zeit nur recht verhalten nachgefragt werden."
In ihrer Prognose haben die Ökonomen einen Impfstoff ab dem Frühjahr 2021 eingepreist. "Wenn es doch schneller gehen würde, hilft das natürlich", so Michelsen.
Analog könnte es aber auch sein, dass die Impfstoffentwicklung länger benötigt. Oder dass es eine zweite Corona-Welle gibt. In diesem Fall rechnet das DIW mit einer Halbierung des prognostizierten Wirtschaftswachstums im kommenden Jahr.
DIW: Schuldenbremse müsse weiter ausgesetzt sein
Wichtig sei, die Hilfsmaßnahmen nicht zu früh herunterzufahren. Auch dürften neue Schulden im kommenden Jahr kein Tabu sein."Jetzt Debatten um die Schuldenbremse oder eine baldige Beendigung der Unterstützung für Arbeitnehmer und Unternehmen zu führen, wäre falsch, da dies viel Vertrauen zerstört", sagte Fratzscher.
Gleichzeitig dürften diese Maßnahmen jedoch den Strukturwandel – in Bezug auf Klimaschutz und Digitalisierung oder in der Autobranche – nicht blockieren.
- Eigene Recherche
- Video-Konferenz des DIW
- DIW-Herbstprognose 2020
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters