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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Erinnert an Platzen der Dotcom-Blase" Der große Krypto-Crash – und seine Folgen
Nervenaufreibend: Innerhalb weniger Tage verpufften am Kryptomarkt zig Milliarden Dollar. Der Bitcoin verlor mehr als 50 Prozent im Vergleich zu seinem Allzeithoch. t-online erklärt den Hintergrund des großen Crashs am Kryptomarkt.
Fast über Nacht sind Milliarden an Dollar verbrannt: Die Krypto-Szene erlebte in den vergangenen Wochen einen Crash, der eine Zäsur für die vergleichsweise junge Anlageklasse ist. Der Bitcoin, die größte und bekannteste Kryptowährung der Welt, hat seit seinem Allzeithoch etwa 56 Prozent verloren. Ethereum, die Nummer Zwei am Markt, musste bisher Einbußen von 58 Prozent hinnehmen.
Zeitweise rutschte der Bitcoin unter die psychologisch wichtige Marke von 30.000 US-Dollar. Kleinere Währungen haben noch deutlich schlimmere Verluste verzeichnet: Einer der großen Herausforderer Ethereums und ein Hoffnungsträger des vergangenen Jahres, Cardano, hat mehr als 80 Prozent seines Wertes verloren.
"Das ist deutlich größer als Wirecard", sagt etwa Philipp Sandner, der das Blockchain-Center an der Frankfurt School of Finance leitet, über die aktuelle Krise. Krypto-Analyst Timo Emden nennt die aktuellen Ereignisse einen "Crash auf Raten" und zieht den Vergleich zur Dotcom-Blase Anfang der 2000er Jahre.
Bitcoin
94.260,93 EUR+1.427,77%- Hoch
- 94.416,31
- Zwischenwert Hoch / Mittel
- 71.553,49
- Mittel
- 48.690,66
- Zwischenwert Mittel / Tief
- 25.827,84
- Tief
- 2.965,02
Während in der Vergangenheit der Kryptomarkt meist einmalig rapide eingebrochen ist, kam es in den vergangenen Tagen immer wieder zu Einbrüchen, wichtige Widerstandslinien im Kurs rissen ein. "Das zerrt an den Nerven der Anleger", so Emden. "Man weiß nie, ob der Boden nun endlich erreicht ist."
Aber woher kommt die Krise am Kryptomarkt? t-online geht der Kettenreaktion rund um den jüngsten Verfall von Bitcoin und Co. auf den Grund – und der Frage, was der Crash für die Zukunft der Anlageklasse bedeuten dürfte.
Was ist der Grund für diese Krypto-Krise?
Der Ursprung der aktuellen Krypto-Krise liegt nicht etwa beim Bitcoin, sondern bei einem deutlich weniger bekannten Coin. Der Absturz begründet sich in einem Gemisch aus mehreren Faktoren, doch die größte Rolle spielt ein sogenannter Stable Coin.
Die Währung Terra hat mit ihrem Luna-Coin und dem dazugehörigen Stable-Coin UST die Abwärtsspirale der Kryptowährungen ausgelöst – und über komplexe Verflechtungen den gesamten Markt in den Abgrund gerissen. Weitere Sorgen wie die Zinswende oder die Ungewissheit über die kommenden Regularien in Europa und den USA haben die Geduld der Anleger auf eine weitere Probe gestellt.
Die Ironie ist: Ein Stable Coin verspricht in der Kryptowelt vor allem Sicherheit gegen Kursschwankungen. Die Idee hinter Projekten wie Terra (Luna) ist, dass ihr Wert an den Dollar gekoppelt ist. Während bei Anlagen wie Bitcoin oder Ether der Kurs von Tag zu Tag schwankt, sollen die Stable Coins konstant bleiben.
Experte: "Es gibt keine risikofreie Rendite"
Ein weiterer Aspekt, der Terra (Luna) zu einer der Top-10-Kryptowährungen gemacht hat, ist das große Renditeversprechen. Die Währung hat ihren Anlegern bis zu 20 Prozent Zinsen angeboten – und das in Zeiten, in denen klassische Banken auf Tagesgeldkonten nicht einmal ein Prozent zahlten. Gerade das hätte Anleger bei einer Währung, die eben keine großen Kursprünge machen soll, aufhorchen lassen müssen.
"Dass es keine risikofreie Rendite geben kann, liegt auf der Hand. Für Anleger sollten solche Angebote und Versprechungen daher stets die Alarmglocken klingeln lassen", sagt Alexander Braun, Blockchain-Experte von der Technologieberatung Capco, zu t-online.
Stattdessen gewann bei vielen Anlegern aber die Gier. Viele Investoren hatten Angst, bei dem Boom zu kurz zu kommen. "Die 'Fear of missing out' war Ende vergangenen Jahres und etwas darüber hinaus allgegenwärtig", beobachtet Marktanalyst Timo Emden.
Das zeigt auch der Krypto-"Fear and Greed"-Index, der das Verhältnis zwischen Gier und Angst am Kryptomarkt misst. Dieser lag im November 2021 bei 85 Punkten – 100 Punkte stehen für die absolute Gier. Aktuell liegt er bei 10. Der Markt ist also vom Kaufrausch zur großen Furcht umgeschwenkt.
Wie genau riss Terra (Luna) den Kryptomarkt in den Crash hinein?
Am Kryptomarkt gibt es viele Währungen, die erfolgreich sind – und noch mehr, die es nicht sind. Dass eine Währung scheitert, ist also nichts Ungewöhnliches. Das Verheerende bei Terra (Luna) war allerdings die Größe, die der Coin erreicht hat.
Innerhalb einer Woche verschwanden zwischen 50 bis 60 Milliarden Dollar komplett aus dem Markt. Die Ersparnisse vieler Anleger verwandelten sich so in kürzester Zeit zu einem Totalverlust. Heute ist der Luna-Coin quasi wertlos.
Drei Probleme führten letztendlich zum Crash der Währung und des gesamten Marktes:
- Der Aufbau des Terra (Luna) gab falsche Sicherheit.
- Eine womögliche Short-Attacke von institutionellen Anlegern übte Druck auf Terra aus.
- Eine Vernetzung mit anderen Währungen wie Bitcoin und anderen Marktsegmenten führte zu einer Kettenreaktion.
Terra (Luna) suggerierte über eine vermeintliche Dollarbindung Sicherheit – dabei war der Kurs, anders als bei anderen Stable Coins, nicht durch Dollarreserven oder Anleihen gedeckt. Die Währung versuchte, sich allein durch einen Algorithmus abzusichern, der die Bindung an den Dollarkurs garantieren sollte.
Zudem kursieren in der Branche Gerüchte, dass institutionelle Anleger große Mengen an den zugehörigen Coins für die Terra-Blockchain gekauft haben sollen und diese auf einen Schlag auf den Markt geworfen hätten.
Das konnte die Währung nicht auffangen und verkaufte daher große Teile der Bitcoin-Reserven. Die Folge: Der Preis der großen Kryptowährung fiel plötzlich und löste eine Kettenreaktion am Markt aus. Wenn der Bitcoin rasant fällt, nimmt der Abwärtstrend die anderen Währungen quasi in Sippenhaft.
"Viele waren nur in den Markt eingestiegen, weil sie schnelle Gewinne machen wollten. Gerade neue Anleger haben nicht investiert, weil sie sich informiert haben und an das Produkt glauben", erklärt Krypto-Analyst Emden. "Diese Anleger haben beim rasanten Absturz panikartig verkauft".
Droht ein weiterer Kurseinbruch?
Schwer zu sagen. Klar ist aber: Der Optimismus ist zumindest bisher noch nicht an die Kryptomärkte zurückgekehrt. Noch fehlen die Käufer, die bei niedrigen Kursen im großen Stil einsteigen. "Es öffnen sich neue Risikofaktoren – aber es werden die alten nicht gelöst", erklärt Krypto-Analyst Timo Emden die Zurückhaltung am Markt.
So belaste weiterhin die Zinswende die Märkte, die Angst vor einem ungeahnten Ausmaß der Regulierungen ist ungelöst, und durch den Krieg in der Ukraine steigt bei vielen Minern auch die Sorge vor höheren Energiepreise. Das Desaster rund um Terra (Luna) habe in diesem Gemisch zusätzlich eine Menge Vertrauen verspielt.
"Ich sehe sehr, sehr starke Parallelen zur Dotcom-Blase. Da haben viele Anleger in eine einzelne Aktie investiert und geglaubt, dass dieses Unternehmen das nächste große Ding ist", sagt Emden. Auch die Blockchain-Technologie habe sich noch nicht so durchgesetzt wie bisher erwartet. "Es wird dauern, das Vertrauen wieder aufzubauen. Über den Sommer ist die Luft raus", so der Analyst.
Doch es gibt durchaus optimistischere Stimmen in der Branche: "Der relativ plötzliche Absturz könnte auch in einen kürzeren Bärenmarkt münden als in vergangenen Crash-Phasen", sagt etwa Alexander Braun. Er verweist auf die positiven Entwicklungen, die sich trotz der Krise abzeichnen.
So beweisen sich die großen Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether in der Krise als deutlich widerstandsfähiger als viele andere Coins. Zudem ist das Vertrauen der Investoren stark: In den vergangenen 15 Monaten, während der Blütezeit des Sektors, seien knapp 42 Milliarden Dollar in neue Kryptoprojekte geflossen.
Auch die Kleinanleger reagierten laut den großen Anbietern deutlich ruhiger, als der Markt vermuten lassen würde. So berichten sowohl Bitpanda als auch Bison und Coinbase im Gespräch mit t-online, dass sie keine Ausverkäufe bei privaten Investoren auf ihren Plattformen erlebt hätten – und widersprechen damit der Erklärung einiger Analysten.
"Für viele Anleger ist eine solche Phase durchaus gesund", sagt etwa Ulli Spankowski, CEO und Mitgründer des Kryptohändlers Bison. "Der Crash erinnert sie daran, dass sie in eine hochvolatile Assetklasse investieren."
War es das jetzt für Bitcoin und Co.?
Nicht, wenn man den Stimmen aus der Branche vertrauen möchte. Unter den Brokeranbietern und Börsenbetreibern herrscht trotz der Katerstimmung keine Furcht. "Dieser Crash wird die Branche nur resilienter machen", sagt etwa Binance-Gründer Changpeng Zhao – obwohl er beim Terra-Absturz selbst Milliardensummen verloren haben soll.
Dass mit Terra eine der Top-10-Kryptowährungen fast über Nacht ihren gesamten Wert verloren hat, beunruhigt auch Alexander Braun nicht. "Von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren die Top-10-Coins des vorherigen Bullenmarktes in den Top 10 des nächsten Bullenmarktes nicht mehr vertreten", sagt der Experte. Die aktuelle Entwicklung sei also nichts Außergewöhnliches.
Einstiegschancen für Anleger?
Zugegeben: Der Vergleich mit der Dotcom-Blase kann Anleger in Angst versetzen – etwa wenn sie sich an die Aktien erinnern, die Anfang des Jahrtausends nie wieder ihren Wert zurückgewonnen haben. Er kann aber auch Mut machen und Chancen aufzeigen.
"In der Dotcom-Blase stürzten auch Größen wie Amazon damals um knapp 90 Prozent ab", erklärt Braun. Heute gehört das Unternehmen zu den Tech-Giganten, die Aktien sind am Markt besonders begehrt. In den vergangenen fünf Jahren legte der Aktienkurs um mehr als 120 Prozent zu – und das, obwohl Anleger die Techaktien seit Jahresbeginn heftig abstrafen.
Wer also tatsächlich an die Technologie hinter Bitcoin, Ethereum und Co. glaubt, könnte jetzt wieder gute Einstiegsmöglichkeiten am Markt haben. Denn dieser wendet sich nun ein Stück weit ab von den kurzfristigen Spekulanten und fordert wieder überzeugte Investoren. Ein Zyklus, den man bereits aus dem letzten großen Crash 2018 wiedererkennt.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Timo Emden
- Gespräch mit Ulli Spankowski
- Gespräch mit Eric Demuth, Bitpanda
- Gespräch mit Sascha Rangoonwala
- Schriftliches Statement von Alexander Braun
- Schriftliches Statement von Philipp Sandner
- Fear-and-Greed-Index
- Podcast: Irgendwas mit Krypto von Philipp Sandner, Johannes Blassl und Simon Seiter