Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Angst vor Sanktionen Der Bitcoin wird die Oligarchen nicht retten
Harte Sanktionen – damit drohten mehrere Länder Russlands Superreichen. Doch führt die Ankündigung dazu, dass die Oligarchen ihr Vermögen rechtzeitig sichern? Warum Kryptowährungen nun wieder in den Fokus rücken.
Es wirkt wie ein skurriler Wettlauf zwischen dem Westen und einigen Milliardären: Während russische Superreiche wohl beträchtliche Teile ihres Vermögens schnell in Sicherheit bringen wollen, erlassen die USA, die EU, Großbritannien und Japan immer wieder neue Sanktionen gegen Putins Oligarchen.
Luxusjachten machten sich plötzlich auf den Weg in neutralere Gewässer, teure Immobilien in London sollen laut Medienberichten auf einmal zum Verkauf stehen und der Oligarch Roman Abramowitsch will sogar seinen Fußballverein FC Chelsea schnell verkaufen. Warum die Oligarchen ins Netz der Sanktionen gegen Russland für Putins Angriffskrieg auf die Ukraine geraten, lesen Sie hier.
Selbst wenn die übereilten Verkäufe erfolgreich sein sollten, drängt sich eine Frage auf: Wo wollen die Oligarchen ihr Geld sicher vor den westlichen Sanktionen unterbringen? Eine Warnung, die in diesem Kontext immer wieder vonseiten Experten und Politikern aufkommt, gilt den Kryptowährungen. Bitcoin, Ether und Co. könnten benutzt werden, um die Vermögen außerhalb der Reichweite von Regulierungen der westlichen Zentralbanken zu bringen.
Bitcoin bietet sich nicht als sicherer Hafen an
Tatsächlich gibt es bei Kryptowährungen wie Bitcoin keine zentrale Institution, die das Netzwerk kontrolliert und Sanktionen durchsetzen könnte. Vielmehr sind Bitcoin, Ether und Co. dezentral organisiert.
Genau diese Unabhängigkeit von einzelnen Parteien wird in der Branche seit Jahren als entscheidender Vorteil angesehen. "Somit ist Bitcoin eines der inklusivsten Zahlungssysteme weltweit – allerdings lässt es sich in Extremsituationen auch für die Umgehung von Sanktionen nutzen", sagt Jonas Groß, Blockchainexperte und Vorsitzender der Digital Euro Association.
Und dennoch: Das beste Mittel, um Sanktionen zu umgehen, sind Kryptowährungen wie Bitcoin nicht: "Beim Kauf von Kryptowährungen über Kryptobörsen müssen sich Nutzer in der Regel identifizieren, sodass ausländische Börsen für den Krypto-Erwerb eher ausscheiden", so Groß.
Auch Krypto-Börsen könnten Konten einfrieren
Zentrale Börsen wie Kraken, Coinbase oder Binance sind der häufigste Anlaufpunkt, um Kryptowährungen gegen Fiat-Währungen wie Euro oder Dollar zu erwerben. Das weiß auch der ukrainische Minister für digitale Transformation, Mykhailo Fedorov, und forderte daher Kryptobörsen auf der ganzen Welt auf, die Konten russischer Adressen zu sperren.
Jesse Powell, der CEO einer der größten Krypto-Börsen, Kraken, hatte das am Montag abgelehnt. Ohne einen gesetzlichen Beschluss, etwa in Form von Sanktionen, hätte die Börse nicht das Recht, russische Konten zu sperren. "Russen sollten sich allerdings bewusst sein, dass eine solche Maßnahme kurz bevorstehen könnte", schreibt Powell.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Oligarchen, die in den Fokus der Sanktionen geraten, dürften auch bei Kryptowährungen die Maßnahmen spüren. Die US-basierten Börsen Kraken und Coinbase dürften bei Sanktionen ähnlich verfahren wie die Banken – und die russischen Vermögen einfrieren.
Oligarchen können ihren Reichtum so nicht verstecken
Die Mär von der Anonymität bei Kryptowährungen wird die Oligarchen dabei auch nicht schützen. "Die zugrundeliegende Bitcoin-Blockchain ist öffentlich und transparent. Die Adressen sind hinter einem Pseudonym versteckt", erklärt Krypto-Analyst Timo Emden vom gleichnamigen Research-Unternehmen.
Vielen Verbrechern ist die Transparenz in der jüngsten Vergangenheit zum Verhängnis geworden.
Es sei daher deutlich wahrscheinlicher, dass vermögende Russen und die russische Wirtschaft im Allgemeinen auf konventionellere Wege ausweichen werden, etwa über Handelsrouten und Banken in China, meint Christoph Iwaniez, Experte für Blockchain-Banking.
Chinesische Banken als möglicher Ausweg
China hat im Gegensatz zu vielen anderen Staaten der Welt keine Sanktion gegen Russland erlassen, auch in Zukunft sind chinesische Maßnahmen unwahrscheinlich. Der russische Nachbar hat sich zwar im eskalierenden Konflikt sichtlich zurückgezogen und versucht vor allem, eine Balance zwischen Russland und dem Westen zu wahren, einen Handelspartner dürfte das Land dennoch nicht ausschlagen.
Der Ausschluss aus dem internationalen Zahlungsnetzwerk einiger russischer Banken ist für China ebenfalls kein Hindernis. Seit Jahren etabliert das Land seine eigene Alternative zum Swift-Netzwerk: CIPS. Im vergangenen Jahr hat China die Summen, die durch das Netzwerk täglich transferiert werden, auf 50 Millionen Dollar verdoppelt.
An der Bürokratie könnte es scheitern
Die Oligarchen dürften die Kryptowährungen daher ähnlich behandeln wie ihre anderen Anlageklassen und diese schnell außer Reichweite bringen. Krypto-Experte Timo Emden sieht das Einfrieren von Krypto-Adressen nur als begrenzt zielführend an: "Bis der Gesetzgeber die neuen Regelungen durchwinkt, ist der Zug womöglich bereits abgefahren. Gut möglich, dass vermögende Russen bereits im großen Stil ihre Gelder bewegt und verschleiert haben", so der Experte.
Schlussendlich könnten also nicht die dezentralen Kryptowährungen den Oligarchen die Hintertür öffnen, um die Sanktionen zu umgehen, sondern die Bürokratie. So warnten britische Ministerien, dass es Monate dauern könnte, bis die meisten Oligarchen tatsächlich sanktioniert sind.
"Nichts und niemand ist vom Tisch"
Denn für die Sanktionen müssen die Länder nachweisen, dass der Reichtum der Oligarchen mit Putin verbunden ist. Viele haben ihren Reichtum allerdings verschlüsselt und verschleiert. Bereits 2018 versuchte Großbritannien, Abramowitsch die Nähe zu Putin nachzuweisen – und scheiterte.
Viele Politiker in Großbritannien fordern dennoch deutlich mehr Eile von der britischen Regierung. Labour-Politiker Chris Bryant sagte zuletzt laut dem britischen "Guardian" im Unterhaus: "Ich befürchte, die Regierung hat Angst, Briefe von den Anwälten der Freunde der Oligarchen zu erhalten." Die britische Außenministerin hielt gegenüber der UN dagegen: "Nichts und niemand ist (bei den Sanktionen) vom Tisch".
- Eigene Recherche
- Austausch mit Jonas Groß
- Marktbericht von Timo Emden
- Austausch mit Christoph Iwaniez
- Tweet von Elisabeth Warren
- The New York Times: The Squeezing of the Oligarchs
- The Times: Building sanctions case against Abramovich and oligarchs ‘may take months’
- The Guardian: Roman Abramovich hastily selling UK properties, MP claims