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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wenig Sonne und Windstille Strompreise schnellen in die Höhe – Behörde ermittelt
Die Strompreise schossen diese Woche in die Höhe. Doch lag das wirklich an wenig Sonne und Windstille? Ermittlungen laufen. Was die Situation über das deutsche Netz verrät.
Wenig Sonne, wenig Wind und schon schießen die Strompreise durch die Decke? Auf den ersten Blick sah es am Donnerstag genau danach aus. Doch ganz so einfach ist die Erklärung nicht, sagen Experten. Nun ermittelt die Bundesnetzagentur.
Am späten Donnerstagnachmittag zwischen 17 und 18 Uhr kostete eine Megawattstunde Strom im deutschen Stromgroßhandel 936 Euro; fast 94 Cent je Kilowattstunde. "Wenig Wind und hoher Verbrauch kamen zusammen", erklärte das Bundeswirtschaftsministerium den hohen Preis. Zum Vergleich: Im Tagesdurchschnitt kostete eine Megawattstunde am Donnerstag 395 Euro. Am windreichen 6. Dezember lag der Preis dagegen im Schnitt nur bei 86 Euro.
Netzagentur: "Zu keinem Zeitpunkt Gefahr"
Grund für den Preisanstieg? Laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit war eine sogenannte Dunkelflaute am Mittwoch und Donnerstag schuld, als wenig Sonnen- und Windstrom ins Stromnetz eingespeist wurde. Deutschland musste Strom aus dem Ausland importieren. Die Dunkelflaute sei ein "sehr vorübergehendes Phänomen", betonte Hebestreit. Mehr zum Thema Dunkelflaute lesen Sie hier.
Der Chef der Netzagentur, Klaus Müller, betonte in der "Süddeutschen Zeitung", für die Stromversorgung im Land habe zu keinem Zeitpunkt Gefahr bestanden. Die Frage nach drohenden Blackouts könne er "glasklar mit Nein beantworten". Auf solche Situationen sei das Monitoring der Behörde geeicht. Dennoch ermittelt die Behörde nun wegen Vorwürfen des Marktmissbrauchs.
Ein solcher Missbrauch liegt vor, wenn Kraftwerkskapazitäten zurückgehalten werden, um so den Strompreis in die Höhe zu treiben. Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte werde man weitere Ermittlungsmaßnahmen einleiten. Einzelheiten nannte die Behörde nicht. Doch was steckt dahinter?
Zunächst einmal ist entscheidend, woher der deutsche Strom kommt. Im dritten Quartal stammten laut Bundesregierung 63,4 Prozent aus erneuerbaren Energien. Es war der bislang höchste Anteil für ein drittes Quartal. Kohlekraftwerke waren hingegen für 21,4 Prozent des Strommix verantwortlich, Erdgas für 11,4 Prozent. Deutschland importierte in dieser Zeit insgesamt 23,6 Milliarden Kilowattstunden Strom und exportierte 11,8 Milliarden Kilowattstunden.
Allerdings unterliegen diese Werte starken saisonalen Schwankungen. Dass etwa im Dezember deutlich weniger Strom aus Photovoltaik gewonnen werden kann, ist normal. Dass in den vergangenen Tagen zudem aber kaum Energie aus Windkraft eingespeist werden konnte, gilt als ungewöhnlich für die Jahreszeit. Am Donnerstag und Freitag reichte die Stromproduktion Deutschlands dann auch insgesamt nicht aus: Bis zu 30 Prozent mussten spontan zugekauft werden.
Kritiker wittern Manipulation
Das wirkt sich auf die Bildung des Strompreises aus. Dieser wird jeden Tag an der europäischen Strombörse durch den sogenannten Day-Ahead-Handel für den folgenden Tag bestimmt. Zudem gibt es auch den Intra-Day-Handel, über den am jeweiligen Tag der fehlende Strom nachgekauft werden kann. Hier sind die Schwankungen besonders groß – und potenziell anfällig für Missbrauch.
Denn das deutsche System hat eine Besonderheit: Es funktioniert nach der "Merit Order". Diese legt fest, welche Anlagen den Strom ins Netz einspeisen dürfen. Dabei werden die Kraftwerke nach dem Preis sortiert, die günstigsten kommen zuerst ans Netz. Der Strompreis wird dann durch den Preis des letzten Kraftwerks bestimmt, das benötigt wird, um den Bedarf zu decken. Hält also ein eigentlich günstigeres Kraftwerk Kapazitäten zurück und es werden dadurch teurere Werke zugeschaltet, steigt der Preis für alle. Allerdings liegt dann auch der Tatbestand der Manipulation vor. Das will die Bundesnetzagentur nun prüfen.
Einer der Kritiker ist Hanns Koenig vom Beratungsunternehmen Aurora Energy Research. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" äußert er seine Zweifel: "Eigentlich sollte die Leistung nicht so knapp sein, wie sie gerade ist." Die Preisspitzen seien "schon höchst erstaunlich". Er verweist auf Daten der Bundesnetzagentur, nach denen Kohle und Gas teils nur mit halber, in der Summe nur mit zwei Drittel der installierten Leistung liefen. Der Energiekonzern RWE widerspricht dieser Darstellung. Man habe nicht mehr Leistung anbieten können.
Ärger mit europäischen Partnern
Für private Haushalte haben die zeitweise hohen Preise unterdessen übrigens so gut wie keine Auswirkungen. Stromversorger beziehen ihren Strom zum Großteil über Langfristverträge, sodass kurzzeitige extreme Schwankungen an den Börsen nicht weitergegeben werden. Industrieunternehmen beziehen hingegen ihren Restbedarf teils sehr kurzfristig und sind dadurch den instabilen Preisen an der Börse ausgesetzt.
Während die Dunkelflaute in Deutschland zunächst für heftige Kritik an erneuerbaren Energien sorgte, gab es aus dem europäischen Ausland vor allem Kritik am deutschen Preissystem.
Die schwedische Energieministerin Ebba Busch etwa beklagte sich auf X über die hohen Preise. Vor allem, dass es in Deutschland nur einen Preis für das gesamte Land gibt, sieht sie kritisch. Das bedeutet: Wenn in Süddeutschland keine Sonne scheint, wird der Strom auch in Norddeutschland teuer. Und wenn der Preis in Deutschland steigt, muss auch Schweden dafür mehr zahlen. Umgekehrt profitieren allerdings beide Staaten auch voneinander, wenn Strom hier oder dort günstig ist.
- n-tv.de: "Strompreis explodiert: Netzagentur prüft Missbrauch"
- focus.de: "Fünf Zahlen zeigen, was im deutschen Stromnetz alles falsch läuft"
- destatis: Stromerzeugung im 3. Quartal 2024: 63,4 % aus erneuerbaren Energiequellen
- faz.net: "Fachleute rätseln über extrem hohe Strompreise"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa