"Wir brauchen einen Realitätscheck" Renk-Chefin kritisiert deutsche Verteidigungspolitik
Die Renk AG baut unter anderem Getriebe für Panzer. Die vom Kanzler ausgerufene Zeitenwende sei in der Industrie noch nicht angekommen, moniert Renk-Chefin Susanne Wiegand.
Die Geschäftsführerin des Rüstungszulieferers Renk AG, Susanne Wiegand, kritisiert die deutsche Rüstungspolitik. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Februar 2022 ausgerufene Zeitenwende sei in der deutschen Rüstungsindustrie noch nicht angekommen, sagte Wiegand dem "Handelsblatt" in einem Interview. Es gebe zwar vereinzelt Beschaffungen der Bundesregierung, aber: "Mit einer Rückkehr zur Vollausstattung der Bundeswehr hat das nichts zu tun."
Wiegand wies darauf hin, dass insbesondere der Bundeswehr die Aufgabe zukomme, die Ostflanke der Nato zu sichern und Landstreitkräfte in Mitteleuropa bereitzustellen. "Ich sehe aber nicht, wie das deutsche Heer diese Rolle in seinem jetzigen Zustand übernehmen könnte", so die Renk-Geschäftsführerin. Ein Impuls, der diese Situation ändern könnte, sei bei ihrem Unternehmen noch nicht angekommen.
Besonders mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei dies von Nachteil. Russland habe bereits auf Kriegswirtschaft umgestellt und produziere Militärgerät in hohen Stückzahlen. Die Bundeswehr und ihre Partner müssten angesichts dessen so abschreckend wie möglich wirken. "Putin muss erkennen, dass unsere Arsenale so voll sind, dass er einen Angriff gar nicht erst in Erwägung zieht", so Wiegand. "Aber dafür müssen wir jetzt Geschwindigkeit aufnehmen. Das hat oberste Priorität."
USA und Israel als Vorbilder
Die Politik solle daher nicht mehr in Einzelaufträgen denken: "Wir müssen in die Skalierung kommen", sagte Wiegand. Die Rüstungsindustrie brauche dafür mittel- und langfristige Abnahmegarantien. Erst dann würden Unternehmen auch investieren. Die Renk-Chefin verwies dabei auf die USA und Israel als Vorbilder: "Diese Staaten haben immer Geld für Rüstung ausgegeben und ihre Verteidigungsbudgets nach oben angepasst."
Trotz des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr müsse die Bundesregierung den Rüstungsetat langfristig erhöhen, forderte Wiegand. Das Sondervermögen werde bis 2028 aufgebraucht sein: "Alleine um den Grundbetrieb der Bundeswehr zu gewährleisten, wird die nächste Bundesregierung die Verteidigungsausgaben signifikant erhöhen müssen." Die Erhöhung sollte laut Wiegand über die derzeit 52 Milliarden Euro des Rüstungsbudgets hinausgehen. Ähnlich äußerten sich zuvor auch Sicherheitsexperten, wie Christian Mölling im Gespräch mit t-online.
Laut Wiegand müsste man zur Erhöhung des Verteidigungsetats auch "über Einschnitte in anderen Bereichen reden". Der Bevölkerung müsse erklärt werden, warum diese Anstrengung für die Verteidigung nötig sei. "Es gibt immer noch genug Menschen, die nicht verstehen, dass wir Russland jetzt in der Ukraine stoppen müssen", so die Renk-Chefin. "Wir brauchen einen Realitätscheck."
Bundeswehr: Renk-Chefin fordert "mehr persönliche Betroffenheit"
Mit Blick darauf spricht sich Renk auch für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Es brauche "mehr persönliche Betroffenheit", damit die Zeitenwende in den Köpfen der Menschen ankomme. "Wenn also der Sohn, die Tochter oder der Nachbarsjunge bei der Bundeswehr sind, dann wird auch automatisch mehr Verständnis für die Notwendigkeiten einer wehrhaften Armee und deren Ausstattung entstehen." Das schaffe ein anderes Bewusstsein für die Bundeswehr.
Die Renk AG ist ein Hersteller von Antriebs- und Steuerungstechnik. Dabei baut das Unternehmen insbesondere spezielle Getriebe für Panzer oder Fregatten und beliefert andere Rüstungshersteller mit Fahrwerken und Dämpfungssystemen für militärische Fahrzeuge. Die Renk AG ist im Februar 2024 wieder an die Börse gegangen. Laut Unternehmensangaben arbeiten bei dem Hersteller mehr als 3.400 Mitarbeiter. Im Jahr 2022 hat die Firma mit Hauptsitz in Augsburg demnach mehr als 850 Millionen Euro Umsatz erzielt.