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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Blogger über Leistung "Ich will nicht am Freitag lange im Büro bleiben"
Florian Wagner ist Frugalist: Er lebt sparsam, um schnell viel Vermögen aufzubauen und dann davon leben zu können. Seine Vorstellung von Leistung hat sich dadurch stark verändert.
Die Wirtschaft stagniert. Schuld daran sei auch, dass Deutschland sich vom Leistungsgedanken verabschiedet, kritisieren Politiker und Unternehmer. Stimmt das? Wie denken die Menschen im Land darüber? Und was verstehen wir eigentlich unter Leistung? t-online geht diesen Fragen in einer Serie nach, lässt dazu bekannte und unbekannte Menschen zu Wort kommen. In dieser Folge:
Florian Wagner, 36, gelernter Ingenieur, Blogger und Frugalist aus Stuttgart
"Die Art, wie ich über Leistung denke, hat sich durch meinen Lebensweg extrem verändert. In der Schule und im Studium habe ich super Leistungen erbracht und dachte, das wäre der einzig richtige Weg: Wenn ich mich anstrenge und überall der Beste bin, werde ich am glücklichsten leben.
Ich habe eine klassische Karriere gemacht: erst das Ingenieursstudium, dann ein gut bezahlter Angestelltenjob in der Automobilbranche in Stuttgart. Mit jedem Jahr stieg das Gehalt, was an sich natürlich schön ist. Aber obwohl ich mehr ausgegeben habe, wurde mein Leben nicht besser. Ich habe damals gemerkt: Für manche ist das sicher der richtige Weg, aber ich will gar nicht Teamleiter werden und am Freitag lange im Büro bleiben.
- Kann Deutschland noch Leistung? Hier finden Sie alle Beiträge der Serie
Ich habe mich damals viel mit der Frage beschäftigt, was eigentlich ein glückliches Leben ausmacht, und bin dabei auf die Fire-Bewegung aus den USA gestoßen. Das steht für "Finanzielle Unabhängigkeit, frühe Rente" und wird auch als frugalistisch bezeichnet. Da waren Leute, die einen ähnlichen Job hatten wie ich, und die mit 40 Jahren nicht mehr auf ein Einkommen angewiesen waren. Ein Softwareentwickler hat dann etwa eine Schreinerei gestartet und mit Holz gearbeitet, weil er das immer wollte.
Dieses Konzept hat mir gefallen. Die Vorstellung, man müsse Karriere machen, darf seine Kinder nicht aufwachsen sehen, um sich dann mit 50 Jahren zu fragen, ob sich das wirklich gelohnt hat, hat ausgedient. Gerade durch das Internet hat sich viel verändert, die klassischen Berufe sind nicht mehr das Nonplusultra. Als ich mir das vor Augen führte, habe ich mich gefragt, was mir persönlich eigentlich wichtig ist und was ich vom Leben möchte. Das hat für mich den Leistungsdruck herausgenommen.
Zur Person
Florian Wagner ist 36 Jahre alt und lebt in Stuttgart. Er erstellt und optimiert Webseiten für Suchmaschinen. Auf seinem Blog "Geldschnurrbart" dokumentiert er sein Leben als Frugalist und gibt Finanztipps. Sein Buch "Rente mit 40" erschien 2019 und wurde ein Bestseller.
Nicht falsch verstehen: Ich würde nie sparen um des Sparens willen. Mir war sehr wichtig, dass meine Lebensqualität nicht leidet. Also habe ich mir angeschaut, was ich weglassen kann. So konnte ich relativ schnell 60 Prozent von meinem Nettolohn zur Seite legen, ohne dass sich mein Leben verschlechtert hätte.
Ich habe angefangen, mehr zu kochen und dafür das dritte Mal Auswärtsessen in der Woche weggelassen. Mit meiner Miete hatte ich Glück, ich zahle nur 600 Euro für eine zentrale Zweizimmerwohnung. In der wohne ich nach wie vor, mehr brauche ich nicht. Ich fahre auch kein krasses Auto, sondern einen zehn Jahre alten Seat Leon. Einige meiner früheren Ingenieurkollegen haben ihr komplettes Monatseinkommen ausgegeben. Mir aber bringt mehr Besitz nicht mehr Zufriedenheit, Sparen reizt mich einfach mehr. Jeder Euro, den ich heute in meinem Aktiendepot anlege, bedeutet, dass ich später früher in Rente gehen kann.
Mehr Besitz bringt mir nicht mehr Zufriedenheit, Sparen reizt mich einfach mehr
Florian Wagner
In knapp vier Berufsjahren habe ich so 140.000 Euro zusammenbekommen. Das hat mir ein so großes Sicherheitsgefühl gegeben, dass ich mir eingestehen konnte, dass mich meine Arbeit nicht mehr erfüllt. Ja, am Anfang war es cool, aber nach vier Jahren haben mich die Besprechungen und all die Powerpoint-Präsentationen genervt.
Ich wollte montags wieder motiviert aufstehen, mich auf die Woche freuen. Mit dem Puffer in der Hinterhand habe ich mich getraut, meinen Job zu kündigen, ohne genau zu wissen, was danach geschieht. Ich habe dann ein Buch geschrieben, meinen Blog "Geldschnurrbart" gegründet und berate Unternehmen und Einzelpersonen, wie ihre Webseiten in Suchmaschinen gefunden werden. Damit verdiene ich mittlerweile sogar weit mehr Geld als mit meinem alten Job.
Frugalismus
Angestoßen hat die Bewegung der kanadische Blogger Peter Adeney, besser bekannt als "Mr. Money Mustache". Adeney beschreibt dort seinen Weg zur finanziellen Freiheit, die er aufgrund seines einkommensstarken Berufs bereits mit 30 erreicht hat. Frugalisten sparen einen großen Teil ihres Einkommens und investieren es etwa in Fonds oder auch in risikoreichere Anlagen wie Kryptowährungen, um ihr passives Einkommen zu erhöhen. Das Ziel ist, ab einem bestimmten Zeitpunkt von diesen Erträgen leben zu können und nicht mehr auf ein Gehalt angewiesen zu sein.
Oft wird gesagt, dass nur Leute frugalistisch leben können, die einen sehr gut bezahlten Job haben. Das glaube ich aber nicht. Das übergeordnete Ziel lautet ja, das bestmögliche Leben für sich selbst zu schaffen. Also zu überdenken: Bin ich auf dem richtigen Weg? Gefällt mir mein Job überhaupt? Wie gebe ich mein Geld aus? Das kann jeder machen, nur die Zwischenziele sind unterschiedlich.
Als Gutverdiener ist das Ziel "Rente mit 40" realistisch, mit Mindestlohn nicht. Ich habe für mein Buch auch mit Eltern gesprochen, die frugalistisch leben, auch das ist möglich. Das sind aber oft Menschen, die die Extrameile gehen. Ein Paar hat etwa nebenbei noch einen Hausmeisterjob gemacht, Website-Projekte aufgebaut oder andere Nebentätigkeiten gestartet.
Ich glaube, das Konzept des Frugalismus wirkt sich positiv auf die Leistungsbereitschaft aus. Viele junge, gut ausgebildete Menschen arbeiten in Jobs, auf die sie zu 80 Prozent keine Lust haben. Wir alle, die Gesellschaft, die Arbeitnehmer und die Unternehmen, würden davon profitieren, wenn die Menschen in den Bereichen tätig sind, die sie wirklich erfüllen.
Oft heißt es: "Ich habe gerade ein Haus gebaut, ich mache diesen blöden Job jetzt weiter." Wenn man seine Ausgaben aber bewusst hält und nicht der Lifestyle-Inflation (mehr Ausgaben ohne mehr Zufriedenheit) unterliegt, sodass die Fixkosten nicht so hoch sind, dann hat man die Freiheit zu sagen: Ich mache jetzt einen anderen Job, auch wenn der schlechter bezahlt ist. Oder ich bleibe freitags zu Hause und kümmere mich um meine kleine Tochter. Das steigert die Zufriedenheit enorm – und dadurch auch die Leistungsbereitschaft."
- Gespräch mit Florian Wagner