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Wirtschaft | Unsicherheit droht Deutschland: Krieg, Inflation, Zinsen


Warnung der Wirtschaftsweisen
Dem Geschäftsmodell Deutschland droht der Kollaps


Aktualisiert am 09.11.2023Lesedauer: 4 Min.
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Dunkle Wolken über einer Tankstelle in Düsseldorf (Symbolbild): Wirtschaftlich droht Deutschland Ungemach. (Quelle: IMAGO/Olaf Döring/imago-images-bilder)

Das Jahresgutachten der fünf Wirtschaftsweisen fällt verheerend aus. Sollte sich nicht schleunigst etwas ändern, drohen den Deutschen große Wohlstandsverluste.

Deutschlands Wirtschaft schwächelt. So weit, so bekannt, ließe sich sagen – eine Nachricht, die angesichts hoher Zinsen, nur langsam sinkender Inflation und Kriegen in Europa und dem Nahen Osten kaum einen überrascht.

Doch – und das dürfte für viele neu sein – wenn die Unternehmen hierzulande jetzt nicht die Kurve kriegen, könnte es auch für längere Zeit bei dem gegenwärtig mageren Zustand der Wirtschaft bleiben. Vor allem, weil in den kommenden Jahren absehbar immer weniger Menschen in Deutschland arbeiten werden.

Davor jedenfalls warnen jetzt die fünf Wirtschaftsweisen. Das Beratergremium der Bundesregierung mit dem sperrigen Namen "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" (SVR) hat am Mittwoch sein Jahresgutachten vorgestellt. Und das liest sich mittelmäßig verheerend.

"Mittelfriste Wachstumsaussichten auf historischem Tiefstand"

Die Ökonomen gehen zunächst davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP), gemeinhin "die Wirtschaft" genannt, im laufenden Jahr um 0,4 Prozent schrumpfen wird. Eine Prognose, die sich deckt mit dem, was auch die Bundesregierung und zahlreiche Wirtschaftsforscher erwarten.

Ebenso verhält es sich mit ihrer Schätzung für die Inflationsrate. Die werde dieses Jahr im Schnitt bei 6,1 Prozent liegen, ehe sie im kommenden Jahr auf dann vermutlich 2,6 Prozent fällt – was wiederum auch die Wirtschaft stimulieren dürfte: Angetrieben durch steigende Reallöhne und den privaten Konsum erwarten die Ökonomen beim BIP für 2024 ein Mini-Plus von 0,7 Prozent.

Das große Aber bei all dem: Normale Wachstumsraten zwischen 1,5 und 3 Prozent wird die deutsche Wirtschaft absehbar wohl kaum mehr erreichen. "Mittelfristig bremsen vor allem das sinkende Arbeitsvolumen, der veraltete Kapitalstock und fehlende innovative Unternehmen das Wachstum in Deutschland", schreiben die Experten in ihrem Gutachten. Und weiter: "Die mittelfristigen Wachstumsaussichten sind dadurch auf einem historischen Tiefstand."

Risikofaktor Arbeitskräfteschwund

Im Klartext: Wenn sich jetzt nicht schleunigst etwas ändert, droht Deutschland den Anschluss zu verlieren. Dann entfliehen andere Volkswirtschaften den hiesigen Unternehmen, dann gerät der Wohlstand der Deutschen in Gefahr.

Was geschehen muss, formuliert die Vorsitzende des Beratergremiums, Monika Schnitzer, so: "Um die Wachstumsschwäche zu überwinden, muss Deutschland in seine Zukunft investieren." Dafür seien stärkere "Produktivitätsfortschritte" nötig, durch Innovationen, durch Investitionen bei den Firmen, aber auch durch mehr Unternehmensgründungen. "Diese können das sinkende Arbeitsvolumen teilweise kompensieren", so Schnitzer. "Gleichzeitig sind Reformen im Steuer-Transfer-System und im Rentensystem dringend erforderlich."

Konkret schwebt den Wirtschaftsweisen unter anderem eine Änderung des Ehegattensplittings vor, um für Frauen die Arbeitsanreize zu erhöhen. Zudem plädieren die Experten dafür, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Menschen immer länger leben. (Mehr zu den Vorschlägen der Wirtschaftsweisen für eine Rentenreform lesen Sie hier.)

Die Wirtschaft kommt kaum mehr vom Fleck

Warum diese staatlichen Reformen so wichtig sind, verrät ein Blick auf die mittelfristige Wachstumsprognose, die die Ökonomen am Mittwoch gleich mitlieferten. Bliebe alles so, wie es jetzt ist, würde das sogenannte Produktionspotenzial demnach bis zum Jahr 2028 jährlich um nur noch 0,4 Prozent wachsen.

Unter Produktionspotenzial verstehen Ökonomen die Wirtschaftsleistung, die eine Volkswirtschaft in einer festgelegten Periode, meist ein Jahr, maximal erreichen kann. Bestimmend dafür sind unter anderem die Menge an Arbeitnehmern, deren Produktivität sowie das eingesetzte Kapital (z. B. die Zahl der Fabriken). Anders als die tatsächliche Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) lässt sich das Produktionspotenzial nicht exakt messen, sondern nur schätzen.

Das Fatale an dieser Zahl: Träte diese Schätzung der Wirtschaftsweisen wirklich ein, käme Deutschlands Wirtschaft kaum mehr vom Fleck. Denn "Potenzial" heißt: Es ist nicht mal ausgemachte Sache, dass die deutsche Wirtschaft ein solches Jahreswachstum von 0,4 Prozent tatsächlich erreichen würde – es handelt sich lediglich um das höchstmögliche Wachstum.

Deutschland verliert den Anschluss

Veronika Grimm, ebenfalls eine der Wirtschaftsweisen: "Dies wäre ein historischer Tiefstand, der insbesondere auf das sinkende Arbeitsvolumen zurückzuführen ist." Anders ausgedrückt, Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus. Ohne mehr Menschen, die arbeiten, rutscht das Land ab.

Schon jetzt, so stellt es auch der Sachverständigenrat fest, fällt die deutsche Wirtschaft stark hinter jenen anderer Nationen zurück. Seit Beginn der Corona-Krise weist das deutsche BIP das geringste Wachstum im Euro-Raum auf. Selbst das für 2024 avisierte Wachstum der deutschen Wirtschaft in Höhe von 0,7 Prozent fällt im Vergleich zu den USA, der größten Volkswirtschaft der Welt, nur halb so hoch aus. Dort erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) ein BIP-Plus in Höhe von 1,5 Prozent.

Der Schluss, den Grimm, Schnitzer und ihre Kollegen aus dem Befund ziehen: In den nächsten Jahren kommt es vor allem darauf an, dass hierzulande mehr Menschen arbeiten. "Stärkere Erwerbsanreize, eine ambitionierte Zuwanderungspolitik, verbesserte Schulbildung und eine Stärkung der Universitäten sind entscheidend", so Grimm.

Mehr Wagniskapital, mehr Firmengründungen

Zugleich gelte es, den Strukturwandel zuzulassen und Investitionen zu mobilisieren, die die Produktivität steigerten. So könnten etwa Investitionen in Maschinen, Roboter und IT die Produktivität erhöhen, vor allem wenn neue Technologien wie Künstliche Intelligenz zur Anwendung kämen. "Gleichzeitig können solche Investitionen die absehbare Verknappung des Arbeitsvolumens kompensieren", sagte Grimm.

Parallel dazu sei wichtig, dass wieder mehr neue Unternehmen in Deutschland entstehen, die – wie schon in früheren Zeiten – mit frischen Ideen und Erfindungen aufwarten, die sich dann in alle Welt exportieren lassen. Dafür brauche es vor allem mehr Wagniskapital von großen Investoren.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Jahresgutachten 2023/2024 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
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