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Bayer, Storck, New Yorker: So will Putin westliche Unternehmen in Russland halten


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Deutsche Firmen in Russland
"Nichts, was Putin tut, ist vernünftig"


24.07.2023Lesedauer: 5 Min.
Riskiert der russische Alleinherrscher Wladimir Putin einen Aufstand innerhalb des Militärs? (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Der russische Präsident Wladimir Putin (Archivbild): Mit einem Dekret versucht er, den Ausstieg weiterer westlicher Firmen aus dem Russlandgeschäft zu stoppen. (Quelle: Sputnik/Pavel Bednyakov/Pool via REUTERS)
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Putin enteignet westliche Unternehmen in Russland und vertraut sie seinen Gefolgsleuten an. Das könnte auch deutsche Firmen treffen. Denn noch immer sind einige in Russland aktiv.

Die russische Wirtschaft ist angeschlagen: Der Krieg gegen die Ukraine verbraucht Ressourcen, die Energielieferungen in den Westen sind eingestellt und das mangelnde Vertrauen an den Märkten schwächt den Rubel.

Um westliche Unternehmen von der Aufgabe ihres Russlandgeschäfts und dem Verkauf ihrer russischen Standorte abzubringen, greift Präsident Wladimir Putin zu weitreichenden Maßnahmen. Mitte Juli erließ er ein Dekret, durch das der dänische Brauer Carlsberg und der französische Lebensmittelkonzern Danone unter Zwangsverwaltung gestellt wurden. An die Spitze setzte Putin dabei enge Gefolgsleute.

Das Vorgehen ist riskant. Es sorgt für Verunsicherung an den Märkten und bei den Unternehmen. Die berechtigte Sorge bei vielen: Sie könnte es als Nächstes treffen. Denn obwohl in den ersten Wochen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine viele westliche Unternehmen ihren Rückzug ankündigten, sind noch einige – auch deutsche – Firmen weiter in Russland in aktiv.

Dutzende deutsche Firmen noch aktiv

Was bedeutet Putins neues Vorgehen für westliche Firmen, die bislang in Russland aktiv waren und welche Firmen sind das überhaupt?

Eine Forschergruppe der US-amerikanischen Universität Yale sammelt seit Kriegsbeginn Daten über westliche Unternehmen in Russland, auch als "Liste der Schande" bekannt. Anhand dieser Daten werden die Firmen in eine von fünf Kategorien eingeteilt, je nachdem, wie stark sie weiterhin Geschäftstätigkeiten in Russland nachgehen. In jeder der fünf Kategorien finden sich auch deutsche Unternehmen.

Große deutsche Konzerne wie Rewe, Tchibo und auch die Baumarktkette Obi verließen den russischen Markt (t-online berichtete). Auch Siemens zog sich zurück – ein harter Schlag für die russische Wirtschaft, der sich noch bemerkbar machen dürfte, denn das Unternehmen lieferte zuvor wichtige Teile für die Infrastruktur, von Ampeln bis zu ganzen Zügen. Andere Firmen haben ihr Geschäft auf unbestimmte Zeit unterbrochen, darunter Volkswagen und Porsche, der Süßwarenkonzern Haribo und der Spielzeughersteller Playmobil.

Doch eine ganze Reihe an Unternehmen ist weiterhin in Russland aktiv. Sie fallen damit bei den Forschern der Universität Yale entweder in die Kategorie "Buying Time" (zu Deutsch "Spielen auf Zeit"). Damit sind Unternehmen gemeint, die geplante Investitionen und Marketing in die Zukunft verschoben haben, aber weiter in Russland Geschäfte machen. Oder die Unternehmen gehören zur Kategorie "Business as usual" (zu Deutsch "Alles beim Alten"), womit all jene Unternehmen gemeint sind, die unverändert ihren Geschäften in Russland nachgehen – und das ganz legal. "Das Sanktionsregime lässt bewusst gewisse Lücken, sodass etwa Pharma- und Lebensmittelkonzerne rechtlich weiter in Russland agieren können", sagt Simon Gerards Iglesias, Russlandexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und dort Referent des Direktors.

Bayer, Storck und New Yorker vor Ort

Dass in den letzten beiden Kategorien also Medizintechnikhersteller Bosch und Medikamentenproduzenten Stada und Bayer gelistet sind, überrascht daher wenig. Doch geht es den restlichen Firmen nur um Gewinn?

Immerhin machten die hundert größten westlichen Firmen, die noch in Russland agieren, im Jahr 2022 einen Reingewinn von rund 13,3 Milliarden US-Dollar (12 Milliarden Euro). Das berichtete die russische Exil-Zeitung "Novaya Gazeta Europe" unter Berufung auf offizielle russische Dokumente.

Großhändler Metro und das Handelsunternehmen Globus hingegen erwirkten in Reaktion auf Putins Dekret unlängst eine Sondergenehmigung, um ihre Gewinne aus Russland nach Deutschland überweisen zu dürfen. Im Gegenzug versicherten die Unternehmen, vor Ort zu bleiben. Beide Konzerne berufen sich auf die Verantwortung für ihre Mitarbeiter und insbesondere auf ihren Versorgungsauftrag für die russische Zivilbevölkerung, wie die "Lebensmittelzeitung" berichtete.

Der Süßwarenhersteller Storck taucht ebenfalls in der letzten Kategorie der Yale-Liste auf. Dass das Unternehmen einfach so weitermache wie bisher, wird auf Nachfrage von t-online allerdings dementiert. Der Krieg in der Ukraine bringe "Tod, Zerstörung und unermessliches Leid" heißt es in dem Statement. Deshalb spende der Konzern für Betroffene. Über den weiteren Verbleib im russischen Markt wolle man "vor dem Hintergrund der Sicherheitshinweise und Warnungen für die Wirtschaft des Bundesamts für Verfassungsschutz vorerst nicht öffentlich konkreter Stellung nehmen".

Experte: "Unternehmen machen ein Verlustgeschäft"

Fakt ist: Der Ausstieg aus dem russischen Geschäft wird den Konzernen nicht leicht gemacht. "Für die Unternehmen ist es unheimlich schwierig, sich von ihrem Russlandgeschäft zu trennen, da Russland ihnen beim Verkauf von Standorten und der Übertragung von Vermögenswerten Steine in den Weg legt", sagt Gerards Iglesias. "Putin will einen Exodus verhindern." So ist der Verkauf von Unternehmensanteilen oder Standorten teilweise nur an russische Firmen erlaubt, die auf den europäischen Sanktionslisten stehen. Sollten sich die Unternehmen darauf einlassen, drohen ihnen Strafen in ihren Herkunftsländern.

Dadurch ist der Ausstieg aus dem russischen Markt mit hohen Kosten verbunden. "Auf jeden Fall machen Unternehmen ein Verlustgeschäft", so Gerards Iglesias. Mit der Entscheidung vom vergangenen Wochenende könne sich die Lage jetzt noch verschärfen: "Das Dekret macht einen Ausstieg noch schwieriger."

"Wirtschaftspolitisch wird es immer unberechenbarer"

Was Putin dazu bewogen hat, sein Verhalten zu ändern, ist unklar. "Wirtschaftspolitisch wird es immer unberechenbarer", sagt Iglesias. Drohungen in Richtung westlicher Firmen hatte es in den vergangenen Monaten immer wieder gegeben, doch letztlich hatte Russland die Firmen vor Ort in Ruhe gelassen.

Denn klar ist auch: Russland braucht ausländische Unternehmen mehr als andersherum. "Der russische Markt ist für die meisten deutschen Unternehmen nachrangig. Wenn vor Ort produziert wird, dann nur für den lokalen Markt. Bereits seit 2014 beobachten wir, dass sich immer mehr Unternehmen aus Russland zurückziehen", so Iglesias.

Das dürfte Putin Sorgen bereiten. Denn sein Land ist in Zeiten des Krieges umso mehr auf die Steuergelder angewiesen, die ausländische Unternehmen in seine Kassen spülen. 2022 nahm der russische Staat 3,2 Milliarden US-Dollar (2,89 Milliarden Euro) an Einkommensteuer von ausländischen Firmen ein. Doch was das konkret für die Zukunft heißt, kann niemand aktuell sagen. "Nichts, was Putin tut, ist vernünftig. Das Vorgehen Russlands ist reaktionär und hat totalitäre Züge", sagt Gerards Iglesias. Russland habe sich einem Wirtschaftsnationalismus verschrieben.

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Unsicherheit schwächt die russische Wirtschaft

Diese Haltung birgt Probleme. Putin sei bewusst, dass er Rückhalt in der Bevölkerung verliert, wenn Produktionsstätten und beliebte Konsumgüter wegfallen, so der Experte. Deswegen stelle die Zwangsverwaltung per Dekret für ihn einen Mittelweg dar. Die Unternehmen bleiben so – gezwungenermaßen – vor Ort, könnten aber nach dem Krieg durch entsprechende Entschädigungen an die westlichen Mutterkonzerne auch langfristig gehalten werden.

Zudem kann Putin kurzfristig seine Gefolgsleute mit Posten versorgen. Den zwangsverwalteten Russlandzweig von Danone etwa führt seit vergangener Woche der Neffe des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow, Ibragim Sakrijew. Selbst in Russland wird dieser offene Nepotismus und die Korruption bemerkt. "Es ist eine Umverteilung von Reichtum", zitiert die "Financial Times" einen Oligarchen, der Putin nahesteht.

Auf Dauer dürfte sich diese Taktik nicht rechnen. Analysten sind sich sicher, dass noch weitere Enteignungen und Zwangsverwaltungen folgen werden. Das dürfte dazu führen, dass westliche Firmen künftig davor zurückschrecken, in Russland zu investieren. Kaum ein Unternehmen wird noch neue Standorte oder gar Fabriken eröffnen wollen, wenn die Möglichkeit besteht, enteignet zu werden.

Und auch an den Kapitalmärkten dürfte diese Unsicherheit spürbar werden. Wie anfällig das die russische Wirtschaft macht, zeigte zuletzt der Aufstand der Wagner-Söldner. Der bewaffnete Marsch in Richtung Moskau wurden von vielen Experten als Zeichen von Putins Schwäche gewertet. In der Folge stürzte der Rubelkurs auf den tiefsten Stand seit Kriegsbeginn (mehr dazu lesen Sie hier).

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Simon Gerards Iglesias (IW)
  • Statement Storck
  • Anfrage New Yorker
  • yalerussianbusinessretreat.com
  • moscowtimes.com: "Western Companies Net $13Bln in Profits After Remaining in Russia" (englisch)
  • novayagazeta.eu: "The ones that remained" (englisch)
  • ft.com: "Kremlin oligarchs eye Carlsberg assets as Kadyrov ally takes over Danone unit" (englisch)
  • n-tv.de: "Putin macht westliche Firmen zur Kriegsbeute"
  • businessinsider.com: "Western companies still operating in Russia were so profitable in 2022 that their corporate taxes contributed almost $4 billion to the country's revenues" (englisch)
  • fashionunited.de: "New Yorker eröffnet neuen Store in Moskau"
  • lebensmittelzeitung.net: "Metro und Globus ziehen Gelder aus Russland ab" (Bezahlinhalt)
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