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Drohen neue Bahnstreiks? Gewerkschaftschef: "Schlimmste steht uns noch bevor"


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Bahn-Gewerkschaftsboss Burkert
"Das Schlimmste steht uns noch bevor"

InterviewVon Frederike Holewik

Aktualisiert am 21.06.2023Lesedauer: 6 Min.
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Ein ICE der Deutschen Bahn am Berliner Hauptbahnhof: "Zugfahren ist das letzte deutsche Abenteuer", sagt EVG-Chef Martin Burkert. (Quelle: Maja Hitij)
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Deutsche Bahn und Bahngewerkschaft können sich auch in der sechsten Tarifrunde bislang nicht einigen. t-online hat mit EVG-Chef Burkert über mögliche Streiks und die Probleme bei der Bahn gesprochen.

Viele Pendler und Urlauber warten gespannt darauf, was sich im Tarifstreit zwischen der Deutschen Bahn und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bewegt. Denn der Arbeitskampf der Bahnangestellten trifft die Bevölkerung wie kaum ein anderer. Seit Monaten kämpft die EVG um höhere Löhne für 180.000 Beschäftigte.

An der Spitze der EVG steht der Eisenbahner und frühere SPD-Politiker Martin Burkert. t-online hat mit ihm über die Tarifverhandlungen, die Schwierigkeiten im Güterverkehr und den Spaß am Bahnfahren gesprochen.

t-online: Herr Burkert, wie laufen die Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn?

Martin Burkert: Wir sind uns der Verantwortung sehr bewusst. Unsere Gremien sind in den letzten Zügen der Bewertung bisheriger Verhandlungsergebnisse. Der schwierigste Punkt ist nach wie vor die Laufzeit, also in welchem zeitlichen Rahmen Gehaltserhöhungen erfolgen sollen. Diesen Donnerstag entscheidet der EVG-Bundesvorstand als oberstes Gremium über das weitere Vorgehen inklusive etwaiger Streiks.

Wie viele Mitglieder haben Sie durch die Streiks der vergangenen Wochen gewonnen?

Der Tarifstreit hatte einen deutlichen Einfluss. Wir haben aktuell bereits 6.500 neue Mitglieder gewonnen, das sind 2.500 mehr als im vergangenen Jahr. Andere Gewerkschaften wie Verdi und IG Metall haben nach ihren Streiks ähnliche Erfahrungen gemacht.

Spielt bei Ihnen auch der Machtkampf mit der Konkurrenz, der Gewerkschaft der Lokführer (GDL), eine Rolle?

Nein, von einem Machtkampf würde ich aktuell nicht sprechen. Aber wir registrieren aus den Reihen der GDL so viel Zulauf wie schon seit Jahren nicht.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube, das Tarifeinheitsgesetz bringt die Menschen dazu. Das Gesetz legt fest, dass in den verschiedenen Betrieben der Deutschen Bahn der Tarif der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern gilt. Von den 302 Betrieben entfallen 284 auf die EVG.

Ganz allgemein scheint es gerade eine gute Zeit für Arbeitnehmer zu sein. Schließlich suchen fast alle Unternehmen nach Fachkräften. Inwiefern spüren Sie diese neue Macht der Arbeitnehmer?

Der Fachkräftemangel ist zunächst einmal die größte wirtschaftliche Herausforderung aktuell – neben der Inflation und Energiekrise. Und das Schlimmste steht uns noch bevor: Bis 2030 werden knapp acht Millionen Fachkräfte fehlen. Das betrifft auch die Bus- und Bahnbranche. Das erhöht den Druck auf die Arbeitgeber, über mehr als Gehaltserhöhungen nachzudenken.

Woran denken Sie da konkret?

Arbeitgeber müssen jetzt verstärkt in verschiedenen Bereichen Angebote machen. Ein Beispiel sind Betriebskindergärten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen. Aber auch bezahlbarer Wohnraum in der Nähe des Arbeitsplatzes spielt eine Rolle. Die Deutsche Bahn prüft auf unsere Initiative hin die Überbauung von Park-and-Ride-Parkplätzen, um dort Dienstwohnungen zu errichten. Der Kampf um die Fachkräfte hat begonnen und wird sich noch verstärken.

Auch die Arbeitszeit spielt, gerade bei Berufseinsteigern, eine größere Rolle. Viele jüngere Menschen wollen Arbeit und Freizeit ausgewogener gestalten. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat darüber zuletzt Unverständnis geäußert. Was halten Sie von der Vier-Tage-Woche?

Vier Tage arbeiten, drei Tage frei, das ist sehr verlockend. Natürlich ist Arbeitszeit ein Faktor, durch den Arbeitgeber attraktiv werden. In unserer Branche haben wir zum Beispiel das EVG-Wahlmodell, das wir in früheren Tarifrunden durchgesetzt haben: Für weniger Gehalt können sie bis zu 12 weitere Urlaubstage oder eine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit bekommen. Das nehmen fast 60 Prozent der Angestellten in Anspruch.

Martin Burkert

Burkert wurde 1964 in Würzburg geboren. Nach seinem Hauptschulabschluss in Nürnberg begann er 1980 seine Ausbildung bei der Deutschen Bundesbahn und begann drei Jahre später die Beamtenlaufbahn. Von 2005 bis 2020 war Burkert für die SPD Mitglied des Deutschen Bundestags und von 2005 bis 2013 auch Bahnbeauftragter seiner Fraktion. Von 2014 bis 2017 übernahm er den Vorsitz des Verkehrsausschusses. Seit 2008 ist er zudem Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der EVG, seit 2019 war er zunächst Stellvertretender Vorsitzender. Seit Oktober 2019 ist er Vorsitzender der Gewerkschaft.

Wenn Sie sich den ganzen Tag mit Kritik an der Bahn auseinandersetzen, haben Sie selbst eigentlich noch Spaß beim Zugfahren?

Ich sage immer: Zugfahren ist das letzte deutsche Abenteuer. Die Qualität ist im Keller, nicht nur bei der Pünktlichkeit und es sind keine Einzelfälle. Im internationalen Vergleich ist die Deutsche Bahn zwar noch vorne mit dabei, aber es müssen die Versäumnisse des letzten Jahrzehnts aufgeholt werden, damit das auch so bleibt. Der Investitionsrückstau im Schienennetz ist aktuell bei rund 90 Milliarden Euro angekommen. Das gilt es nun endlich abzubauen, um wieder zu besserem Schienenverkehr zu kommen.

Sie sind aber nicht nur bei der Deutschen Bahn vertreten. Inwiefern unterscheiden sich die Verhandlungen mit anderen Unternehmen?

Wir sind in über 50 Unternehmen vertreten und viele davon haben ihre Muttergesellschaften im Ausland, etwa die Bayerische Regiobahn, die zur französischen Transdev Gruppe gehört. Die Schwierigkeit dabei ist, dass wir immer separat verhandeln müssen, da es keinen einheitlichen europäischen Arbeitgeberverband gibt. Aber die Führungsriege ist kleiner und die Unternehmen dadurch bei Verhandlungen beweglicher. Die Deutsche Bahn ist wie ein großer Tanker, da braucht es manchmal lange, um eine Richtungsänderung anzusteuern, die kleineren Unternehmen sind da schon eher wie Motorboote.

Die EVG setzt sich gegen sogenannte Gigaliner, also besonders lange Lkw, ein. Befürchten Sie, dass die eine Konkurrenz zum Güterschienenverkehr darstellen?

Wir waren von Anfang an gegen die Einführung der Gigaliner, schon aus umwelt- und klimapolitischen Erwägungen. Die EU-Kommission will nun sogar 60-Tonner grenzüberquerend fahren lassen. Das kann unsere Straßeninfrastruktur gar nicht stemmen.

Das Klima-Argument haben Sie auf Ihrer Seite. Inwiefern muss die Schiene auch wirtschaftlich attraktiver werden als der Straßentransport?

Ein 700 Meter langer Ganzzug ist immer emissionsärmer und wirtschaftlicher, denn er ersetzt im Durchschnitt 52 Lkw. Noch zu teuer sind die einzelnen Waggons, die durch die Republik gefahren werden.

Warum hält die Bahn dann an diesem Einzelwagenverkehr fest?

Für einzelne Branchen wie die Chemie- und Stahlindustrie sind sie extrem wichtig und die Alternative wären täglich 40.000 Lkw mehr auf deutschen Straßen. Deshalb unterstützen wir das Ziel der Bundesregierung, den Einzelwagenverkehr zu stärken.

Sie plädieren dafür, mehr Güter auf der Schiene zu transportieren. Nach Berechnungen des Bundesverkehrsministeriums wird der Bedarf dabei in den kommenden Jahren ohnehin um mehr als 30 Prozent steigen. Dabei ist das Netz schon jetzt ausgelastet. Wie soll das in Zukunft gehen?

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Wenn wir nichts tun, dann wird das zum Problem. Wir kennen die Berechnungen und fordern daher auf europäischer Ebene entsprechend dem Green Deal zu handeln und die Verkehrswende einzuläuten. Wir hätten auch gerne eine so deutliche Förderung, wie es die Automobilbranche erfährt.

Die Bahn als Staatskonzern wird aber ja deutlich gefördert. Der Güterverkehr wird dabei von der DB Cargo verantwortet und schreibt seit Jahren rote Zahlen im dreistelligen Millionenbereich. Wo genau liegt das Problem?

Die privaten Unternehmen fahren nur das, was Gewinn bringt. Die DB Cargo muss den Einzelwagenverkehr stemmen, der derzeit nicht gewinnbringend betrieben werden kann. Da muss sich der Staat entscheiden, was er will: diese Verluste hinnehmen oder eben täglich 40.000 Lkw-Fahrten mehr auf den Straßen. Aber es läuft auch im Unternehmen selbst etwas falsch.

Was denn?

Ich war selbst zehn Jahre im Aufsichtsrat der DB Cargo und habe eine ganze Reihe an Vorständen erlebt. Diese hohe Anzahl der Wechsel ist nicht gesund und insgesamt gibt es zu viele Hierarchiestufen, sodass gar nicht alle wichtigen Themen zum Vorstand durchdringen.

Wie lange kann das so weiter gehen, gerade in Zeiten, in denen Verkehrsminister Volker Wissing zum Sparen angehalten ist?

Zunächst einmal ist wichtig zu klären, ob die versprochenen 45 Milliarden zum Ausbau der Schieneninfrastruktur bis 2027 fließen und wie viel davon aus der erhöhten Lkw-Maut kommt. Und dann muss natürlich der aktuelle Haushalt beschlossen werden. Dabei fordern wir, dass der Einzelwagenverkehr mit 350 Millionen Euro bedacht wird.

Was würde passieren, wenn an dieser Stelle gekürzt wird?

Sollte der Betrag weit unter 350 Millionen Euro liegen – zeitweise waren einmal 100 Millionen im Gespräch –, ist das System nicht tragfähig. Dann könnte das zum Verlust von 6.000 bis 8.000 Jobs führen.

Vielen gilt Verkehrsminister Wissing wegen seiner ablehnenden Haltung zum Tempolimit als besonders autofreundlich. Fühlen Sie sich mit ihren Anliegen von der Politik genug gehört?

Wir hatten einen schwierigen Start, aber mittlerweile stehen wir in regem Austausch. Am Ende ist entscheidend, was er bei seinem Kollegen Christian Lindner im Finanzministerium durchsetzt. Und eines muss ich ihm wirklich zugute halten: Er hat sehr offen die falschen Entscheidungen seiner Vorgänger kritisiert.

Mit dem 49-Euro-Ticket hat Wissing zudem mehr Menschen Lust auf ÖPNV gemacht. Bei den Betrieben sorgt das nun für Mehrbelastungen. War das trotzdem richtig?

Ja. Beim 9-Euro-Ticket gab es tatsächlich eine deutliche Mehrbelastung durch die kurzfristig sehr hohe Zahl an Fahrgästen. Durch das 49-Euro-Ticket haben wir bislang 700.000 neue Fahrgäste, aber die Gespräche dazu laufen gut. Nun muss nach der Nachfrageausweitung durch die Preisreduzierung die Angebotsausweitung folgen. Dafür braucht es vor allem mehr Personal und Fahrzeuge im ÖPNV. Langfristig fordern wir: Der gesamte öffentliche Nahverkehr muss kostenlos werden.

Herr Burkert, wir danken für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Martin Burkert
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