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Nord Stream 1: Es fließt wieder Gas aus Russland – aber reicht das?


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Nord Stream 1
Es fließt wieder Gas – aber reicht das?


Aktualisiert am 21.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Mecklenburg-Vorpommern, Lubmin: Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 und der Übernahmestation der Ferngasleitung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung) sind im Industriegebiet von Lubmin zu sehen.Vergrößern des Bildes
Nord-Stream-1-Transferstation in Lubmin: Die Hähne sind wieder geöffnet, doch immer noch kommt deutlich weniger Gas aus Russland. (Quelle: Stefan Sauer/dpa)
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Russland liefert wieder Gas, allerdings weniger als zuvor. t-online erklärt, was das für den kommenden Winter bedeutet.

Das Gas aus Russland fließt wieder, wenn auch in reduzierter Menge. Die Unsicherheiten sind damit aber keineswegs beseitigt, die deutsche Politik ist weiterhin in Alarmbereitschaft. Auch deshalb kündigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstagmittag ein neues Maßnahmenpaket zum Energiesparen an.

Und auch die Wirtschaft traut dem russischen Staatskonzern Gazprom nicht über den Weg. Russland wolle das Bild als zuverlässiger Partner aufrechterhalten. Doch dabei handele es sich vor allem um eine Kommunikationsstrategie im Zuge der russischen Kriegsführung, sagt Wirtschaftsweise und Energieexpertin Veronika Grimm im Gespräch mit t-online.

t-online erklärt, was die gedrosselten Lieferungen für die Wirtschaft bedeuten und was das für den kommenden Winter heißt.

Wie viel Gas liefert Russland aktuell?

Seit Donnerstagvormittag fließt wieder Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1. Zunächst war von rund 30 Prozent der vertraglich festgelegten Menge die Rede, im Laufe des Tages stieg dieser Wert an, sodass er zeitweise bei fast 40 Prozent lag – bei dieser Marke hatten die Lieferungen auch vor den Wartungsarbeiten an der Pipeline gelegen. Das bestätigte Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller bei einer Presskonferenz am frühen Nachmittag.

Zuvor hatte Russland die Lieferungen zehn Tage lang für die Dauer der jährlichen Wartungsarbeiten eingestellt. Davor jedoch waren die Lieferungen bereits in reduziertem Umfang erfolgt.

Als Begründung hieß es dazu vom Kreml, dass eine wichtige Turbine für eine Kompressorstation fehle. Diese war zur Reparatur bei Siemens Energy in Kanada und konnte aufgrund der Sanktionen gegen Russland nicht zurückgeschickt werden. An dieser Version gibt es unterdessen erhebliche Zweifel. "Die Turbine als Erklärung für gedrosselte Gaslieferungen war ein Vorwand Russlands – da verdichten sich die Indizien", sagt die Wirtschaftsweise und Energieexpertin Veronika Grimm im Gespräch mit t-online. "Dadurch sollte Deutschland wohl indirekt gezwungen, Druck auf Kanada auszuüben."

Tatsächlich hatte sich die Bundesregierung, darunter auch Außenministerin Annalena Baerbock, mit deutlichen Bitten an die kanadische Regierung gewandt und um den Versand der Turbine gebeten. Damit habe man Russland diesen Vorwand nehmen wollen. Mittlerweile wurde die Turbine über Deutschland nach Russland verschickt. Mehr zum Turbinen-Krimi lesen Sie hier.

Warum liefert Russland überhaupt wieder Gas?

Das dürfte vor allem politische Gründe haben. "Russland will das Bild als zuverlässiger Partner aufrechterhalten", sagt Grimm. "Wir beobachten derzeit ein Kommunikationsmuster, das selbst Teil der russischen Kriegsführung ist."

Lange haben viele Politiker und Wirtschaftsvertreter diese Ansicht geteilt. Selbst im Kalten Krieg, so sagten es bis zuletzt viele, sei auf Russland Verlass gewesen – ein Grund dafür, dass Deutschland und andere westliche Länder sich von Russland abhängig gemacht haben.

An diesem Punkt setze Russland nun an, so Grimm: "Das Ziel Putins ist es, den Zusammenhalt des Westens zu erodieren." Die Sorge vor einem Gasmangel führt bereits zu hitzigen Diskussionen innerhalb der Staatengemeinschaft. Zuletzt äußerte Polen, dass sie ihr Gas ungern und nur unter bestimmten Bedingungen mit Deutschland teilen wollten.

Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft?

Das lässt sich kaum mit Gewissheit sagen. Alles hängt davon ab, wie viel Gas in den nächsten Wochen in Deutschland ankommt. Für den Fall eines kompletten Gas-Lieferstopps sagt Expertin Grimm:

"Wir müssen mit deutlichen Einschnitten für die Wirtschaft rechnen." Die Modellrechnungen deuteten auf einen Wirtschaftseinbruch von bis zu 6 Prozentpunkten durch einen Gas-Lieferstopp hin – "wenn wir uns nicht gut auf diesen Fall vorbereiten", so die Wirtschaftsweise. "Optimistische Schätzungen rechnen mit einem Einbruch von lediglich 0,5 Prozentpunkten. In der aktuellen Lage sieht es so aus, als würden wir dazwischen landen."

Natürlich sind die wiedereingesetzten Lieferungen ein Grund zum Aufatmen. Viele Industriezweige sind weiterhin auf Gas angewiesen. "30 Prozent Gaslieferungen durch Nord Stream 1 sind besser als nichts", sagt auch Grimm. "Der Worst Case ist also nicht eingetreten, aber dabei muss man auch ganz klar sagen: Für den Worst Case ist Deutschland nicht ausreichend vorbereitet." Diese Vorbereitungen hätten schon verstärkt in den vergangenen Monaten ausgeführt werden müssen, etwa Energiesparprämien für Privathaushalte und Maßnahmen zur Einsparung in der Industrie.

Wie ist Deutschland für den Winter aufgestellt?

Mittelprächtig. Die Gasspeicher sind mittlerweile zu gut 65 Prozent gefüllt. Doch selbst volle Gasspeicher reichen für maximal zwei bis drei Monate und damit nicht einmal für eine ganze Heizperiode.

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Auf der anderen Seite verbraucht Deutschland in diesem Jahr bereits deutlich weniger Gas als noch im Vorjahreszeitraum. Dennoch reichen diese Einsparungen nicht aus, sagt Grimm: "Deutschland muss noch viel umfangreicher vorsorgen als bisher, sowohl beim Gaseinkauf als auch bei der Gaseinsparung", sagt auch Grimm.

Beim Sparen geht es dabei nicht nur um volle Speicher und geringeren Verbrauch, sondern das Ganze hat auch eine politische Komponente. "Für das Gassparen gibt es zwei gute Gründe", so Grimm. "Zum einen dämpft es die Ausmaße eines Wirtschaftseinbruchs, zum anderen ist Deutschland deutlich weniger erpressbar, wenn weniger Gas benötigt wird." Mit seinem Maßnahmenpaket unterstreicht Habeck genau diese Schlussfolgerungen.

Was für Maßnahmen hat Habeck vorgeschlagen?

Es ist ein ganzes Paket, mit dem der Wirtschaftsminister und die Bundesnetzagentur einen kritischen Wert erreichen wollen: 20 Prozent weniger Gasverbrauch. Damit könnte die Gefahr einer Mangellage abgewendet werden, so Habeck und Müller am Donnerstag.

Zu den Maßnahmen gehören schärfere Vorgaben zur Befüllung der Gasspeicher. Die Speicher sollen laut Habeck am 1. September zu 75 Prozent gefüllt sein, zum 1. Oktober statt wie bisher zu 80 Prozent dann zu 85 Prozent, und zum 1. November statt wie bisher zu 90 dann zu 95 Prozent.

Zum 1. Oktober solle die Braunkohlreserve aktiviert werden, bisher ist dies bereits bei der Reserve bei Steinkohlekraftwerken der Fall.

Habeck sprach zudem von einer Gaseinsparverordnung, um wenn möglich Gas aus dem Markt herauszunehmen. Zusammen mit dem Verkehrsministerium solle es eine Verordnung geben, die Kohle und Öl im Schienenverkehr den Vorzug gebe.

Darüber hinaus soll in öffentlichen Gebäuden Energie eingespart werden und ein verbindlicher "Heizungscheck" eingeführt werden. Vorgesehen sind auch Maßnahmen, um in Wohnungen beim Heizen Gas zu sparen.

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Auch in Wohngebäuden soll mehr Energie gespart werden. Mieterinnen und Mieter sollen ferner mehr Spielraum bekommen, Energie einzusparen. Derzeit gebe es teils vertragliche Verpflichtungen, eine Mindesttemperatur in gemieteten Räumen aufrechtzuerhalten, so das Ministerium.

Wie lange dauert die Energiekrise noch an?

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Das ist schwer zu sagen, aber es dürfte ein langwieriger Prozess werden. Noch ist Deutschland von russischem Gas abhängig. Davon komplett unabhängig zu werden, ist voraussetzungsreich. Zum einen braucht Deutschland verlässliche neue Lieferpartner. Habeck hat dazu bereits Gespräch in Katar, aber auch in den USA geführt.

Aber auch für die Lieferwege braucht es Alternativen. Bislang kommt das Gas in Deutschland durch Pipelines. Flüssiggas könnte auch per Schiff geliefert werden, dafür werden allerdings sogenannte LNG-Terminals benötigt. Zum Übergang gibt es dafür schwimmende Terminals. Zwei davon sollen Ende des Jahres in Wilhelmshaven und Brunsbüttel an den Start gehen. 2023 sollen in Stade und Lubmin weitere Terminals dazukommen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Veronika Grimm
  • Pressemitteilung BDEW
  • agsi.gie.eu: Speicherstände
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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