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Nord Stream 1
Das bedeutet die Turbine für die deutsche Gasversorgung


18.07.2022Lesedauer: 4 Min.
Siemens-Mitarbeiter im Gasturbinenwerk Berlin (Symbolbild): Die Kompressorturbine soll an Russland geliefert werden, damit es keine Vorwände für ausbleibende Gaslieferungen mehr gibt.Vergrößern des Bildes
Siemens-Mitarbeiter im Gasturbinenwerk Berlin (Symbolbild): Die Kompressorturbine soll an Russland geliefert werden, damit es keine Vorwände für ausbleibende Gaslieferungen mehr gibt. (Quelle: IPON/imago-images-bilder)

Russland behauptet, an diesem Bauteil hänge die Gasversorgung, doch das Wirtschaftsministerium widerspricht. Die Turbine ist längst zum Politikum geworden.

Der Streit um eine Turbine für die Ostseepipeline Nord Stream 1 verschärft die Sorge vor einem anhaltenden Gaslieferstopp aus Russland. Ob wie geplant ab Donnerstag wieder Gas über die Pipeline geliefert wird, ist bislang unklar.

Die wichtigste Lieferroute für russisches Gas nach Deutschland ist seit genau einer Woche nicht mehr am Netz. Planmäßig finden derzeit die jährlichen Wartungsarbeiten statt. Diese sollen am Donnerstag abgeschlossen sein. Doch Russlands staatlicher Energieriese Gazprom will sich nicht festlegen, ob und in welchem Umfang er die Energieversorgung in Deutschland und in den anderen EU-Staaten bestreiten will.

Ein Teil der Begründung: Es fehle noch die wichtige Turbine.

Notwendigkeit ist umstritten

Das Bauteil gehört zur Kompressorstation Portowaja. Erdgas wird nach der Förderung und Aufbereitung über Fern-Pipelines befördert. Auf dieser Strecke verliert es an Druck, dafür sind sogenannte Verdichter- oder Kompressorstationen da. Dort wird mit einem Kompressor das Erdgas komprimiert, um den Druckverlust auszugleichen.

Die vergangenen Wochen war die Turbine zu Wartungsarbeiten bei Siemens Energy im kanadischen Montreal. Damit begründet Russland seit Mitte Juni die auf 40 Prozent gedrosselten Gaslieferungen durch Nord Stream 1.

Doch wie nötig diese Turbine für die aktuelle Gasversorgung tatsächlich ist, ist umstritten. Gazprom hält an der Version von Mitte Juni fest und betont: Davon hänge "die verlässliche Arbeit der Gasleitung Nord Stream und die Versorgung der europäischen Verbraucher ab".

Das deutsche Wirtschaftsministerium hingegen teilte am Montag mit, dass die Turbine lediglich ein Ersatzteil sei. "Es handelt sich um eine Ersatzturbine für den Einsatz im September", sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Es sei ein Vorwand der russischen Seite, dass wegen der Wartung dieser Turbine der Gasfluss durch die Pipeline Nord Stream 1 habe gedrosselt werden müssen.

Bericht: Turbine in Deutschland

Wo sich die Turbine derzeit befindet, ist nicht bekannt. Die Ministeriumssprecherin wollte dazu aus Sicherheitsgründen keine Angaben machen. Bei Siemens Energy hieß es auf t-online-Anfrage lediglich, man "versuche schnellstmöglich", die Turbine zuzustellen.

Den Bericht der russischen Zeitung "Kommersant", nach dem die Turbine bereits nach Deutschland geliefert worden sei, wollte das Unternehmen nicht kommentieren. Im Bericht heißt es zudem, dass der Weitertransport nach Russland zwischen fünf und sieben Tage in Anspruch nehmen könnte.

Bauteil ist Politikum geworden

Dass bis Donnerstag alles geklärt ist, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Und auch darüber hinaus ist die Gasversorgung nicht gesichert. Mehrere westliche Politiker äußerten sich skeptisch hinsichtlich der Frage, ob Gazprom anschließend wieder Gas liefern wird. Auch das Bundeswirtschaftsministerium unter der Leitung von Robert Habeck gibt sich skeptisch.

Dennoch hatte die Bundesregierung um die Lieferung gebeten. So soll Russland ein möglicher Vorwand für weitere Lieferbeschränkungen genommen werden. Mit der Lieferung an Deutschland bricht Kanada keine Sanktionsrichtlinien. Und da Gas in der EU von den Sanktionen ausgenommen ist, kann die Turbine dann nach Russland verschickt werden.

Deutliche Kritik aus der Ukraine

Kanadas Finanzministerin Chrystia Freeland hatte am Samstag erklärt, die Entscheidung der Regierung, eine zeitlich begrenzte Ausnahme zu machen und die Turbine für die russische Pipeline zu liefern, sei "sehr schwierig" gewesen. Ihre Regierung sehe jedoch die Energieprobleme, "denen sich Deutschland und unsere europäischen Partner gegenübersehen", und habe entsprechend gehandelt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Entscheidung Kanadas, die Turbinen trotz Sanktionen zu liefern, scharf kritisiert. Die Ukrainer würden "die Entscheidung Kanadas nie akzeptieren", erklärte Selenskyj am Sonntag nach einem Telefongespräch mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau. Es handle sich dabei um eine "Verletzung des Sanktionsregimes" gegen Russland.

Sorge vor Gasmangel

Die Gemengelage bereitet Politik und Wirtschaft in Deutschland große Sorgen. Denn ein kompletter Ausfall russischer Lieferungen hätte spürbare Folgen für die Gasversorgung.

Man sei auf alle Szenarien vorbereitet, sagte die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in Berlin auf die Frage, ob die Regierung erwarte, dass danach wieder Gas durch die Pipeline nach Westen gepumpt werde.

Beidseitige Abhängigkeit

Russland selbst, da sind sich viele Experten einig, hat kein Interesse daran, in diesem Konflikt als die Seite dazustehen, die Verträge bricht. Andere Großabnehmer wie China oder die Türkei, die ebenfalls über neu gebaute Gasleitungen versorgt werden, könnten alarmiert reagieren und an Russlands Zuverlässigkeit zweifeln.

Wer sich dagegen mit Russland gut stellt – wie etwa Serbien, Ungarn und vor allem auch der Nachbar Belarus –, kann traditionell auf Freundschaftspreise rechnen. Auch China erhält Gas zu einem deutlich niedrigeren Preis als der Westen.

Doch nicht nur der eigene Ruf, auch die Finanzen dürften dazu führen, dass Russland sich nicht gänzlich von Europa abwendet. Russland sei weiter von den Einnahmen aus dem Gasverkauf abhängig, so der russische Energie- und Finanzexperte Marcel Salichow. Die Gasmengen für Europa etwa nach China umzuleiten, sei quasi unmöglich. Bestehende Leitungen seien ausgereizt, neue Leitungen zu verlegen, sei zu kostspielig.

Russland nutzt Gas als Druckmittel

Es ist daher naheliegender, dass Russland die Sorge in Europa zum eigenen Verhandlungsvorteil nutzen will, etwa über Sanktionen. Schon zuletzt zwang Putin viele Abnehmer in der EU zu Rubelzahlungen für russisches Gas.

Ebenfalls denkbar: Nord Stream 2 könnte wieder ins Gespräch gebracht werden. Die Gasleitung ist fertig, aber wegen des Ukraine-Krieges nie in Betrieb gegangen. Rechtlich ist sie nicht zugelassen. Putin hatte bereits erklärt, dass durch Lieferungen über diese Leitung die Preise wieder sinken und sich die Situation insgesamt entspannen könnte. Bislang hält die Bundesregierung daran fest, die Pipeline nicht in Betrieb zu nehmen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Anfrage an Siemens Energy
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