Welthandel EU-Mercosur: Weg frei für eine riesige Freihandelszone?
Zwischen Europa und Südamerika sollen Zölle abgebaut werden. Unternehmen hoffen auf neue Märkte und steigende Umsätze. Doch es gibt auch nach der Einigung auf den Vertragstext noch Hürden.
Rund ein Vierteljahrhundert lang haben die Unterhändler auf beiden Seiten des Atlantiks erbittert um Details gerungen - jetzt soll das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur endlich abgeschlossen werden. Bei einem Mercosur-Gipfel in Uruguays Hauptstadt Montevideo verkündeten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie die Präsidenten von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay am Freitag eine Einigung auf den Vertragstext. Mit dem Abkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Menschen entstehen.
Was erhofft sich die EU von dem Freihandelsabkommen?
Im Endeffekt geht es um Jobs und Wohlstand. Über einen besseren Zugang zu den Märkten in den Mercosur-Ländern sollen europäische Unternehmen neue Wachstumsmöglichkeiten bekommen. Bislang müssen Importeure von EU-Waren zum Teil sehr hohe Zölle zahlen, die der Wettbewerbsfähigkeit schaden. Auf Autos sind es beispielsweise 35 Prozent, auf Maschinen 14 bis 20 Prozent und auf Chemikalien bis zu 18 Prozent. Die Zölle sollen nun schrittweise abgebaut werden. Am Ende könnten pro Jahr Abgaben in Höhe von rund vier Milliarden Euro eingespart werden, hat die EU-Kommission ausgerechnet.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die Einigung am Freitag als eine sehr gute Nachricht für Unternehmen. Das Abkommen könne einen dringend notwendigen Wachstumsimpuls für die deutsche und europäische Wirtschaft bringen. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer sprach von einem Meilenstein für die EU-Handelspolitik.
Was macht den Mercosur für die EU so interessant?
In den vier Mercosur-Ländern leben mehr als 260 Millionen Menschen. Zusammen bilden sie die fünftgrößte Wirtschaftsregion der Welt mit einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 2,2 Billionen Euro. Im vergangenen Jahr importierten sie aus der EU Waren im Wert von 55,7 Milliarden Euro, in umgekehrter Richtung betrug das Exportvolumen 53,7 Milliarden Euro. Insgesamt könnten nach EU-Angaben 60.500 europäische Unternehmen profitieren.
Werden auch Verbraucher Vorteile haben?
Durch die Liberalisierung des Handels könnten Preise für importierte Produkte aus den Mercosur-Staaten sinken - zum Beispiel für Fleisch, Obst, Soja, Kaffee und Zucker. Zum Schutz der EU-Landwirtschaft sollen bei bestimmten Agrarprodukten die Märkte aber nicht vollständig geöffnet werden. Die Zollerleichterungen würden dort nur für eine bestimmte Liefermenge gelten.
Warum kritisieren Umweltschützer das Freihandelsabkommen?
Sie befürchten, dass die neuen Absatzchancen für landwirtschaftliche Produkte die Umweltzerstörung beispielsweise im Amazonas-Regelwald befeuern könnten. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace nannte das Abkommen am Freitag toxisch und schrecklich für das Weltklima. Sie geht davon aus, dass die Abholzungsraten in der Mercosur-Region wegen der höheren Importquoten für Rindfleisch in den kommenden sechs Jahren um fünf Prozent pro Jahr steigen werden. Sinkende Zölle auf Pestizide und Kunststoffe könnten demnach zudem auch die Plastikverschmutzung in Südamerika erhöhen und die Artenvielfalt gefährden.
Was haben die europäischen Bauern gegen den Vertrag mit dem Mercosur?
Die Landwirte in Europa befürchten, im Wettbewerb mit den südamerikanischen Großbauern nicht bestehen zu können. Im Mercosur wird in deutlich größerem Maßstab produziert, was Kostenvorteile mit sich bringt. Die europäischen Bauern beklagen zudem, dass für sie strengere Regeln beispielsweise beim Umweltschutz und bei der Lebensmittelsicherheit gelten als für die südamerikanischen Konkurrenten.
Wie reagieren die EU und die Bundesregierung auf die Kritik?
Sie weisen die meisten Vorwürfe als ungerechtfertigt zurück und betonen, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile eindeutig überwiegen würden. Zum Thema Pestizideinsatz erklärt etwa das Bundeswirtschaftsministerium, dass auch künftig alle Importe die gesetzlichen Anforderungen der Europäischen Union einhalten müssen. Dies bedeute, dass die in der EU geltenden Höchstwerte für Rückstände nicht überschritten werden dürften. Ganz allgemein gelte, dass nur Produkte, die den umfangreichen europäischen Vorschriften entsprechen, in die EU eingeführt werden dürfen.
Warum ist der Deal für die EU so wichtig?
Der künftige US-Präsident Donald Trump hat bereits vor seinem Amtsantritt neue Zölle angekündigt und damit Ängste vor einer noch protektionistischeren US-Handelspolitik geschürt. Die Europäische Union ist deshalb daran interessiert, ihre Wirtschaftsbeziehungen breiter aufzustellen. Dabei wird auch die Gefahr gesehen, dass sich die Mercosur-Staaten noch deutlich mehr als ohnehin schon China zuwenden, wenn sich die EU nicht stärker dort engagiert. Für eine Reihe von Ländern in der Region wie beispielsweise Brasilien ist China schon jetzt der wichtigste Handelspartner.
EU-Staaten wie Frankreich und Polen sind wegen des Protests der Landwirte gegen das Abkommen. Kann es gegen ihren Widerstand in Kraft treten?
Eigentlich nicht. Da das Abkommen neben Handelsabsprachen auch Vereinbarungen zum politischen Dialog und zur Kooperation enthält, müsste es eigentlich allen Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden. Die für die Verhandlungen zuständige EU-Kommission könnte allerdings versuchen, den politischen Teil vom Handelsteil abzusplitten. Der Handelsteil könnte dann per Mehrheitsentscheidung vom Rat der EU-Staaten angenommen werden und müsste nur dem Europäischen Parlament und nicht nationalen Parlamenten zur Zustimmung vorgelegt werden. Unklar ist allerdings, ob ein solches Vorgehen nicht Rechtsrisiken bergen würde.
Wann könnte das Abkommen formell unterzeichnet werden?
Nach dem Abschluss der Verhandlungen muss der Vertragstext nun noch einer juristischen Prüfung unterzogen und in alle Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt werden. Eine Unterzeichnung wird deswegen vermutlich frühestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres möglich sein.
- Nachrichtenagentur dpa