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Rufus Beck: "Ich habe noch nie einen Harry-Potter-Film gesehen"


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Hörbuch-Star Rufus Beck
"Ich habe noch nie einen Harry-Potter-Film gesehen"

InterviewVon Helge Denker

27.10.2018Lesedauer: 10 Min.
Nach der Lesung gibt Rufus Beck Autogramme: Die Schlange der Fans geht einmal durch den Saal.Vergrößern des Bildes
Nach der Lesung gibt Rufus Beck Autogramme: Die Schlange der Fans geht einmal durch den Saal. (Quelle: Sven Krohn, Audible)
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Er war Waltraud in "Der bewegte Mann". Doch seine größte Rolle spielte Rufus Beck hinter dem Mikrofon, als Sprecher der Harry-Potter Hörbücher. Nach fast 20 Jahren liest er sie erstmals wieder – live. Und sprach mit t-online.de darüber, was ihn privat mit dem Zauberschüler verbindet.

Das ehemalige Stummfilmkino "Delphi" in Berlin-Weißensee stammt aus den 20er Jahren und sieht aus wie der Speisesaal von Hogwarts, bei dem das Geld für Renovierungen ausgegangen ist. Hier wurden die Tanzszenen im "Mokka Efti" aus der Serie "Babylon Berlin" gedreht.

Rufus Beck (61), Sänger, Schauspieler und Sprecher, sitzt im Bühnen-Outfit in einer schmalen Garderobe und legt schnell sein Smartphone beiseite. Kurz vor seinem Auftritt mit Szenen aus den Harry-Potter-Hörbüchern sprach er ausführlich mit t-online.de. Jeder, der vor 19 Jahren "Harry Potter" gehört hat, kennt seine Stimme. Alle Hörbücher zusammen mit Becks Stimme wurden fast vier Millionen Mal verkauft.

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Harry Potter: Die komplette Hörbuch Edition - Gelesen von Rufus Beck

Zum 20. Jubiläum gibt es eine Sonderausgabe mit allen Harry-Potter-Hörbüchern im Hörverlag. Die Hörspiele sind auch bei Audible abrufbar, dem Mitveranstalter der Lesung.

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t-online.de: 1999 erschien das erste Hörbuch "Harry Potter und der Stein der Weisen". Können Sie sich noch an die erste Aufnahme erinnern?

Beck: Ja, als ich das Buch zum ersten Mal las, fand ich es auf Anhieb toll. Wusste aber nicht, dass einmal so ein Hype daraus werden könnte und, dass noch sechs weitere Bücher folgen werden. Ich war damals auf Reisen in England, ging in einen Buchladen und hatte den Buchtitel inzwischen wieder vergessen. Ich fragte: ‚Gibt es so ein Kinderbuch, das fängt mit „Harry“ an...' Haben Sie das? Die Händlerin meinte nur: 'Drehen Sie sich mal um'. Und da lag ein ganzer Stapel meterhoch. Da wusste ich, das Buch wird buchstäblich durch die Decke gehen. Erstaunlich für ein Kinderbuch.

Welcher ist Ihr Lieblings-Band?

Das erste Buch, das meines Erachtens auch am elegantesten geschrieben ist. Natürlich sind alle Harry Potter Bände tolle Literatur! Aber J.K. Rowling musste in ihrem ersten Band kurz und knackig ihre Figuren vorstellen, und zügig zum Hauptthema kommen, und gleichzeitig humorvoll den Konflikt zwischen Hogwarts, Zauberern und Muggles darlegen. Das Buch hat unheimlich viel Komik. Ich greife bei meinen Performances immer wieder auf diesen ersten Band zurück. Ich habe übrigens nie wieder in meine eigenen Hörbücher hineingehört und habe noch nie einen Harry-Potter-Film gesehen. Der kam ja erst drei oder vier Jahre später. Ich finde es gut, dass die drei Medien, Buch, Film, Hörbuch sich ästhetisch unterscheiden. Das Buch ist etwas Kontemplatives und bringt die eigene Fantasie zum klingen, das Hörbuch ist Kino für die Ohren und der Film ist ein visuelles Ereignis.

Und Sie haben noch nie einen Harry-Potter-Film gesehen?

Nein, nur einmal einen Trailer. Ich weiß daher ungefähr, wir das visuell ausschaut. Ich habe auch nicht gehört, was Stephen Fry, der Sprecher des britischen Hörbuches, gemacht hat. Ich hatte damals keine Vorbilder, keine Vorlagen und das war ein großes Geschenk, weil ich ganz naiv und unschuldig mit einer großen Lust, Neugierde und Spaß an die Sache ran gegangen bin und niemand hat mir gesagt, wie ich es interpretieren soll. Es gab keine zensierende Regie. Das würde heute nie wieder so passieren! Und genau deswegen ist das Hörbuch wahrscheinlich so ein großer Erfolg geworden, weil es keine Grenzen gab, es so aus der gewöhnlichen Hörbuch-Tradition Reihe fällt.

Und wird deshalb so geliebt...

Ja, ich liebe es auch. Ich komme ursprünglich von der Musik und für mich war das wie ein Jazz-Standard. Man kennt die Grundharmonien und dann fängt man an zu improvisieren. Natürlich muss man immer wieder zurück zum Thema kommen und die Figuren oder die Instrumente müssen wiedererkennbar sein.

Gab es denn vorher ein Konzept, in dem Sie festgelegt haben, ich lese das jetzt nicht nur vor? Haben Sie sich vorher überlegt, wie die einzelnen Stimmen und Protagonisten klingen?

Das einzige Konzept, das es gab, war meine Prämisse: 'Lasst mir freien Raum.' Ich habe nie geprobt. Ich habe es zuhause, meistens meinen Kindern vorgelesen, damit ich denen nicht noch etwas anderes zum Schlafen gehen vortragen musste, aus reiner Faulheit. Dann bin ich am nächsten Tag ins Studio und wusste manchmal Sekunden vorher noch nicht, wie eine Figur klingen wird.

Ich wollte das wirklich aus dem Bauch heraus entscheiden. Da wusste niemand im Studio was am jeweiligen Aufnahme Tag passieren würde. Und da entstand natürlich eine merkwürdige Spannung. Und das Kuriose ist ja, als da zum ersten Mal die Figur „Dobby“ auftrat, da sagte der Tontechniker. “Das müssen wir noch mal aufnehmen, das haut uns ja die Frequenz weg, so stark kann ich nicht komprimieren". Es war ja völliger Irrsinn den Dobby so hysterisch anzulegen, es hätte ja sein können, dass der im nächsten Band die Hauptrolle ist. Sie können ja nicht 400 Seiten Dobby am Stück hören.

Die Stimme von Dobby klingt extrem nervig. Muss das so sein?

Dobby wird beschrieben als ein Nervenbündel, voller Selbstmitleid, und mit masochistischen Anwandlungen. Er beklagt sich andauernd, aber vor allem, geht er einem tierisch auf den Sack und gleichzeitig tut er einem ein bisschen leid. Wie löst man das akustisch? Ich gab Dobby eine extrem hohe Stimme die einem sprichwörtlich auf die Nerven geht. Gleichzeitig lieben die Zuhörer Dobby. Sie fragen immer 'Kannst du mal den Dobby nachmachen’. Dobby zu hören ist aktiver Spaß, denn man muss permanent am Lautstärkeregler pegeln, weil er viel lauter ist als die anderen „normalen“ Figuren.

Viele Kinder und Jugendliche hören Hörspiele zum Einschlafen, oft sind es immer wieder die gleichen. Warum?

Wenn man etwas wirklich mag, kann man es immer wieder hören. Kinder lieben die Wiederholung, weil das Sicherheit bedeutet. Obwohl sie wissen wie die Geschichte ausgeht, wird das Hörbuch zu einer akustischen Familie. Kinder können sich dabei entspannen. Sie lachen immer wieder an den selben Stellen und sie erleben alles noch mal nach. Das hat schon fast etwas Therapeutisches. Das finde ich faszinierend. Und das Besondere bei Harry Potter ist, dass jetzt die 30-Jährigen auf mich zu kommen und sagen, dass es ein wahnsinniges Geschenk gewesen ist, mit den Hörbüchern aufzuwachsen, gleichzeitig mit Harry alt zu werden. Damals musste man ein Jahr warten, bis das nächste Hörbuch erschien. Was für eine tolle Zeit! Und auch wenn man erst als Erwachsener in diese Buchreihe eingestiegen ist, wurde man sofort von diesem Virus angesteckt. Ich weiß noch, bei mir zu Hause lagen riesige Stapel Manuskripte herum und das Buch war damals noch nicht erschienen, aber ich hatte das Original Manuskript. Das war ja Gold wert. Heutzutage würde das überwacht werden, da müsste man das in einem Safe legen mit Wachposten vor der Tür. Aber damals lag das einfach bei mir auf dem Schreibtisch und meine Kinder sind da rein und raus gelaufen. Wenn das weg gekommen wäre…eine Katastrophe!

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Die Bücher wurde damals unter größten Sicherheitsvorkehrungen gedruckt. Und Fans haben die englischen Bücher auf Deutsch übersetzt, in einer Art Gruppenarbeit, damit schneller weiter gelesen werden konnte.

Erstaunlich, dass da nichts raus gekommen ist! In der heutigen Welt, wo alles geleaked und weiterverbreitet wird, wo es kein Geheimnis mehr gibt, ist das schon erstaunlich. Um Mitternacht am Samstag standen die Kinder vor Büchereien, und dann wurde das erste Buch verkauft. Wie toll ist das denn? Da fingen Kinder auf einmal an, in einem Buch mit 500 Seiten zu schmökern, die vorher wahrscheinlich nie eine Zeile gelesen haben. Die wollten sich ja am nächsten Morgen in der Schule über Harry Potter unterhalten'. Ich bin sicher, dass die Kinder, die Hörbücher gehört haben, auch wissen wollten, ob das auch wirklich so in den Büchern drin steht. Die hörten ja die Stimmen dieser Wahnsinns Figuren – Snape, Hagrid, Mad Eye Moody und Albus Dumbledore – und dann haben sie es nochmal wie bei einer Musik-Partitur nachgelesen.

Ich liebe Hörbücher – als Zuhörer wirst du immer an die Hand genommen. Es wird immer genau beschrieben wer gerade spricht. Wenn man beim Hörspiel einen Moment mal nicht aufgepasst hat, weiß man gar nicht, wer da jetzt spielt. Ich habe versucht bei Harry Potter Hörbuch und Hörspiel zu verbinden, indem ich die Dialoge nicht gelesen sondern gespielt habe.

Stimmt es, dass Sie mit der Autorin, Joanne Rowling, auf Lesereise gegangen sind und danach eine der Figuren den gleichen Vornamen trug wie Sie?

Die Figur Rufus Scrimgeour hat Joanne erst nach unserer Lesereise erfunden. Ich habe mich sehr gut auf der Lesereise mit Joanne Rowling verstanden, wir haben uns aber danach nicht mehr getroffen. Sie war ja auch nicht mehr in Deutschland. Ich habe ihre Telefonnummer und Mailadresse, aber ich wollte sie in Ruhe lassen. Sie hat natürlich mitbekommen, dass das deutsche Hörbuch ein gigantischer Riesenerfolg ist. Ich bin damals mit einer Mischung aus Ignoranz und vollkommener Überzeugung hin gegangen und habe aus den ersten vier Kapiteln eine Strichfassung gemacht. Das mag normalerweise kein Autor. Aber darüber habe ich nicht nachgedacht, sondern ich war vollkommen überzeugt, wir lesen das nicht Stück für Stück, sondern wir machen Performance, Show-Business, keine Literaturveranstaltung. Und da ich die Joanne nicht erreichen konnte, habe ich das einfach selbst vorbereitet. Ich habe gesagt, wir spielen gleichzeitig, Deutsch-Englisch: Sie spricht auf Englisch den Harry und ich spiele alle anderen Figuren. Ich hatte sie damals erst eine halbe Stunde vor der Veranstaltung getroffen. Es gab keine Möglichkeit das noch alles zu ändern. Das heißt wir sind raus gegangen und weil die Engländer sehr höflich sind, hat sich Joanne erst mal drauf eingelassen, aber hat wahrscheinlich im Hinterkopf gehabt 'morgen nicht mehr'. Aber jetzt war das so lustig, auch die Fehler, die passiert sind, dass sie mal zu früh mit einem Satz war... Und dann habe ich gesagt, 'oh ich glaube wir müssen noch mal zurück', das lieben ja die Menschen. Weil es ja live ist! Sie hat glaube ich da zum ersten Mal gehört, was ich da mache und sie dachte bestimmt: 'Ups, was macht denn der Wahnsinnige da?’ Das war unheimlich lustig. Und das hat sie schon sehr beeindruckt, weil es eben nicht so literarisch brav gelesen wurde. Wenn man die Hörbuch-Interpretation mit einem Maler vergleicht, würde man sagen, die englische Version von Stephen Fry, ist japanische Tuschezeichnung und bei mir ist es irgendetwas Wildes – Jackson Pollock oder Pop Art!

Können Sie sich diesen ganzen Hype eigentlich irgendwie erklären? Das Thema Zauberei gab es ja schon, auch in Jugendbüchern wie zum Beispiel "Krabat": Aber dann doch noch nicht so, in dieser Art.

Ein Teil des Mythos ist, dass man den Hype nicht wirklich erklären kann und versucht vernünftige Erklärungen zu finden. Offensichtlich war das Thema, die Art der Geschichte, genau der richtige Zeitpunkt, um sich auf diesen Entwicklungs-Roman eines jungen Zauberers einzulassen. Ich denke, Joanne hat sich auch an keine Regeln gehalten, Sie hat einfach so geschrieben, wie sie es für richtig hielt. Natürlich ist in ihr Schreiben Verschiedenes eingeflossen aus fantastischer Literatur, aus mythologischen Erzählungen, griechischer Antike, und aus Tolkien Motiven. Ich bin auch im Internat groß geworden und ich kann diese Parallelwelt nur bestätigen. Das Getrennt sein von den Eltern, dass man eine Welt lebt im Internat und eine andere in den Sommerferien zu Hause, was das für eine Belastung ist für ein Kind. Man muss sich zurecht finden, muss wissen wo man hingehört. Wer ist Freund, wer ist Feind. Welche Position habe ich? Gibt es Seilschaften? Es gibt Konkurrenz, Eifersüchteleien, also auch richtige Dramen in dieser Kinderwelt und Kinder können sehr hart sein im Umgang miteinander. Das hat Rowling sehr gut beschrieben. Aber vor allem hat sie sich an keine Regel gehalten. Bei Internats-Literatur bleiben die Charaktere immer gleich. Das hat sie nicht interessiert. Im Gegenteil. Sie sagte, es werden sieben Bände. Das ist schon mal ungewöhnlich. Der Hauptcharakter wird immer älter, das heißt das Genre verändert sich, und sie erzählt die Geschichte nicht unbedingt chronologisch, sondern sie erfindet einen dramaturgischen Kniff, das 'Denkarium'. Ihr fiel wahrscheinlich später auf, dass Puzzelteile in der Geschichte fehlen, die sie noch erklären muss, damit die Geschichte so logisch weiter gehen kann. Jetzt müsste einer erzählen was in der Vergangenheit ist. Das ist aber langweilig. Also fragt sie sich, wie man es noch erleben kann, also ob es grade passiert. Und da steigen sie in das Denkarium ein, man könnte sagen: ins Unbewusste. Und das materialisiert sich zu realen Rückblenden und ich bin auf einmal in der Zeit, in der die Eltern selbst in der Schule waren, oder erlebe den Moment, in dem sie den Kampf gegen Voldemort verlieren. Das ist toll.

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...aber auch sehr "filmisch" gedacht.

Ja, auch als Schriftsteller muss man Bilder schaffen! Aber man kann Gefühle genau beschreiben. Und zentrales Thema ist die Botschaft, dass Harry, der keine richtige Kindheit hatte, dem wichtige Bausteine in seinem Leben fehlen, es schafft, mental so stabil zu sein. Aber auch er will geliebt und anerkannt werden und außerdem hat er eine wahnsinnige Verantwortung. Im tiefsten Herzen will er wissen: 'Wo komme ich her?' Das ist sein eigentlicher Antrieb. Und er will zurück zu dem Moment, als Voldemort seine Eltern tötet und ihn verschont. Was war da? Harry will zurück in seine verlorene Kindheit…

Ich hatte den Eindruck, dass er sich auch wehrt, dass er gegen dieses "Besonders sein" ankämpft, dass es ihn belastet und er dieses Schicksal erst im Lauf der Zeit annimmt.

Absolut, auch darin steckt eine tiefe Wahrheit: Kinder wollen alle gleich sein. Auch Harry will nichts Besonderes sein, denn das macht ihn zum Außenseiter. Die Klugscheißer und die Streber, die werden nicht gemocht! Kinder wollen anerkannt sein, sie brauchen die Liebe und die Anerkennung ihrer Mitschüler. Harry will nicht dieser Wunderknabe sein, aber er ist es. In diesem Zwiespalt steckt er. Und wird dabei nie arrogant. Harry lebt in zwei Welten, in der Welt der Muggel und der Zauberer.


Ich kenne diese Zweiteilung. Wenn die Sommerferien anfingen, musste ich schweren Herzens das Internat verlassen. Denn da waren meine Freunde, und zu Hause hatte ich ja keine Gelegenheiten Freundschaften zu pflegen. Und dann war es am Ende der Sommerferien wieder wahnsinnig schwer sich von den Eltern zu trennen. Ich habe den Eindruck, Harry ist es genau so ergangen wie mir. Vielleicht ist das der große Zufall, oder die Magie: Dass mich dies zu dieser Figur geführt hat.

Mitarbeit: Nicole Faßbender

Verwendete Quellen
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