Konflikt um Bergkarabach Armenien: Polizei geht mit Gewalt gegen Proteste vor
Die armenischen Behörden nahmen Oppositionelle fest, die illegale Proteste organisiert haben sollen. Auch am Donnerstag gingen Tausende auf die Straße, um den Rücktritt des Regierungschefs zu fordern.
Die Polizei in Armenien hat neue Proteste gegen das Abkommen zur Beendigung des Krieges in Bergkarabach gewaltsam aufgelöst. In der Hauptstadt Eriwan seien am Donnerstagnachmittag zunächst etwa 20 Menschen festgenommen worden, berichteten armenische Medien. Die Demonstranten forderten erneut den Rücktritt von Regierungschef Nikol Paschinjan.
Zuvor hatte die Polizei wegen des Vorwurfs der Organisation "illegaler gewalttätiger Massenunruhen" bereits führende Oppositionelle festgenommen. Diese riefen aus dem Gefängnis zu neuen Protesten auf.
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Paschinjan hatte zu Wochenbeginn unter Vermittlung von Kremlchef Wladimir Putin ein Abkommen mit Aserbaidschan unterzeichnet. Es sieht die Rückgabe größerer Gebiete in Bergkarabach an Aserbaidschan vor, die bislang unter Kontrolle Armeniens gestanden haben. Zudem sollen knapp 2-000 russische Friedenssoldaten die Waffenruhe überwachen. Die verfeindeten Nachbarstaaten Armenien und Aserbaidschan hatten sich wochenlang schwere Kämpfe geliefert.
Opposition stellt Ultimatum
"Ob im Gefängnis oder auf freiem Fuß, ich werde meinen kompromisslosen Kampf gegen die Umsetzung dieses verräterischen Dokuments fortsetzen", sagte der Chef der Heimat-Partei, Artur Wanezjan. Nach Angaben des Nationalen Sicherheitsdienstes kam auch der Chef der Partei "Blühendes Armenien", Gagik Zarukjan, in Gewahrsam. Regierungschef Paschinjan warnte seine Landsleute, den Aufrufen der Opposition zu den Kundgebungen zu folgen. Verschiedene Oppositionsgruppen hatten dem Regierungschef bis Donnerstag Zeit gegeben, um zurückzutreten. Die Regierung wies das Ultimatum zurück.
Die Opposition hatte zuvor versucht, im Parlament die Absetzung Paschinjans durchzusetzen. Dessen Bewegung "Mein Schritt" boykottierte aber die Sitzung. Paschinjan verteidigte am Donnerstag mehrfach sein Vorgehen: "Wenn ein Soldat die Situation nicht mehr beeinflussen kann, sollte er nicht im Namen seines Heimatlandes sterben, dann muss das Heimatland im Namen des Soldaten Opfer bringen." Der Regierungschef sagte, er habe damit den kompletten Verlust von Bergkarabach an Aserbaidschan verhindern wollen.
Türkei droht Armenien
Russlands Außenminister Sergej Lawrow zeigte Verständnis für den Unmut in Teilen der Bevölkerung. "Es gibt dort fraglos aufrichtige Leute, für die es sicher bitter ist, was in der aktuellen Etappe zum Abschluss gebracht wurde", sagte er in Moskau bei einer Online-Pressekonferenz.
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu drohte indes Armenien bei einem Besuch in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku: "Wenn sie der Meinung sind, dass sie die Waffenruhe wie zuvor stören können, (...) dann werden sie in so einer Situation den Preis dafür bezahlen." In den vergangenen Wochen waren drei Anläufe für eine Feuerpause gescheitert.
Künftiger Status von Bergkarabach ungeklärt
Die Türkei pocht darauf, eigene Friedenssoldaten zu entsenden. Das hatte Moskau bislang ausgeschlossen. Kremlsprecher Dmitri Peskow signalisierte nun Gesprächsbereitschaft. "Es gibt immer Raum für Diskussionen", sagte er der Agentur Interfax zufolge. Allerdings müssten dem Armenien und Aserbaidschan zustimmen. Es gilt aber als ausgeschlossen, dass die Armenier einwilligen werden.
Ungeklärt ist dem russischen Außenminister zufolge noch der künftige Status von Bergkarabach. Der könne festgelegt werden, wenn geklärt sei, "welche Rechte all denen gewährt werden, die in Bergkarabach lebten und das Recht haben, dorthin zurückzukehren – und natürlich denjenigen, die die ganze Zeit in diesem Gebiet geblieben sind". Es gehe bei dem Konflikt auch um ethnische und konfessionelle Fragen.
Aserbaidschan hatte in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren die Kontrolle über das bergige Gebiet mit etwa 145 000 Bewohnern verloren. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe. In dem neuen Krieg hat sich das islamisch geprägte Aserbaidschan weite Teile des Gebiets zurückgeholt. Das Land berief sich dabei auf das Völkerrecht und sah sich von seinem "Bruderstaat" Türkei unterstützt. Das christlich geprägte Armenien wiederum setzt auf Russland als Schutzmacht.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP