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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tennis-Ikone vor den US Open Boris Becker: Neid und Missgunst sind in Deutschland ein Problem
Boris Becker ist Tennis und Tennis ist Boris Becker. Vor dem Start der US Open in New York spricht die Ikone des gelben Balles über die lange Corona-Pause, Zverevs Formkrise und Sporthelden in Deutschland.
Wohl kaum einen anderen Mann verbindet man in Deutschland so sehr mit Tennis wie Boris Becker. 1985 triumphierte er als 17-Jähriger in Wimbledon, gewann das Turnier insgesamt dreimal. Becker und Steffi Graf, die in London sogar siebenmal siegte, prägten eine Epoche des Tennissports – und lösten in Deutschland einen Boom aus.
Doch diese Zeiten sind längst Geschichte. Die Zeit der nationalen Tennishelden der Kategorie Graf/Becker, sie sind vorüber. Das sieht auch Becker selbst so, der ab kommender Woche wieder für Eurosport vor der Kamera stehen und die Spiele der Athleten und Athletinnen analysieren wird.
Vorab hat sich t-online.de mit ihm zum Interview verabredet. Zu einem Gespräch über Neid und Missgunst, nationale Helden und die Liebe zum Tennis:
Die US Open stehen vor der Tür, angesichts der Corona-Pandemie unter besonderen Voraussetzungen. Herr Becker, welche Wertigkeit hat das zweite Grand-Slam des Jahres?
Die Wertigkeit ist sehr groß, denn der Tennissport ist größer als jeder einzelne Spieler. Dass wieder gespielt wird, ist die wichtigste Botschaft.
Mit Rafael Nadal und Bianca Andreescu haben allerdings die beiden Titelverteidiger abgesagt.
Wer spielt, steht nicht an erster Stelle. Bei den Damen ist das Teilnehmerfeld insgesamt etwas enttäuschend, bei den Herren spielen alle Guten mit. Dem Sieger von 2020 wird am Ende egal sein, ob er vor Zuschauern oder ohne gewonnen hat. Da wird in fünf Jahren auch kein Hahn mehr danach krähen. Sich in Best-of-Five-Duellen durchzusetzen und das Turnier zu gewinnen, bleibt eine herausragende Leistung.
Im Fußball, beispielsweise jüngst in der Champions League, kam es aufgrund der Corona-Pandemie zu Änderungen im Turniermodus.
Genau, aber das schmälert nicht die Leistung der Athleten. Die beste Mannschaft hat sich am Ende durchgesetzt. Egal, ob in einem oder in zwei Spielen, egal ob vor oder ohne Fans. Dem Tennisspieler ergeht es ähnlich. Du musst besser sein als der andere. Der Zuschauer hat noch kein Match gewonnen.
Alex Zverev gab jüngst sein Comeback, für Angelique Kerber ist es die Feuertaufe beim Comeback mit ihrem neuen alten Trainer Torben Beltz. Was trauen Sie den besten deutschen Akteuren bei den US Open zu?
Erst einmal bin ich sehr froh, dass beide spielen. Alexander Zverev sah vergangene Woche trotz der Niederlage gegen Andy Murray fit aus, auch wenn er seine Probleme hatte. Aller Anfang ist schwer, das gilt aber nicht nur für Zverev, sondern für alle.
- US Open 2020: Alle Infos im Newsblog
Bei Angie Kerber freut es mich sehr, dass sie wieder mit Torben zusammenarbeitet. Die beiden hatten gemeinsam die größten Erfolge, warum soll das nicht auch in der Zukunft funktionieren? Ich hoffe, dass unsere beiden Besten die zweite Woche erreichen.
Die Tenniswelt kommt nach einem guten halben Jahr Pause wieder so langsam ins Rollen. Profis wie Zverev oder auch Ihr ehemaliger Schützling Novak Djokovic machten dabei nicht die beste Figur, beispielsweise bei der Adria Tour. Warum haben Sie Zverev nach seinen Fehltritten verteidigt?
Erst einmal fand ich es toll, dass Novak für seine Mitspieler eine Turnierserie in Serbien organisiert hat, zumal die Einnahmen für den guten Zweck waren. Serbien geht es deutlich schlechter als uns, insofern: Wenn der Lieblingssohn des Landes so etwas organisiert, ist das ehrenhaft. Zudem galten dort andere Corona-Regeln als bei uns. Was danach kam, die Party oben ohne, das hätten sie alles natürlich nicht machen sollen. In einer Zeit, in der die ganze Welt gefühlt im Lockdown steckt. Novak und andere Akteure haben sich selbst mit dem Virus infiziert und damit die größte Strafe dafür bezahlt. Der Ursprung dieser Serie ist aber positiv zu bewerten.
Ich habe das Turnier gerne geschaut und mich gefreut, wieder Tennis zu sehen, auch wenn das Ende sehr unglücklich war. Und um zu Ihrer ursprünglichen Frage zurückzukommen: Dass ich deutsche Spieler verteidige, wenn ausländische Mitspieler sie angreifen, davon können Sie ausgehen.
"Ich habe einen Riesenfehler gemacht" sagte Zverev nach zwei Monaten des Schweigens vergangene Woche nach seinem Aus bei den Cincinnati Masters in New York. War er schlecht beraten, sich so lange nicht zu äußern?
Das weiß ich nicht, ich habe ihn lange nicht gesehen. Jetzt, kurz vor den US Open, steht er eben vor der Weltpresse. Er musste irgendwann Rede und Antwort stehen. Es ist gut, dass er einsieht, sich nicht optimal verhalten zu haben. Aber: Auf der Tour zu spielen war kein Fehler. Sich auf einer Players-Party so vor Kameras zu zeigen, das war ganz sicher ein Fehler und darum war die Kritik auch berechtigt. Aber Sascha ist 23 Jahre jung und wird noch ein paar Fehler machen.
Zverev sagte nach seiner jüngsten Niederlage über seine Beziehung zu den Fans: "2018, als ich gewonnen habe, da war die Beziehung sensationell. Wenn ich am Verlieren bin, ist die Beziehung leider nicht so toll. Das ist in Deutschland leider so, auch im Fußball."
Sascha (Alexander Zverev, Anm. d. Red.) hat eine große Fangemeinschaft, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt, weil er eben schon seit drei Jahren zur Weltspitze gehört und große Turniere gewonnen hat. Ich will dem Fan nicht zu nahetreten, denn es ist doch völlig normal, dass dieser bei Niederlagen seines Idols enttäuscht ist.
Er hat seit einem Jahr, das Halbfinale der Australien Open ausgenommen, so eine kleine Flaute. Das gefällt ihm selbst am wenigsten. Er merkt die Kritik an ihm und seiner Leistung und das gefällt ihm nicht. Aber Sascha selbst kann es ändern.
Haben wir in Deutschland verstärkt den Hang dazu, einheimische Stars zu kritisieren?
Ich glaube nicht, dass das ein deutsches Phänomen ist, das gibt es auch in anderen Ländern. Wenn sie jetzt Neid und Missgunst ansprechen: Das ist in Deutschland sicherlich stärker vorhanden als in Italien, den USA oder einem anderen Land.
Wenn man an große deutsche Sportler denkt, fallen einem vor allem Namen von früher ein: Michael Schumacher, Steffi Graf, Dirk Nowitzki oder auch Sie. Warum ist das so?
Das ist schwierig zu sagen. Sie haben einige erwähnt, ich würde da auch noch Franz Beckenbauer ergänzen, der in der ganzen Welt für erfolgreichen Fußball steht. Es gibt etliche deutsche Fußballer, die im Ausland einen enorm hohen Stellenwert haben, wie Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann oder Rudi Völler. Sie werden in Deutschland sehr kritisch gesehen, sodass man oft vergisst, wie populär sie eigentlich andernorts sind.
- Leser haben abgestimmt: Das sind die größten deutschen Sportler
In Deutschland sehen wir unsere Helden einfach sehr einspurig. Sie werden nach der letzten Schlagzeile bewertet. In anderen Ländern ist das egal, dort liegt der Fokus mehr auf der Lebensleistung. Wenn die positiv war, dann bleibt diese in Erinnerung.
Der Tennissport läuft nach der Ära Graf/Becker in Deutschland eher unter dem Radar.
Aber Tennis ist zum Glück ein globaler Sport, der international boomt. Das liegt unter anderem an Roger Federer, Serena Williams oder Rafael Nadal. Das sind Weltstars. International sind die Quoten so gut wie lange nicht mehr.
In Deutschland ist das nicht so.
Genau, darum müssen wir das als deutsches Phänomen sehen und anpacken. Man muss ehrlich sein: Im Tennis fehlen uns die nationalen Helden. Wir würden wieder mehr Fans haben, wenn Struff oder Zverev die US Open gewinnen würden. Schauen Sie nur zum Fußball. Der Sport ist deswegen in Deutschland so erfolgreich, weil die Bayern gewinnen. Man identifiziert sich gerne mit Gewinnern. So wie sie in der Champions League auf internationaler Bühne aufgetreten sind, das war sensationell. So wird man automatisch zum Fußballfan.
Sie selbst haben sich immer durch absoluten Siegeswillen auf dem Platz ausgezeichnet und auch Ihre Gesundheit geopfert. Gibt es einen deutschen Sportler, in dem Sie sich oder Teile von sich wiedererkennen?
Ich will gar nicht so viel über mich reden. Das habe ich oft genug getan. Meine Spielweise war sehr körperlich. Einen aktuellen Spieler rauszupicken, der mir ähnelte, ist schwierig. Ich war weder ein großer Grundlinienspieler noch der filigrane Techniker, sondern kam mehr über die Power und den Kampf zum Spiel.
Tennis ist Ihre große Passion, Sie arbeiten als Trainer, Experte, Head of Men’s Tennis beim DTB. Haben Sie schon mal überlegt, sich komplett zurückzuziehen, weil Sie auf den ganzen "Zirkus" keine Lust mehr haben?
Jeder kann erkennen, dass ich Tennis liebe. Und es ist offensichtlich, dass ich diesen Sport immer lieben werde. Ich bin froh, dass ich in verschiedenen Bereichen tätig bin und nach wie vor nah am Geschehen dabei sein kann. Ob das den Fans im Stadion, den Spielern oder den Zuschauern vor dem Fernseher gefällt, das weiß ich nicht. Aber mir macht es großen Spaß. Und ich habe vor, meine Arbeit in den verschiedenen Bereichen noch sehr lange weiter auszuüben.