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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bürgermeister von Tesla-Gemeinde "Ich kann nicht für sicheres Trinkwasser garantieren"
Was macht es mit einer Kleinstadt, wenn ein Weltkonzern kommt? Grünheides Bürgermeister über Tesla, Umweltschutz, Trinkwasser und Arbeitsbedingungen.
Seit gut einem Jahr produziert Tesla Elektroautos in der brandenburgischen Provinz; genauer gesagt in Grünheide bei Berlin. Jetzt schon hat die Fabrik mehr Mitarbeiter als Grünheide Einwohner. Was macht das mit so einer kleinen Gemeinde?
Im Interview spricht Grünheides Bürgermeister über Elon Musk, Kritik von Umweltschützern und die Zukunft seiner Gemeinde.
t-online: Als Sie im Herbst 2019 erfuhren, dass Tesla in Ihre Gemeinde kommen wird, haben Sie das damals als Jackpot bezeichnet. Sehen Sie das heute auch noch so?
Arne Christiani: Als Lottogewinn habe ich das bezeichnet. Aber da bin ich missverstanden worden. Angeblich hätte ich das wegen der anfallenden Gewerbesteuer für die Gemeinde gesagt. Das wird zwar irgendwann mal ein netter Nebeneffekt. Aber ich meinte damit, dass es durch Tesla endlich Perspektiven für junge Menschen in der Region gibt. Es werden hochwertige Arbeitsplätze geschaffen, sodass junge Menschen hierbleiben können und nicht alle abwandern.
Hat sich Ihre Erwartung erfüllt?
Ja. Tesla ist jetzt schon der größte private Arbeitgeber in Brandenburg. Laut Arbeitsagentur wurden bisher 1.400 Arbeitslose zu Tesla vermittelt, darunter 700 Langzeitarbeitslose. Davon träumt ganz Ostdeutschland.
War Ihnen damals klar, dass das so schnell passieren würde?
Ich bin seit vielen Jahren mit Planungs- und Bauphasen beschäftigt. Dass es von der Ankündigung bis zur Produktion des ersten Autos nur 861 Tage dauert, hätte ich mir nicht vorstellen können.
Wie war das möglich?
Grünheide ist europaweit unter 300 Bewerbern ausgewählt worden, weil die 300 Hektar große Fläche schon baureif da war. Außerdem gab es die Infrastrukturbedingungen bereits. Eine eigene Autobahnabfahrt, ein eigenes Bahngleis. Die Nähe zu Berlin birgt außerdem ein großes Arbeitskräftepotenzial.
Tesla-Chef Elon Musk ist eine umstrittene Persönlichkeit. Welche Rolle hat er dabei gespielt?
Wahrscheinlich braucht man so eine Persönlichkeit, die innovativ denkt, aber auch mit der entsprechenden Entscheidungskompetenz und dem nötigen Kleingeld ausgestattet ist. Er kann sagen: "Ich will das und ich entscheide das so." Wenn man erst durch sämtliche Leitungsgremien muss und alle mitreden wollen, wird es schwierig, so ein Projekt so schnell durchzuziehen.
Es ging also auch so schnell, weil Tesla eine kleine Diktatur ist?
Aus meiner Sicht absolut, ja.
Haben Sie Musk persönlich schon getroffen?
Ich habe ihn ein paar Mal gesehen. Aber ich habe noch nie mit ihm gesprochen, das ist Sache des Landes.
Was halten Sie von ihm?
Meine persönliche Meinung ist da nicht entscheidend.
Zur Person
Arne Christiani (parteilos) ist seit 2003 Bürgermeister der Gemeinde Grünheide in Brandenburg.
Wie hat sich Grünheide verändert, seit das Tesla-Werk eröffnet wurde?
Das größte Lob, was ich ab und zu mal kriege, ist: Wenn man es nicht weiß, kriegt man es nicht mit. Innerhalb der Ortslage ist Tesla kaum wahrnehmbar. Außer am Bahnhof "Fangschleuse" natürlich. Von den 10.000 Mitarbeitern reist etwa die Hälfte mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Eine weitere Folge ist, dass viele junge Menschen planen, hierzubleiben. Das merken etwa die freiwilligen Feuerwehren oder Sportvereine, wo es mittlerweile teilweise Wartelisten gibt.
Arbeiten mittlerweile auch viele Grünheider bei Tesla?
Die genaue Statistik liegt mir nicht vor. Aus der gesamten Region sind es wohl einige Hundert.
Sie sprechen sicher öfter mit Bürgern. Was halten die Menschen hier von Tesla?
Wie die Menschen unter sich darüber sprechen, kann ich nicht abschätzen. Ich höre viel Positives.
Es gibt aber auch massive Kritik: Umweltverbände und eine Bürgerinitiative kritisieren, die Fabrik und ihr weiterer Ausbau würden den Wassermangel verschärfen, unter dem die Region ohnehin leidet.
Das Thema Wasser kann ich nicht weiter kommentieren, weil die Gemeinde Grünheide Mitglied im Wasserverband Strausberg-Erkner ist, der dafür zuständig ist. Was ich sagen kann: Der Verbrauch der Fabrik ist vertraglich festgelegt und diese Wassermengen sind vom Wasserverband genehmigt worden. Das Problem der Wasserknappheit in der Region gibt es schon seit 2017, da war von Tesla noch gar keine Rede.
Aber macht Tesla das Problem nicht größer?
Diese Region ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, so wie der gesamte Berliner Speckgürtel. Hinzu kommen die trockenen Sommer. Von Mai bis September gibt es daher schon länger Probleme, die tägliche Versorgung mit Trinkwasser zu gewährleisten. Aus meiner Sicht liegt das daran, dass Trinkwasser zu billig ist und dass der englische Rasen und der Swimmingpool vor dem Allgemeinwohl stehen. Da muss nachgebessert werden, eindeutig.
Und Teslas Verbrauch?
Zu Tesla kann ich nur sagen, dass bei der Trinkwasserversorgung die Bevölkerung immer Vorrang vor der Industrie hat. Das wird auch hier so praktiziert.
Also wird die Wirtschaft von möglichen Einschränkungen betroffen sein?
Selbstverständlich. Was immer vergessen wird: Der Tesla-Versorgungsvertrag ist der erste in der Region, in dem Höchstgrenzen für den Wasserverbrauch festgeschrieben sind.
Ein Teil des Teslawerks befindet sich zudem im Trinkwasserschutzgebiet. Können Sie garantieren, dass das Trinkwasser sicher ist?
Ich kann nicht garantieren, dass das Trinkwasser sicher ist. Was ich garantieren kann: Es wird kein Trinkwasser unter dieser Fabrik gezogen. Die zuständigen Behörden schauen sehr genau, was da passiert.
Tesla hat in der Vergangenheit immer wieder ohne Genehmigung gebaut, zuletzt etwa 104 Pfähle für ein Solardach. Das Umweltministerium hat deshalb ein Krisentreffen mit Tesla einberufen. Was halten Sie davon, dass Tesla ohne Genehmigung baut?
Wenn etwas ohne Genehmigung errichtet wird, ist das nicht akzeptabel. Man muss hier aber genau unterscheiden. Es gibt die Baugenehmigung und die Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Für letztere kann eine Zulassung des vorzeitigen Baubeginns erteilt werden. Das gab es auch schon vor Tesla.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat Elon Musk zuletzt einen Brief geschrieben und darin Unterstützung für ungelöste Probleme beim Ausbau zugesichert. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach hat sich bei einem Besuch bei Tesla in den USA in einem Tesla-T-Shirt ablichten lassen. Gibt es zu viel Nähe zwischen Tesla und der Brandenburger Politik?
Das weiß ich nicht. Dass mit großen Unternehmen in Briefen kommuniziert wird, ist nicht unüblich. Das mit dem T-Shirt kann ich nicht kommentieren. Am Eröffnungstag war ein Tesla-Shirt hier jedenfalls eine gute Möglichkeit, sich der Aufmerksamkeit zu entziehen, weil Tausende so eines trugen. Dann konnte man in Ruhe eine Bratwurst essen.
Also hatten sie auch eins an?
Nein, ich hatte keins an. (lacht)
Aber Wirtschaftsminister Steinbach wollte sich ja nicht der Aufmerksamkeit entziehen.
Wie gesagt, das kann ich nicht kommentieren.
Die IG Metall kritisiert die Arbeitsbedingungen bei Tesla. In den Hallen sei es im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß. Es gebe zu wenig Raum für Erholung und Freizeit. Was bekommen Sie davon mit?
Dass es in der Industrie Arbeitsplätze mit hoher Belastung durch Hitze oder Staub gibt, ist nichts Neues. Aber zu den genauen Arbeitsbedingungen vor Ort kann ich wenig sagen. Von dem, was ich bisher gesehen habe, kann ich sagen: So sauber und ordentlich würde ich mir auch einige andere Ecken in der Gemeinde wünschen. Und viele meiner Kollegen hier im Rathaus würden sich freuen, wenn jeder in seiner Ecke seine private Musik hören könnte.
Wollen Sie sagen, dass es schöner ist, bei Tesla zu arbeiten als bei Ihnen?
Nein, das wollte ich nicht sagen. (lacht)
Wie wird sich Grünheide in den kommenden Jahren entwickeln?
Grünheide wird sicher kein zweites Wolfsburg. Denn wir können nicht viel weiterwachsen. Ein Großteil der Fläche hier besteht aus Wald und Wasser, 72 Prozent sind Landschafts- oder Naturschutzgebiete. Wir können also maximal auf 11.500 Einwohner anwachsen. Mehr geht nicht. Und wir werden bei der Entwicklung darauf achten, dass der Charakter der einzelnen Ortsteile nicht verloren geht. Da können Sie sicher sein.
Fahren Sie privat inzwischen auch Tesla?
Nein. Ich habe einen Hybrid-Audi als Dienstwagen, den ich auch privat nutzen darf. Das habe ich nicht entschieden, die Gemeinde hat das regulär ausgeschrieben.
- Interview mit Arne Christiani