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Zum journalistischen Leitbild von t-online.400 Aachener bei Protestveranstaltung Demo gegen Bischof Dieser: "Kirche muss sich schämen"
Am Elisenbrunnen protestieren Missbrauchsopfer und deren Unterstützer gegen den Aachener Bischof Helmut Dieser. Der ist selbst anwesend – will aber nicht vor der Menge sprechen.
Ob Bischof Dieser wirklich kommt? "Wenn er sich traut", sagt Dieter Giesen vor dem Beginn der Demo am Elisenbrunnen. Er ist Mitglied im Betroffenenrat, der die Missbrauchsopfer katholischer Priester des Bistums Aachen vertritt. "Sollte er kommen, wird er wohl versuchen sich darzustellen, als hätte er nichts gemacht", führt Giesen weiter aus. Die Entscheidung des Bischofs, in zwei Missbrauchsfällen vor Gericht auf Verjährung zu pochen, sei Giesen zufolge aber nicht nur "auf Diesers Mist gewachsen". Unter einer Einrede versteht man in diesem Fall eine Erklärung, die einen Kläger daran hindert, seinen Anspruch durchzusetzen.
"Er hat ja am Anfang ganz klar geäußert, dass er auf die Einrede zur Verjährung verzichtet", sagt Giesen. "Irgendwann ist er wohl aus irgendwelchen Gründen von irgendjemandem aus seinen Reihen dazu gezwungen worden, anders kann ich mir das nicht vorstellen." Dass die Bistümer in Nordrhein-Westfalen am kommenden Mittwoch, zwei Tage nach der Demo in Aachen, eine Studie über ihre Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch veröffentlichen wollen, während jemand wie Dieser auf Verjährung pocht, halte er allerdings für einen Widerspruch.
Im Vorfeld hatte die Polizei mit 120 Menschen gerechnet, die zur Demo kommen würden. Rund 400 sind gekommen. Unter ihnen auch das Ehepaar Schulte. Warum sie heute da sind? "Gerechtigkeit", sagt Monika Schulte. "Und der Schutz von Kindern", ergänzt Ehegatte Rolf. Das Schlimmste an der Sache sei ihm zufolge nicht nur, dass die Priester unbestraft blieben. Viele von ihnen seien auch weiter im Bistum beschäftigt geblieben, lediglich in andere Gemeinden seien sie versetzt worden. Die angekündigte Studie der Bistümer interessiere sie nicht. "Was helfen die ganzen Studien, wenn die einfach weitermachen?", fragt Monika Schulte.
Die Demo beginnt. Erste Rednerin ist Marie-Theres Jung, Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschland. Sie erwähnt, dass Bischof Dieser im Vorfeld angeboten wurde, ein Grußwort an die Versammelten zu richten. Ob er jedoch wirklich vor Ort ist, sei unklar. Es hagelt Pfiffe. Sie fährt fort. Jahrelang sei im Zuge der Missbrauchsfälle versucht worden, die Institution Kirche zu schützen. "Die Kirche muss sich schämen", sagt sie. Und: "Wir müssen uns schämen, wenn wir nicht anklagen." Die Anwesenden stimmen mit tosendem Applaus zu.
Paul Leidner vom Betroffenenrat ergreift das Wort. Er bittet jetzt den Bischof höchstselbst für sein Grußwort nach vorn, sollte dieser tatsächlich vor Ort sein. Es herrscht kurz ungewisse Stille. Doch Helmut Dieser tritt nicht hervor. Wieder gibt es Pfiffe.
Schmitz: Taten der Priester "noch schlimmer" als geschildert
Manfred Schmitz vom Betroffenenrat tritt an das Mikrofon. Bei den Missbrauchsfällen könne man nicht von Einzeltätern sprechen. Es seien ganze Netzwerke gewesen, ein "gemeinschaftlicher Missbrauch", so Schmitz. Jahrelang habe die Kirche von den Fällen gewusst und diese vertuscht. Die Taten der Priester seien sogar "noch schlimmer" gewesen, als sie in den Medien geschildert worden seien.
Er habe für seine Klageschrift damals zwei Wochen gebraucht. Dass er selbst über 100.000 Euro in internen Verfahren an Schmerzensgeld erhalten habe, sei eine Ausnahme. Im Durchschnitt hätten die Betroffenen nur zwischen 10.000 und 12.000 Euro erhalten. Selbst der Richter am Aachener Landgericht habe im vergangenen Sommer gesagt, dass es ihm dabei "kalt den Rücken runter" laufe. Die Menge applaudiert.
Gron: Kirche hat "Täter geschützt"
Dann folgt eine Rede von Thomas Gron, Soziologe an der RWTH und Vorsitzender der unabhängigen Aufarbeitungskommission im Bistum Aachen. "Ihr habt es nicht verstanden", sagt er in Richtung Bischof und seinen Gremien. Diese Worte wiederholt er im Laufe der Rede immer wieder. Er bezieht sich dabei zuerst auf eine Stellungnahme vom Rechtsanwalt des Bistums, Christof Wellens, in der steht, dass die Betroffenen der Missbrauchsfälle in einem höheren Alter seien und somit "ausreichend Zeit" gehabt hätten, ihre Forderungen "rechtzeitig geltend zu machen". Damit hatte der Anwalt die Einrede zur Verjährung vor Gericht begründet, die das Bistum vor "nicht mehr aufklärbaren Forderungen" schützen würde.
Es folgt wütendes Raunen aus der Menge. Die Erfahrungen der Betroffenen "machen was mit einem", sagt Thomas Gron. Damals habe es keine Therapien gegeben, viele von ihnen hätten Jahre und Jahrzehnte nicht darüber sprechen können, was ihnen angetan wurde. Deshalb sei die Begründung des Anwalts haltlos. "Die Kirche hat nicht zugehört und Täter geschützt", sagt er.
Dieser spricht im Anschluss mit t-online
Die Demo ist vorbei. Und immer noch die Frage: Wo ist Helmut Dieser? Er zeigt sich schließlich im Getümmel. "Ich bin hier, um mitzukriegen, was die Menschen bewegt und welche Atmosphäre hier herrscht", sagt er im Gespräch mit t-online. Warum er auf das ihm angebotene Grußwort verzichtet hat? "Weil das für mich kein Podium ist, in einer vertrauensvollen Auseinandersetzung gehört zu werden und meine Dinge irgendwie verständlich machen zu können", so Dieser.
Als Grund für seine Einrede zur Verjährung in den Missbrauchsfällen führt er an: "Ich persönlich habe das nicht alleine entschieden." Es sei ein komplexer Entscheidungsprozess gewesen, in dem es um die Klagesumme von 100.000 Euro gegangen sei. Zwar hatte er vorher versprochen, auf die Einrede zu verzichten. Die Gremien seien aber "seiner Argumentation nicht gefolgt", womit er keine Zustimmung bekommen hätte. Auf die Frage, ob er die Verantwortung damit den Gremien zuweisen wolle, erwidert er: "Wir haben alle Verantwortung. Ich habe es versucht, aber es ist eine Entscheidung, die ich nicht alleine herbeigeführt habe." Er wolle sich aber "nicht hinter den Gremien verstecken".
Paul Leidner vom Betroffenenrat zeigt sich enttäuscht über die Entscheidung des Bischofs, auf das Grußwort zu verzichten. "Ich finde das bedauerlich", sagt er. "Aber das ist seine Entscheidung, damit muss er selbst klarkommen."
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