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Russland: Putins Liebling – Popstar Shaman verbreitet Kriegspropaganda


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Patriotischer Popstar Shaman
Er stachelt die Russen für Putins Krieg an


Aktualisiert am 01.10.2023Lesedauer: 7 Min.
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Der russische Musikstar Shaman: Ein Günstling Putins. (Quelle: IMAGO/Grigory Sysoev)
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Popstar Shaman hat sich zum Liebling des Putin-Regimes entwickelt – und füllt in Russland Stadien mit seinen Liedern. Er singt jedoch keine gewöhnlichen Popsongs.

Wladimir Putin und dessen Gefolgsleute stehen andächtig auf der großen Bühne in Sankt Petersburg. Es ist September 2022 und der russische Staatschef hat im Zuge seines Angriffskrieges, der laut Kreml-Propaganda nur "militärische Spezialoperation" genannt werden darf, vier Gebiete in der Ukraine annektiert. Dieses völkerrechtswidrige Vorgehen will er nun auf dem Roten Platz in Moskau vor der gesamten Nation feiern.

Zum Auftakt erklingt auf der pompös erleuchteten Bühne eine engelsgleiche Stimme, die gemeinsam mit den Mächtigen die russische Nationalhymne anstimmt. Ins Bild gerückt wird ein junger Mann, der die Erscheinung eines typischen Teenie-Idols hat: Er trägt ein schwarzes Lederoutfit, sein kindliches Gesicht ist von blondierten Dreadlocks umrahmt. Vor der Bühne schwenken Tausende Zuschauer ihre russischen Fähnchen.

"Ein Duett, von dem ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte!", schreibt der Sänger, der sich Shaman nennt, später zu einem Videoclip des Auftritts. Jaroslaw Dronow, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, hat sich in den vergangenen zwei Jahren zu einem der größten Stars der russischen Popkultur entwickelt. Der 31-Jährige füllt Stadien im ganzen Land, seine Lieder werden im Radio rauf und runter gespielt.

Neben einer Fangemeinde von Frauen jungen und mittleren Alters, die ihm bei seinen Auftritten Blumen und Stofftiere zuwerfen, hat Shaman mit seiner patriotischen Musik offenbar auch die Herzen der Mächtigen im Kreml erobert. Er gilt als Günstling von Wladimir Putin und besucht mittlerweile die meisten Propagandaveranstaltungen des Kreml. Seit Russlands völkerrechtswidrigem Angriff auf die Ukraine ist seine Musik in Russland zum Soundtrack des Krieges geworden.

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Pathos und Melancholie

Shaman steht nicht nur für eine Generation von Stars im Land, die sich in Kriegszeiten der Moskauer Parteilinie angedient haben. Er wird auch als Vorbild für die Eigenschaften einer neuen, modernen russischen Gesellschaft gefeiert. Nationalstolz und traditionelle Werte spielen dabei eine große Rolle.

Das Erfolgsrezept des Sängers ist Patriotismus, verpackt in Pathos und Melancholie. Damit trifft er offensichtlich voll ins russische Herz. Die grausame Realität des Krieges kann durch seine Musik ästhetisch verarbeitet werden. So lösen die Ruinen in der Ostukraine, die in Shamans Videos gezeigt werden, zwar großen Schmerz aus, doch dienen diese Bilder einem übergeordneten Ziel: der Propaganda des Putin-Regimes.

Denn dessen größtes Feindbild ist der Westen, die USA und Europa, gegen die sich die slawischen Länder Putins Ansicht nach auflehnen müssen. Tote Soldaten werden dafür gerne zu Märtyrern erhoben. Man darf Mitgefühl mit diesen "Helden" des Krieges haben, heißt es in der russischen Propaganda. Linientreu sind also auch die Texte von Shaman: "Wer hat gesagt, dass in der Welt die Liebe gestorben ist? Dass es keine Ehre mehr gibt und die Wahrheit bis auf den Grund verbrannt ist? Selbst wenn um mich herum die Hölle losbricht, gebe ich nicht auf! Immer vorwärts und nie einen Schritt zurück", singt er. Das Publikum jubelt ihm zu.

Seine Musik will ein Russland zeigen, das in der Zukunft alle Widrigkeiten überwinden wird. Ein gelobtes Land, in dem das Leben eine tiefere Erfüllung bereithält, als der vermeintlich oberflächliche Lebensstil des Westens bietet. Es manifestiert sich in Shamans Songs zudem ein Weltbild, das von apokalyptischen und spirituellen Zielen der angeblichen eurasischen Vorherrschaft angetrieben wird. Der Sänger trägt bei Auftritten neben einer Armbinde in den Farben der russischen Trikolore ein großes Holzkreuz, um seine Hingabe zum russisch-orthodoxen Glauben zu unterstreichen.

50 Millionen Klicks auf YouTube

Dronow hat in seiner bisherigen Musikkarriere eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen: Er ist ausgebildeter Musiker und hat die Gnessin-Musikhochschule in Moskau besucht. Seine ersten öffentlichen Auftritte hatte er bei Castingshows im Fernsehen, darunter bei der russischen Version von "The Voice". Seine damalige Musik, kommerzieller Pop, fand vor allem bei weiblichen Teenagern Anklang. Erst ab 2020 trat Dronow unter dem Künstlernamen Shaman auf, zunächst ohne viel Aufmerksamkeit zu erzielen. Sein großer Durchbruch sollte erst später kommen.

Einen Tag bevor Russland in die Ukraine einmarschierte, am 23. Februar 2022, brachte er eine neue Single heraus. Ihr Titel lautet "Wstanem" (Deutsch: "Wir erheben uns"). Der Song klingt zunächst wie eine barocke Ballade und entpuppt sich dann durch Synthesizer-Effekte im Refrain als Popsong. Shaman singt darin mit großem Gefühl: "Wir stehen auf, solange Gott und die Wahrheit mit uns sind."

Obwohl er in seinem Lied nicht konkret auf Russlands Überfall auf die Ukraine eingeht, greift er die politische Rhetorik des Kreml auf: Russland solle sich erheben. Auf seiner Website heißt es dazu, er habe sich an einem neuen Musikstil ausprobieren wollen. Die Komposition sei für ihn wie eine göttliche Eingebung gewesen. Inspiriert hätten ihn die "russischen Helden" des Zweiten Weltkriegs, der in Russland als Großer Vaterländischer Krieg bezeichnet wird.

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Richtig populär wurde Shaman schließlich mit seinem nächsten Hit "Ja Russki" ("Ich bin Russe"). Auf YouTube klicken fast 50 Millionen Menschen auf das dazugehörige Video. "Ich bin Russe, ich gehe bis zum bitteren Ende. Ich bin Russe, mein Blut ist das meines Vaters. Ich bin Russe, und damit habe ich Glück. Ich bin Russe, der ganzen Welt zum Trotz", singt er darin. Dazu werden Bilder eingeblendet, in denen er mal im weißen Hemd durch ein Weizenfeld streift, mal wie ein Rockstar auf der Bühne seine Fans zum Ausflippen bringt.

Popkultur und der moderne Faschismus

Doch es gibt auch kritische Stimmen in Russland: In den sozialen Netzwerken wird diskutiert, ob der Musiker in seinen Liedern mit Nazisymbolik spiele. Als Beispiel wird der Song "Moi Boi" genannt, dessen Titel als "Mein Kampf" übersetzt werden kann. In einem anderen Lied "My" (deutsch: Wir) ist Shaman mit kurz geschorenen blondierten Haaren, Springerstiefeln und einer Armbinde in den russischen Nationalfarben zu sehen. Einer Recherche des Medienportals "dekoder.org" zufolge soll der Clip an Hitlers Geburtstag, dem 20. April, veröffentlicht worden sein.

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Eine These des dänischen Kunsthistorikers Mikkel Bolt Rasmussen lautet, dass Putins Russland den faschistischen Traum mit Popkultur verbinde. Der moderne Faschismus beschränke sich nicht mehr nur auf politische Parteien und Institutionen, sondern zeige sich auch in der Volks- und Internetkultur. Parteien sind demnach nicht mehr notwendig, um Massenbewegungen zu schaffen. Ganze Bewegungen könnten mit einem Mausklick in den sozialen Medien losgetreten werden, so der Experte.

Musik und Kunst werden als Vehikel betrachtet, um die propagandistischen Narrative zielsicher in die Herzen und Köpfe der Menschen zu transportieren und alle Schichten der Gesellschaft zu durchdringen. In den sozialen Netzwerken verbreiten sich die professionell produzierten Musikvideos von Shaman wie Lauffeuer, werden geteilt und kommentiert.

Laut "dekoder.org" beschränkt sich die staatliche Infiltration in Russland, die Z-Propaganda, nicht mehr nur auf Musik und Straßenkunst, sondern hat auch andere Bereiche der Massenkultur in Russland erreicht. Neben Filmen, Rap und Stand-up-Comedy, die auf YouTube zu finden seien, werde TikTok genutzt, um junge Menschen mit Z-Propaganda zu versorgen. Der lateinische Buchstabe "Z" fungiert dabei als Symbol für die Unterstützung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Der Erfolg des sogenannten Z-Pops basiert auf Prinzipien, die auch Populisten in anderen Ländern nutzen, darunter einfache und hochemotionale Botschaften, Wiederholungen und die Verwendung sozialer Medien.

Viele russische Kulturschaffende haben das Land verlassen

Die Nutzung von Popkultur als Propagandamittel an sich ist in Russland nichts Neues: Schon in der Vergangenheit veröffentlichten russische Musikstars Lieder, die Präsident Wladimir Putin zunächst als Kriegshelden und später als Beschützer Russlands darstellten. So wurde Popkultur bereits in den 2000er-Jahren während des Tschetschenienkriegs als Propagandamittel genutzt. Damals konzentrierte sich Musik und Kunst auf die Schaffung eines Personenkults um Putin. Als Russland ab 2014 Krieg in der Ostukraine führte, änderte sich auch das Narrativ. So wurde der Kremlherrscher in "Moi Putin" (deutsch: "Mein Putin") schon 2015 von der Sängerin Mashani als Retter der Ukraine besungen. "Du forderst die Welt heraus und gibst die Krim zurück", singt sie darin. Seitdem Putin die ukrainische Halbinsel annektiert hat, erhebt Russland den Anspruch: "Die Krim gehört zu uns."

In dem Maße, in dem der Kreml seit Beginn des Großangriffs auf die Ukraine im Februar 2022 versucht, die Institutionen des Landes so umzugestalten, dass sie mit der imperialen Weltanschauung Putins übereinstimmen, haben sich auch Kulturschaffende in Russland für eine Seite entschieden. Viele mussten aufgrund des politischen Drucks das Land verlassen. Andere haben sich gegen den Krieg ausgesprochen, nur um dann festzustellen, dass ihre Konzerte oder Ausstellungen abgesagt wurden. Darunter sind Musiker, Theaterregisseure, Schauspieler und andere Künstler.

Shaman dagegen hat sich entschieden, als Kriegsbefürworter aufzutreten und ist so über Nacht zum Shootingstar geworden. "Shaman ist aus kultureller und soziologischer Sicht ein sehr interessantes Phänomen, aber ich glaube nicht, dass er ein Einzelphänomen ist. Er ist die Fortsetzung einer langjährigen Entwicklung der russischen Subkultur, einer nationalistischen und parafaschistischen", sagte Ilja Kukulin, Kulturhistoriker und ehemals an der Moskauer Nationalen Forschungsuniversität Higher School of Economics tätig, der "New York Times".

Wurde Shaman für diese Aufgabe herangezogen?

Ob Shaman vom Machtapparat auf lange Sicht für seine Aufgabe herangezogen wurde, ist nicht bekannt. Beobachtern zufolge hat er wohl eher den russischen Zeitgeist getroffen. So schreiben die Rechercheure von "dekoder.org", er habe mit seinen Liedern "eine Welle der politischen Konjunktur erwischt, die auf Regimetreue, Unterstützung des Kriegs und Patriotismus setzte".

Den Kreml als Gönner zu haben, dürfte sich zumindest für ihn ausgezahlt haben. "Es gibt eine staatliche Förderung für diese Musik, die sich jedoch nicht immer mit direkten Geldzuweisungen erklären lässt. Die Förderung drückt sich vor allem in elementaren Dingen aus, wie der Bereitstellung von Infrastruktur, Sendezeit, Studiokapazitäten und öffentlichen Auftritten bei Großveranstaltungen und in Stadien. Ohne Zustimmung staatlicher Institutionen gibt es all das nicht", erklärte die Historikerin Alexa von Winning von der Universität Tübingen dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".

Doch trotz seines Erfolgs sei Shamans gesamter Einfluss auf das Weltbild der russischen Jugend – die Bevölkerungsgruppe, die am ehesten gegen den Krieg ist – nicht sehr groß, sagen Analysten laut "New York Times". Den Kreml scheint das nicht zu beirren: Das Kulturministerium kündigte Anfang des Jahres Pläne an, kriegsbefürwortende Künstler zu fördern, möglicherweise in der Hoffnung, die Erfolgsgeschichte von Shaman zu wiederholen.

Verwendete Quellen
  • foreignpolicy.com: "Russia’s Frighteningly Fascist Youth"
  • dekoder.org: "Z-Pop"
  • dekoder.org: "Shamans Kampf"
  • nytimes.com: "Changing His Tune for Mother Russia"
  • nzz.ch: "Putins Lieblingssänger"
  • rnd.de: Z-Pop: "Der kitschige Soundtrack zu Putins Krieg"
  • https://shaman.artzvezdy.shop/#collections
  • www.youtube.com/@SHAMAN_ME/about
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