t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikBundestagswahl 2025

Merkel kritisiert Merz: Neue Debatte über Flüchtlingspolitik entfacht


Debatte um Merkel
"Es ist heuchlerisch"


06.02.2025 - 16:16 UhrLesedauer: 1 Min.
imago images 0800085417Vergrößern des Bildes
Angela Merkel: Sie verteidigt ihre frühere Haltung. (Quelle: IMAGO/gbrci/imago)
News folgen

Altkanzlerin Angela Merkel hat sich bei einer Veranstaltung zur Flüchtlingspolitik von CDU-Chef Friedrich Merz geäußert – und zu ihrer eigenen. Weil sie sich damit erneut in die Tagespolitik einschaltet, wird sie kritisiert. Zu Recht?

Angela Merkel hat lange geschwiegen. Nun, Jahre nach ihrem Abschied aus der Politik, hat sich die frühere Kanzlerin erstmals wieder zur Tagespolitik geäußert – und sich gegen CDU-Chef Friedrich Merz positioniert.

Die frühere Kanzlerin hatte in der vergangenen Woche CDU-Chef Friedrich Merz offen kritisiert, nachdem im Bundestag ein Unionsantrag für Zurückweisungen an Grenzen mit AfD-Stimmen eine Mehrheit gefunden hatte. Der Unionskanzlerkandidat hat daraufhin der Politik der vergangenen Jahre und seiner eigenen Partei eine Mitverantwortung für die Stärke der AfD gegeben und gesagt: "Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik."

Merkel bejahte am Mittwochabend bei einer Veranstaltung der Wochenzeitung "Die Zeit" in Hamburg die Frage, ob sie sich davon angesprochen fühle, entgegnete aber, sie halte die Flüchtlingspolitik der vergangenen zehn Jahre nicht für verfehlt. Zum Thema AfD sagte sie: "Als ich aus dem Amt ging, lag die AfD bei etwa 11 Prozent, dass sie heute bei 20 liegt, das ist jetzt echt nicht mehr meine Verantwortung."

Es stellt sich daher die Frage:

War es richtig, dass Merkel sich öffentlich zur Migrationsdebatte geäußert hat?

Pro
Patrick DiekmannLeitender Redakteur Außenpolitik

Ja, die Angriffe auf Merkel sind heuchlerisch

Angela Merkel hält sich generell zurück. Sie hat noch nie die Amtsführung ihres Nachfolgers kommentiert. Sie äußert sich nur, wenn aus ihrer Perspektive etwas völlig in die falsche Richtung läuft. Diesen Punkt sah sie offenbar gekommen, als CDU-Chef Friedrich Merz einen Antrag mit Stimmen der AfD durch den Bundestag gebracht hatte.

Die Wut über Merkels öffentliche Aussagen aus Teilen der Union und Gesellschaft ist respektlos. Denn es geht hierbei nicht um den Konflikt zwischen Merkel und Merz, sondern um etwas Grundsätzliches: Die handelnde Politik darf nicht auf die Unterstützung von Rechtsextremen angewiesen sein. Merkel ist in der DDR aufgewachsen, die Beschneidung von Bürgerrechten und die Schließung von Grenzen sind für sie rote Linien. Linien, die Merz in ihren Augen überschritten hat. Warum sollte sie bei diesen Themen schweigen?

Trotz ihrer Kritik an Merz war Merkel zudem ihrer Partei gegenüber nicht illoyal. Lange Zeit hat die ehemalige Bundeskanzlerin geschwiegen, tauchte nur sehr selten auf CDU-Veranstaltungen auf. Merz ging in der Migrationsdebatte schon früh auf Distanz zu ihr, auch um politisch davon profitieren zu können. Union und Teile der Gesellschaft werfen ihr vor: Migrationspolitisch sei Deutschland in die falsche Richtung gelaufen, der früheren Kanzlerin habe es an Visionen und politischer Weitsicht gefehlt. Merz selbst warf der CDU unter ihrer Führung kürzlich vor, die AfD stark gemacht zu haben. Der Vorwurf greift aber zu kurz: Denn die Stärke der AfD ist Folge eines gemeinschaftlichen Versagens der politischen Mitte. Merkel war schließlich keine Alleinherrscherin, und während ihrer Kanzlerschaft waren die Rechtspopulisten noch halb so stark.

Kritik an Merkel ist durchaus angebracht, und manchmal treffen die Attacken gegen die Bundeskanzlerin a. D. auch einen wahren Kern. Viele Angriffe sind aber vor allem eines: heuchlerisch.

Merkel war 16 Jahre im Amt, und viele Politiker in der Union und eine Mehrheit der Menschen im Land haben jeden ihrer Wahlsiege beklatscht und bejubelt. Kaum Worte des Widerstandes gab es aus den Reihen der CDU, solange sie ihrer Partei Mandate im Bundestag besorgte. Merz kann bislang von Merkels damaligen Wahlergebnissen nur träumen.

Und: Natürlich darf Merkel auf Vorwürfe gegen sie reagieren, sie unterliegt keinem Schweigegelübde. Deutschland muss verschiedene Meinungen aushalten können, und besonders die einer ehemaligen Bundeskanzlerin. Die Union und die Gesellschaft wären gut beraten, zwar die Versäumnisse der Merkel-Zeit aufzuarbeiten, aber auch vom Erfahrungsschatz der langjährigen Kanzlerin zu profitieren. Merkel weiß, wie man mit Donald Trump oder Wladimir Putin verhandelt. Das kann unheimlich hilfreich sein, für einen Bundeskanzler und somit für das ganze Land.

Sollte ein möglicher Kanzler Merz in Zukunft mit der Bitte um Rat anrufen, wird Merkel nicht auflegen. Dafür müssten zwar wahrscheinlich beide – Merkel und Merz – über ihren Schatten springen, aber eines steht fest: Ein Austausch wäre im Interesse Deutschlands. Auch deshalb sollte Merkels Vermächtnis nicht demoliert werden – auch von ihrer eigenen Partei nicht.

Kontra
Mauritius KloftRessortleiter Politik und Wirtschaft

Nein, Merkel sollte sich zurückhalten

Angela Merkel darf sich selbstredend öffentlich äußern, das ist ihr gutes Recht. Ihre Kritik an Friedrich Merz wirkt aber merkwürdig unreflektiert. Wenn jemand die AfD stark gemacht hat, dann doch wohl Merkel selbst.

Da ist zum Beispiel Merkels Flüchtlingspolitik. Erst sie hat der AfD zum Durchbruch verholfen. "Wir schaffen das" – mit diesen drei Worten machte die damalige Kanzlerin ihre Entscheidung, die Grenzen 2015 – und auch später – trotz des Ansturms offenzuhalten, zur Maxime ihrer Migrationspolitik. Die Folgen: eine völlig überforderte Verwaltung – und ein Vertrauensverlust bei vielen Bürgern.

Die AfD, die bis zu diesem Zeitpunkt ein Sammelbecken für Euroskeptiker war, nutzte die Krise und verwandelte sich in eine migrationskritische, teils rechtsextreme Protestpartei. Plötzlich zog sie in Landtage und den Bundestag ein. In Ostdeutschland wurde sie zur stärksten Kraft. Merkels Politik hat also einen Anteil daran, dass die AfD nach 2015 Zulauf bekam. Das schiebt Merkel aber beiseite. Stattdessen erklärt sie, es sei der Streit zwischen CDU und CSU gewesen, der das Erstarken der AfD begünstigt habe. So einfach sollte sie es sich nicht machen.

Auch ihre Corona-Politik trug dazu bei, dass die Ränder weiter wuchsen. Strenge Lockdowns, Schulschließungen – die AfD etablierte sich als Sammelbecken für Maßnahmenkritiker. "Als ich aus dem Amt gegangen bin, lag die AfD bei elf Prozent. Dass sie jetzt bei 20 Prozent liegt, ist jetzt nicht mehr meine Verantwortung", sagte sie stattdessen. Damit gibt Merkel die Schuld für das aktuelle AfD-Hoch allein den Politikern nach ihrer aktiven Zeit.

Politik hat aber auch langfristige Folgen: Die AfD ist nicht über Nacht von elf auf 20 Prozent gestiegen. Sie hat über Jahre hinweg Wähler gesammelt – viele davon enttäuscht von der Merkel-Ära. Nicht zuletzt auch, weil Milliardeninvestitionen ausblieben, die die Wirtschaft nun belasten. Entscheidungen über Probleme wurden vertagt, die Deutschland hätte lösen müssen. Stichwort: Klima- und Energiepolitik. Stichwort: Rente. Stichwort: Digitalisierung. Alles Dinge, die Merkel unerwähnt lässt.

Sicherlich: Merz kann man für seine Politik und die Abstimmung mit der AfD kritisieren. Doch wer mitverantwortlich für das Erstarken der Rechtspopulisten ist, sollte sich mit Kritik an seinen Nachfolgern zurückhalten. Merkels Einmischungen in die aktuelle Debatte sind nichts anderes als Rechtfertigungen und Schönmalereien ihrer früheren Politik.

 
 
 
 
 
 
 

Teilen Sie Ihre Meinung mit
Welche Meinung zum Thema haben Sie? Schreiben Sie eine E-Mail an Lesermeinung@stroeer.de

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



Telekom