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Anne Will I Russischer Autor Jerofejew über Putin: "Bereit, die Welt zu zerstören"


"Bereit, die Welt zu zerstören"
Russischer Autor Jerofejew zeichnet düsteres Bild von Putin

Aktualisiert am 17.10.2022Lesedauer: 4 Min.
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Viktor Jerofejew bei "Anne Will": Der Schriftsteller ist im Frühjahr von Russland nach Deutschland geflohen. (Quelle: IMAGO/Jürgen Heinrich)
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Ist ein Frieden mit Putin überhaupt denkbar? Der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew gibt bei "Anne Will" eine düstere Einschätzung des Kremlchefs ab.

Die ukrainische Gegenoffensive und Anschläge wie jener auf die Krimbrücke haben Wladimir Putins Position in jeder Hinsicht geschwächt. Dass der Kremlchef als Reaktion darauf fernab der Front Zivilisten attackiert, mag ihm gegenüber den Hardlinern im eigenen Land etwas Luft verschaffen. Andererseits minimiert der russische Präsident damit die ohnehin schon geringen Verhandlungsspielräume gegenüber der Ukraine und dem Westen.

Die Angriffe seien ein Ausdruck von Putins Verzweiflung, sagte der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew am Sonntagabend in Anne Wills ARD-Talkshow zum Thema "Raketen auf zivile Ziele – ist Putin noch zu stoppen?" "Er wird alles machen, um nicht als Verlierer dazustehen, alles", warnte der im Frühjahr nach Deutschland geflohene Autor, der den russischen Präsidenten als "Hinterhofschläger" und "Mann des Krieges" charakterisierte.

Dieser sei kein rationaler Mensch, wie man im Westen fälschlicherweise annehme, sondern "bereit, die Welt zu zerstören, mit sich zusammen". Gleichzeitig befinde sich das Regime in einem Zustand der Agonie, die sich durchaus noch hinziehen könne, aber letztlich ein Todesschmerz sei, so der im Frühjahr nach Deutschland geflohene Autor.

Gäste

  • Martin Schulz (SPD), Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung
  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Verteidigungsexpertin
  • Marina Weisband (Bündnis 90/Die Grünen), deutsch-ukrainische Journalistin
  • Viktor Jerofejew, russischer Schriftsteller
  • Sarah Pagung (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik), Russland-Expertin

"Putin versucht, sehr, sehr viel Terror zu machen"

"Es ist nicht wirklich eine neue Phase. Es ist jetzt eine Phase, in der Putin versucht, sehr, sehr viel Terror zu machen", lautete die Einschätzung Marina Weisbands zur gegenwärtigen Lage. Die deutsch-ukrainische Journalistin war sich sicher, dass Putins nächster Schritt ein Werben "für einen möglichst schnellen Waffenstillstand" sein werde.

"Das Beste, was ihm jetzt passieren kann, ist ein Einfrieren des Konflikts", urteilte die gebürtige Kiewerin. Der russische Präsident werde die gewonnene Zeit dann nutzen, um aufzurüsten, Streitkräfte auszubilden und eine neue Offensive für den Beginn des kommenden Jahres vorzubereiten. Dementsprechend lautete das Fazit der Publizistin: "Das Beste, was wir machen können, ist, nicht darauf einzugehen."

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Russland-Expertin glaubt nicht an baldige Verhandlungen

Ein Anstreben baldiger Waffenstillstandsverhandlungen vonseiten Putins hielt die Politologin Sarah Pagung bei ihrem TV-Auftritt hingegen für unwahrscheinlich. Vielmehr habe er mit der Teilmobilisierung, den Annexionen und seiner extremen Brutalität Verhandlungen verunmöglicht. Es gehe Putin jetzt einerseits darum, abzusichern, was Russland bisher erobert und noch nicht wieder verloren habe, und andererseits darum, der Ukraine massiven Schaden zuzufügen, um ihre Fähigkeit für weitere Rückeroberungen zu minimieren, erklärte die Russland-Kennerin.

Hoffnung auf einen wirksamen Widerstand innerhalb Russlands konnte Pagung keine machen. Die Unterstützung für Putin und den Gesamtkurs der Regierung nehme nur sehr leicht ab, auch wenn mittlerweile deutlich mehr Menschen mit Sorge in die Zukunft schauen würden.

Putin werde von der Mehrheit unterstützt, bestätigte Jerofejew. Grund dafür sei auch die über ganz Russland verbreitete Gopnik-Kultur. Mit "Gopniki" werden im Russischen mehr oder weniger kriminelle Vorstadtproleten bezeichnet. "Dieser Gewaltkult, das spricht sehr viele Leute an, und das müssen wir auch tatsächlich berücksichtigen. Das ist ein Elend unseres Landes", merkte der Schriftsteller an.

Seinem Heimatland stellte Jerofejew auch sonst ein trauriges Zeugnis aus. "Wenn ich sage, dass Russland gestorben ist, bedeutet das nicht, dass Putin das Land getötet hat", erläuterte er. Stattdessen sei Russland allmählich gestorben, weil man keine gemeinsamen Werte gefunden habe und in diesem Sinne auch keine Nation sei, sondern ein Volk mit archaischer Einstellung. "Der Zar ist unser Schicksal, und das Schicksal ist der Zar", lautete der Satz, mit dem der 75-Jährige die Grundhaltung seiner Landsleute beschrieb.

SPD-Politiker Schulz hofft auf G20-Gipfel

Dennoch wollte der Autor eine Lösung des gegenwärtigen Konflikts nicht ausschließen. Diese könne beispielsweise durch ein gemeinsames Machtwort von US-Präsident Biden und Chinas Präsident Xi Jinping erreicht werden. "Der einzige Mensch, auf den Putin hört, ist Genosse Xi", gab Jerofejew zu bedenken.

"Ich glaube, dass wir eine große Chance haben, China auf die Seite der Russland-Kritiker oder der Kritiker dieses Vorgehens zu bekommen", zeigte sich SPD-Politiker Martin Schulz überzeugt. Er habe die Enthaltung und auch die eher kritischen Töne der letzten Tage aus Peking sehr aufmerksam verfolgt und denke, dass beim G20-Gipfel Mitte November in Bali Bewegung in die Sache kommen könne. Besonders die Präsenz Indiens, das sowohl zu China als auch zu den USA gute Beziehungen pflege, könnte sich in diesem Zusammenhang Scholz' Worten zufolge als hilfreich erweisen.

Dass man auf eine diplomatische Lösung in absehbarer Zeit hoffen, sich darauf aber nicht verlassen darf, ging aus den Worten von Marie-Agnes Strack-Zimmermann hervor. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses erneuerte ihre Forderung nach deutschen Panzerlieferungen für die Ukraine und rief dazu auf, alle "Ausreden" beiseitezuschieben.

"Wir verlieren unvorstellbar viel Zeit", kritisierte die Liberale. Gleichzeitig mahnte Strack-Zimmermann angesichts des Potenzials Deutschlands eine offensivere Führungsrolle bei der Unterstützung durch Waffenlieferungen an. "Keiner in Europa oder den Vereinigten Staaten hat Angst, dass Deutschland zu viel macht", resümierte die FDP-Politikerin.

Verwendete Quellen
  • ard.de: "Anne Will" vom 16.10.2022
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