Tagesanbruch Die versteckte Gefahr hinter der hohen Sparquote
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt sie noch, die guten Nachrichten: Die Deutschen legen einen überdurchschnittlich hohen Teil ihres Nettoeinkommens zur Seite. 10,4 Prozent waren es 2023, in der ersten Hälfte dieses Jahres liegt die Sparquote sogar bei 11,1 Prozent. Will heißen: Von 100 Euro, die ein privater Haushalt zur Verfügung hat, wandern im Schnitt 11,10 Euro auf die hohe Kante.
Laut Statistischem Bundesamt macht das 280 Euro, die jede Einwohnerin und jeder Einwohner im Schnitt pro Monat spart. Nur wenige Länder kommen auf höhere Sparquoten, etwa die Niederlande mit 12,7 Prozent oder die Schweiz mit 19,4 Prozent. Passend zum heutigen Weltspartag in Deutschland ist das erst mal eine erfreuliche Erkenntnis. Doch Sie ahnen vermutlich, was jetzt kommt: Mit diesen Zahlen gibt es gleich mehrere Probleme.
Problem Nummer eins: Es handelt sich nur um Durchschnittswerte. Während einige Haushalte viel Geld sparen können, bleibt bei anderen am Monatsende wenig bis nichts übrig. Wie viele Deutsche das betrifft, zeigt eine repräsentative YouGov-Umfrage im Auftrag des Finanzunternehmens Raisin: Demnach gaben zwei von fünf Befragten an, zu wenig verfügbares Einkommen zum Sparen zu haben. 18 Prozent legen gar kein Geld zur Seite, bei den Frauen sind es sogar 22 Prozent.
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Was uns zu Problem Nummer zwei führt: Denn gerade Frauen müssten eigentlich mehr sparen als Männer. Grund ist ihre größere Rentenlücke, also die Differenz zwischen dem Geld, das sie im Ruhestand benötigen, und ihrer erwarteten gesetzlichen Rente. Die Geldanlage-Plattform WeltSparen hat berechnet, wie viel Geld 40-, 50- und 60-jährige Frauen und Männer bereits heute angespart haben sollten, um ihren Lebensstandard im Alter halten zu können. Herausgekommen sind erschreckend hohe Zahlen.
So müsste eine 40-jährige, durchschnittlich verdienende Frau schon jetzt sagenhafte 185.000 Euro auf dem Konto haben, ein Mann gleichen Alters 150.000 Euro. Und die Beträge nehmen mit dem Alter noch zu: 60 Jahre alte Frauen müssten 230.000 Euro angespart haben, gleichaltrige Männer 207.000 Euro. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ergibt sich vor allem aus den Erwerbsbiografien.
Noch immer arbeitet jede zweite Frau in Teilzeit, bei den Männern ist es nur jeder Zehnte. Das wiederum erklärt sich aus den Zahlen zur Sorgearbeit: Frauen verbringen pro Tag 44,3 Prozent mehr Zeit als Männer damit, Kinder zu erziehen, Angehörige zu pflegen oder Hausarbeiten zu erledigen. Dazu sind sie häufig in schlechter bezahlten Berufen tätig, verdienen aber auch bei gleicher Qualifikation weniger als Männer. Alles zusammen führt zu einem deutlich geringeren Bruttostundenverdienst – und damit auch zu weniger Einzahlungen in die Rentenkasse. In der Konsequenz heißt das: Frauen haben ein höheres Risiko, im Alter arm zu sein.
Im Vergleich dazu scheint das dritte und letzte Problem mit der deutschen Sparquote fast verschmerzbar zu sein: Von jenen, die sich das Sparen leisten können, lassen viele ihr Geld auf schlecht verzinsten Konten versauern. Mehr als die Hälfte der deutschen Ersparnisse liegt auf Giro- oder Tagesgeldkonten, die im Schnitt nur 0,6 Prozent Zinsen pro Jahr abwerfen und damit von der Inflation aufgezehrt werden (mehr dazu hier). Man könnte auch sagen: Deutschland spart sich unnötig arm. Dabei sind derzeit mit sicherem Festgeld bis zu 3,5 Prozent pro Jahr drin.
Das wiederum ist eine gute Nachricht für alle, die angesichts der obigen Berechnung zur Rentenlücke fast vom Stuhl gefallen sind. Denn dabei wurde angenommen, dass es auf die Ersparnisse keinerlei Zinsen gibt, das Geld also auf unverzinsten Girokonten oder dem Sparbuch geparkt wird. Doch es gibt ertragreichere Alternativen, sogar noch bessere als Festgeld.
Insbesondere wenn Sie fürs Alter vorsorgen, also langfristig Vermögen aufbauen wollen, eignet sich eine Geldanlage an der Börse. Das muss auch gar nicht so riskant sein, wie Sie vielleicht denken: Stecken Sie Ihr Geld für mindestens 15 Jahre in einen börsengehandelten Indexfonds (ETF), der einen breit gestreuten Aktienindex wie zum Beispiel den MSCI World abbildet, ist die Chance groß, dass Sie ordentlich Gewinn einfahren. Wer etwa mit 50 Jahren anfängt, bis zum Renteneintritt mit 67 Jahren einen ETF mit monatlich 150 Euro zu besparen, hat bei einer angenommenen durchschnittlichen Jahresrendite von 6,3 Prozent am Ende immerhin rund 53.640 Euro. Verdoppeln Sie die Sparrate, sind sogar rund 107.280 Euro drin. Lesen Sie hier, was ETFs genau sind und wie sie funktionieren.
Klar ist aber: Früh dran sein lohnt sich, da der Zinseszinseffekt umso mehr zur Geltung kommt, je länger Sie investieren. Wer bereits mit 30 Jahren mit einem ETF-Sparplan beginnt, käme bis zur Rente bei einer Sparrate von 150 Euro im Monat sogar auf rund 252.380 Euro. Selbst eingezahlt hätten Sie aber nur 66.600 Euro.
Gerade wer nur wenig Geld zum Sparen übrig hat, sollte darauf achten, es möglichst gewinnbringend anzulegen. Voraussetzung ist allerdings, dass Sie keine Schulden haben und es bereits einen Notgroschen für unvorhergesehene Ausgaben gibt, auf den Sie jederzeit zugreifen können. Dafür ist das Parken auf dem Tagesgeldkonto absolut in Ordnung. Alles, was darüber hinaus nach Abzug der Lebenshaltungskosten übrig bleibt, darf in einen ETF investiert werden. Übrigens geht das bei den meisten Anbietern auch mit wenigen Euro pro Monat. Große Sprünge sind dann zwar selbst an der Börse nicht möglich, aber es ist immer noch besser, als gar nicht anzulegen.
Frauen, die deswegen nicht oder nur wenig sparen können, weil sie in Teilzeit oder gar nicht arbeiten, sollten sich zudem überlegen, ob die klassische Arbeitsaufteilung mit ihrem Partner für sie noch passt. Ist es nicht möglich oder nicht gewünscht, die eigenen Stunden im Job zu erhöhen, sollten Sie vom Partner eine Ausgleichszahlung verlangen. Diese nutzen Sie dann, um privat vorzusorgen. Lesen Sie hier, wie Sie berechnen, wie viel Geld Ihnen vom Partner zusteht.
Auch das geplante Altersvorsorgedepot könnte Menschen, die später keine hohen Rentenansprüche haben werden, Entlastung bringen. Denn damit sind deutlich höhere Renditen zu erwarten als mit der bisherigen Riester-Rente (mehr dazu hier). Zudem ist der neue Zuschuss für einkommensschwache Menschen ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings gilt auch hier wieder: Wer schlicht nichts übrig hat, um zu sparen, dem bringt auch eine verbesserte staatlich geförderte Altersvorsorge nichts. Unverzichtbar bleibt es daher, dass Arbeitgeber Löhne zahlen, von denen man gut leben kann und der Staat die passenden Bedingungen dafür schafft.
Was steht an?
Thementag Statistik: Gleich drei Zahlen geben heute Hinweise darauf, wie es um die deutsche Wirtschaft bestellt ist. Da hätten wir zum einen das Bruttoinlandsprodukt für das dritte Quartal, zum anderen die Inflationsrate für Oktober. Beides hat das Statistische Bundesamt berechnet. Auch die Bundesagentur für Arbeit hat den Taschenrechner bemüht und gibt die Statistik für den deutschen Arbeitsmarkt bekannt.
Wie geht es weiter mit der EU-Erweiterung? Darüber will die EU-Kommission an diesem Mittwoch sprechen. Seit Jahren stehen die Länder des Westbalkans auf der Warteliste. Zu den jüngsten Beitrittskandidaten gehören Moldau und Georgien. Einem Beitritt am nächsten ist derzeit Montenegro.
Wie geht es weiter im DFB-Pokal? Acht Partien stehen in der 2. Runde noch aus. Den Auftakt machen Eintracht Frankfurt und Borussia Mönchengladbach sowie der SC Freiburg gegen den Hamburger SV (18 Uhr). Später muss unter anderem Rekordsieger FC Bayern München auswärts gegen Mainz 05 antreten (20.45 Uhr).
Ohrenschmaus
Jetzt, wo es gefühlt um 16 Uhr dunkel ist, behilft sich manch einer ja mit künstlichem Licht, um die Stimmung aufzuhellen. Künstlerisches Licht funktioniert aber auch recht gut, finde ich.
Lesetipps
SPD, Grüne und FDP streiten nicht mehr nur, sie regieren aneinander vorbei. Platzt die Ampel jetzt endgültig? Es spricht viel dafür, dass das jetzt ein Mann in der Hand hat: Christian Lindner. Meine Kollegen Johannes Bebermeier und Daniel Mützel berichten.
Vor etwa einem Monat wurde die Kleinstadt Asheville im Swing State North Carolina von Hurrikan "Helene" schwer getroffen. Mein Kollege David Schafbuch hat sich in der Stadt umgesehen und mit den Bewohnern über die Präsidentschaftswahl gesprochen.
Ein Amerikaner, der der ukrainischen Bevölkerung im Kriegsgebiet als Helfer beistand, soll sie in Wahrheit den Russen ausgeliefert haben. Mein Kollege Lars Wienand hat ihn mit deutschen Ukraine-Helfern identifizieren können.
Zum Schluss
Immerhin in dieser Sache ist man sich einig.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Mittwoch! Morgen schreibt mein Kollege Mauritius Kloft für Sie.
Herzliche Grüße
Christine Holthoff
Finanzredakteurin
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Mit Material von dpa.
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