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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Donezk präsentiert Überläufer Russen feiern deutsch sprechenden Ukraine-Helfer
Ein Amerikaner, der als Helfer der ukrainischen Bevölkerung im Kriegsgebiet beistand, soll sie in Wahrheit den Russen ausgeliefert haben. Vieles deutet darauf hin, dass er für die andere Seite arbeitete.
Ein Mann steht umringt von maskierten bewaffneten Kämpfern auf dem Lenin-Platz in Donetzk, der ostukrainischen Hauptstadt der gleichnamigen Oblast, die Russland vor zwei Jahren völkerrechtswidrig annektiert hat. Einen Arm hat er um einen der pro-russischen Kämpfer gelegt, er selbst trägt zivile Kleidung. Das Foto, auf dem der Mann und die Kämpfer zu sehen sind, wird aktuell auf vielen russischen Nachrichtenseiten verbreitet. Es wird als Erfolgsmeldung geteilt, dass ein Amerikaner, der als Helfer in ukrainischen Dörfern tätig war, nun buchstäblich auf die andere Seite geholt werden konnte. Er habe geholfen, den ukrainischen Feind auszuspionieren.
Nach Recherchen von t-online spricht einiges dafür, dass das stimmt. Dass es einen Mann gab, der mit anpackte, um der unter dem Krieg leidenden Bevölkerung in der Ukraine zu helfen, dies aber nur tat, um sie in Wahrheit den Russen auszuliefern.
Denn tatsächlich gibt es einen Amerikaner, der auf eigene Faust als Helfer nach Donezk ging und seit Kurzem verschwunden ist. Im Netz finden sich einige Profile dieses Mannes unter dem Namen Daniel M.
Ein Deutscher, der an der Organisation von Hilfstransporten beteiligt ist, hat ihn im Donbass kennengelernt. Er und seine Kollegen seien Daniel M. ab Ende 2022 immer mal wieder begegnet, erzählt der deutsche Helfer t-online: "Uns hat er sich als Daniel aus Indiana vorgestellt." Daniel habe auch Deutsch gesprochen. "Es war auffällig, wie gut. Man hat den etwas verwaschenen Akzent herausgehört, ansonsten war das fehlerfrei."
Doch nicht nur das: Daniel M., offenbar 33 Jahre alt, spricht nach seinen eigenen Angaben auch fließend Mandarin und Polnisch – und natürlich Russisch. In einem Forum hatte er vor vier Jahren einem Nutzer geholfen, der wissen wollte, wie "Der Feind ist da" auf Russisch heißt. "Пришли враги!", schrieb Daniel M. daraufhin. Ein Satz, den er als mutmaßlicher Spion für Russland ebenfalls gut verwenden konnte. Daniel M. soll den Russen immer wieder Informationen über den Feind geliefert haben.
Als russische Truppen am Montag die Eroberung des ukrainischen Dorfs Bohoiavlenka melden konnten, soll Daniel M. eine Schlüsselrolle gespielt haben, behauptet das Kommando des Verteidigungsministeriums der selbst ernannten Republik Donezk (DVR). Er habe am Plan zur Erstürmung mitgewirkt. Zwei Jahre lang habe Daniel M. Geheimdienstinformationen geliefert, "die präzise Schläge gegen den Feind ermöglichten und gleichzeitig den Schaden an der zivilen Infrastruktur und der lokalen Bevölkerung minimierten", so die DVR-Stelle. Überprüfen lässt sich das nicht. Die US-Botschaft in Moskau teilte der Nachrichtenagentur Reuters mit, sie könne zu dem Fall aus Datenschutzgründen keine Angaben machen.
Verhalten erschien auch verdächtig
Der deutsche Helfer berichtet aber, dass es gegen den Mann in der Vergangenheit durchaus Verdachtsmomente gegeben habe. Ein einheimischer Partner habe dem ukrainischen Militär mitgeteilt, dass der Mann sich immer wieder mal für kurze Zeit abgesetzt habe. Er sei auch plötzlich verschwunden gewesen, als eine US-amerikanische Helfergruppe in der Region war. Außerdem sei er mit Informationen über sich auffallend zurückhaltend gewesen.
Verschwiegenheit ist aber an sich nichts Ungewöhnliches in Frontnähe, sondern dringend empfohlen, sagt der deutsche Ukraine-Unterstützer zu t-online: "Unsere Helfer stellen sich dort auch nicht mit ihren richtigen Namen vor." Deshalb sorge er sich auch vergleichsweise wenig, dass der mutmaßliche Spion nun auch noch Informationen über sie weitergeben könnte. Die Deutschen trafen den Mann mehrfach, zunächst in Selydove, dann bei Wuhledar, beides Orte im Donbass. Er habe beim Ausladen und Verteilen von Hilfsgütern geholfen und sei dazu mit der Militäradministration viel herumgekommen. Das Gebiet ist besonders umkämpft, dort hat das russische Militär in den vergangenen Monaten einige Geländegewinne erzielen können.
In einem seiner Social-Media-Profile gibt Daniel M. an, in Polen zu wohnen. In Polen nahm er offenbar auch an Veranstaltungen einer Freikirche teil. Andere Beiträge zeigen, dass er im ostrussischen Wladiwostok 2018 eine Spartakiade für ausländische Studenten von Universitäten des Ostens besuchte, einer Veranstaltung eines asiatisch-pazifischen Verbands von Russischlehrern.
US-Amerikaner wurde in Donezk zu Tode gefoltert
Offenbar soll Daniel M.s Zukunft nun dauerhaft in russisch kontrolliertem Gebiet liegen. Das Hauptquartier der DVR-Truppen teilte mit, derzeit werde "die Frage der Gewährung von politischem Asyl und der russischen Staatsbürgerschaft geprüft". In Donezk wäre Daniel M. nicht der erste US-Amerikaner, der sich der russischen Seite angeschlossen hat. Zunächst als Scharfschütze und dann als Blogger war der Texaner Russel Bentley im besetzten Gebiet unterwegs und dabei auch mit Alina Lipp befreundet, einer deutschen Putin-Propagandistin.
Bentleys Unterstützung wurde ihm letztlich aber nicht gedankt: Der 64-jährige Kommunist, der sich 2014 pro-russischen Separatisten angeschlossen hatte, wurde von russischen Soldaten zu Tode gefoltert. Sie hatten ihn offenbar für einen amerikanischen Spion gehalten. Bentley war im April in Donezk verschwunden, seine Leiche wurde später gefunden. Der Fall hatte auch in russischen Kreisen Empörung und eine Untersuchung ausgelöst. Im September wurden vier Soldaten als Verdächtige präsentiert.
- Telefonat mit deutschem Helfer
- reuters.com: Russian state media says Moscow spirited a U.S. citizen working for it out of Ukraine
- Telegram: Posting Rybar (russisch, archviert)