Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Deutschland ist gut aufgestellt
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es kann so oder so kommen: Entweder gelangt eine Person ins mächtigste Amt der Welt, die zwar einen klaren moralischen Kompass, aber bislang wenig Regierungserfahrung besitzt und noch keinen Plan vorgelegt hat, wie sie die zahlreichen globalen Krisen einzudämmen gedenkt. Oder eine andere Person zieht ins Weiße Haus ein. Die hat zwar schon mal regiert, aber von Erfahrung darf man dabei eigentlich nicht sprechen. Sie schert sich einen feuchten Kehricht um nationale Gesetze und internationale Abkommen und findet mehr Gefallen an unflätigen Beleidigungen als an der konstruktiven Lösungssuche.
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Kamala Harris oder Donald Trump: Wer wird am 5. November gewählt und bekleidet ab Januar für vier Jahre das amerikanische Präsidentenamt? In den Umfragen liegen die beiden Kontrahenten nahezu gleichauf, mal führt die Demokratin, mal der Republikaner. Es wird ein sehr enges Rennen, und am Ende könnten wenige Tausend Stimmen in drei, vier Swing States den Ausschlag geben.
Deshalb konnte das einzige Fernsehduell der beiden Bewerber kaum bedeutungsvoller sein. Anderthalb Stunden lang haben Harris und Trump in einem TV-Studio in Philadelphia debattiert – so konnten sich Millionen Zuschauer in Amerika und noch mehr rund um den Globus ein Bild machen, worin sich die Persönlichkeiten, Überzeugungen und Pläne der Rivalen unterscheiden. Meine Kollegen Anna-Lena Janzen und Christoph Cöln haben die wichtigsten Momente der Diskussion für Sie zusammengefasst. Unser USA-Korrespondent Bastian Brauns analysiert die Redeschlacht und urteilt, wer das Duell gewonnen hat.
Unterdessen sagte US-Superstar Taylor Swift der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris ihre Unterstützung zu. Das teilte sie in einem Instagram-Beitrag unmittelbar nach dem Ende des ersten TV-Duells mit. Für Harris könnte Swifts Unterstützung sogar entscheidend für die Wahl sein.
Die Amerikaner entscheiden über ihre Nummer eins, von den Folgen werden aber Menschen überall auf der Erde betroffen sein. Ob die Weltpolitik halbwegs berechenbar bleibt oder wieder in eine Mischung aus Kindergarten und Boxring ausartet – diese Weichenstellung hat auch direkten Einfluss auf die Entwicklung Europas und Deutschlands. Die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen, der Sicherheitskonflikt mit Russland und der Handelskonflikt mit China, die Verschuldung der Staatshaushalte und der Umgang mit Künstlicher Intelligenz, die Antwort auf die wachsende Ungleichheit zwischen Armen und Reichen und vor allem die Verteidigung von Demokratie, Pluralismus und Toleranz in einem zunehmend autoritär geprägten internationalen Umfeld: Alle diese Herausforderungen kann kein Land allein meistern. Aber alle freien Staaten haben ein existenzielles Interesse daran, dass die Probleme konstruktiv behandelt werden.
Der deutschen Außenpolitik kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Nicht erst jetzt, sondern schon länger. Umso bemerkenswerter, dass sie zwischen den innenpolitischen Debatten hierzulande vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfährt. Das mag verständlich erscheinen angesichts von AfD-Wahlsiegen, Messermorden und Migrationsstreit. Gerechtfertigt ist es nicht. Grund genug also, heute einen Blick auf die vier wichtigsten deutschen Außenpolitiker zu werfen: auf jene Amtsträger, die sich darum kümmern, dass Deutschlands Interessen in der wildgewordenen Welt gewahrt bleiben.
Es mag manchen verwundern, aber der einflussreichste deutsche Außenpolitiker heißt Frank-Walter Steinmeier. Zwar ist seine Zeit als Außenminister seit sieben Jahren vorbei, und der 68-Jährige achtet tunlichst darauf, der gegenwärtigen Amtsträgerin nicht in die Parade zu fahren. Doch in der deutschen Spitzenpolitik gibt es niemanden, der über so viel internationale Erfahrung und so gute Kontakte verfügt wie der Bundespräsident. Er nutzt sie geschickt, um in Krisenregionen zu vermitteln, im Dienst der Republik neue Gesprächskanäle zu eröffnen und vorausschauend Verbindungen anzubahnen. Mehr als 150 Auslandsreisen hat er als Staatsoberhaupt schon absolviert; allein in diesem Jahr war er dreimal in Frankreich sowie in Polen, Vietnam, Thailand, der Mongolei, auf Zypern, in Namibia, in der Türkei, in Tschechien, Belgien, Ungarn und Ägypten. Allerorten wird seine Stimme gehört und sein Rat geschätzt.
Auch der Kanzler verbringt einen großen Teil seiner Zeit mit Außenpolitik. Wie sollte es in einer aufgewühlten Welt anders sein? Olaf Scholz muss gegenwärtig viel Kritik einstecken, aber für seinen umsichtigen Kurs angesichts der russischen Aggression wird ihm auch von politischen Gegnern Respekt gezollt. Er versteht sich hervorragend mit Joe Biden und hat die deutsche Ukraine-Politik eng mit den Amerikanern abgestimmt. Das hat der Bundesrepublik in Washington neuen Respekt verschafft und auch abseits des Weißen Hauses in Ministerien, Behörden und Thinktanks belastbare Verbindungen geschaffen, die selbst im Falle eines Trump-Wahlsiegs tragen könnten. Am Rande des Nato-Gipfels im Juli traf Scholz in Washington auch Vertreter von Trumps "Maga"-Bewegung. Er weiß: Sollte der unberechenbare Selbstdarsteller wieder an die Macht gelangen, könnte in der internationalen Politik kein Stein auf dem anderen bleiben. Dann geht es rund, und jeder Kontakt zählt, um Deutschlands Interessen zu wahren. Zugleich hat Scholz viel Kraft in den Austausch mit den aufstrebenden Schwellenländern Indien, Indonesien und Brasilien investiert, was die in den Merkel-Jahren gewachsene Abhängigkeit von China perspektivisch ausgleichen könnte.
Auch die Außenministerin macht Außenpolitik. Nachdem sie zwei Jahre lang Profil und Arbeitsschwerpunkte suchte und dabei nicht die beste Figur machte, hat Annalena Baerbock ihre wichtigste Aufgabe gefunden: Seit dem Überfall der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober und dem anschließenden Kriegszug der israelischen Armee im Gazastreifen droht die Lage im Nahen Osten quasi täglich zu eskalieren. Hier die erbarmungslosen Terroristen, dort der kompromisslose Netanjahu, hier das aggressive Mullah-Regime im Iran, da die waffenstarrende Hisbollah im Libanon: So verhärtet sind die Fronten, so verfahren ist die Lage, dass sich selbst gewiefte Diplomaten die Zähne ausbeißen. Seit elf Monaten werden israelische Geiseln gepeinigt, sterben palästinensische Zivilisten, bangen Zigtausende Menschen dies- und jenseits der Grenzen um ihr Leben, ihre Kinder, ihre Zukunft. Baerbock versucht unermüdlich, weiteres Leid zu verhindern. Elfmal ist sie seit vergangenem Oktober in die Region gereist; sie vermittelt, verhandelt, macht Druck. "Wer den Nahen Osten kennt, weiß, dass Fortschritte sich hier in Millimetern bemessen", sagt sie. Immerhin: Ein ganz großer Krieg ist bisher vermieden worden.
Und der Vierte im Bunde? Ist Boris Pistorius. Als Verteidigungsminister hat er primär andere Aufgaben, aber auch er hat entscheidenden Anteil an der deutschen Außenpolitik. Während viele andere Politiker im Bundestag, in Ministerien und Parteizentralen unter dem öffentlichen Druck gelegentlich mit widersprüchlichen bis fahrlässigen Aussagen zur Ukraine Schlagzeilen machen, lässt Pistorius keinen Zweifel an der deutschen Unterstützung für das angegriffene Land. So unmissverständlich, dass er gerade noch den Respekt seinem Kanzler gegenüber wahrt, fordert er mehr Geld für Militärhilfe und für die Bundeswehr. Nicht nur in Kiew, auch in Polen, Tschechien und den baltischen Staaten wird der Klartextminister geschätzt. Dass er trotz haarsträubender Personal- und Logistikprobleme den Aufbau der Bundeswehr-Brigade in Litauen vorantreibt und so maßgeblich zur Sicherung der Nato-Ostflanke beiträgt, rechnen ihm die Osteuropäer hoch an. Selbst wenn es am Ende wenig sein sollte, was von der Ampelregierung bleibt: Diese Entscheidung ist historisch, weil sie zur Sicherheit des freien Europas beiträgt.
So gesehen: Die deutsche Außenpolitik ist trotz aller Kritik an den Regierenden recht gut aufgestellt.
Was steht an?
Bei der Generaldebatte im Bundestag messen Kanzler Scholz und Oppositionsführer Merz rhetorisch die Klingen. Der eine muss seine Krisenregierung verteidigen, der andere könnte mal erklären, was er konkret anders machen will.
In Kiew werden US-Außenminister Antony Blinken und sein britischer Kollege David Lammy erwartet. Angesichts immer brutalerer russischer Terrorangriffe ringt der ukrainische Präsident Selenskyj um Beistand.
In Hannover veröffentlicht das Landeskriminalamt Niedersachsen neue Videodateien, die den gesuchten RAF-Terroristen Burkhard Garweg zeigen. Gemeinsam mit seinen Komplizen Daniela Klette und Ernst-Volker Staub soll der Flüchtige schwere Raubüberfälle und versuchte Mordtaten begangen haben.
Zitat des Tages
"Deutschland verliert mit Friedrich Schorlemmer einen mutigen und aufrechten Streiter für Freiheit und Demokratie. Gerade in Zeiten, in denen politische Kräfte erstarken, die die Demokratie in Frage stellen, ist sein Tod ein großer Verlust für unser Land."
Bundespräsident Steinmeier würdigt den verstorbenen Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer. Mehr zum Wirken des Brandenburger Publizisten erfahren Sie bei den Kollegen des MDR.
Ohrenschmaus
Wie wäre es heute mit alten, mitreißenden Rhythmen? Voilà!
Lesetipps
Die Ampelregierung will die Migrationspolitik verschärfen. Doch CDU und CSU haben den gemeinsamen Gipfel platzen lassen. Mein Kollege Simon Cleven erläutert Ihnen, was schiefgelaufen ist.
Im Osten sind die Grünen abgewählt worden. Sie verstehen nicht, warum. Sie flüchten aus den Niederungen der Politik in die Höhen der Moral. Das kann nur schiefgehen – auch im Westen, meint unser Kolumnist Uwe Vorkötter.
Manche Kommentatoren fordern: Wenn die AfD Wahlen gewinnt, dann lasst sie halt mal regieren. Die Kollegen des Schweizer "Bund" zeigen, warum das keine gute Idee ist.
Zum Schluss
Der Schutz der deutschen Außengrenzen wird jetzt enorm verschärft.
Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Tag. Heute Mittag erhalten Sie eine Sonderausgabe des Tagesanbruchs zu den Folgen des TV-Duells im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf.
Herzliche Grüße und bis später
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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