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US-Wahlkampf beeindruckt: Soll Deutschland mehr Entertainment wagen?


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Tagesanbruch
In Deutschland unmöglich

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 22.08.2024Lesedauer: 6 Min.
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Kamala Harris: Die Präsidentschaftskandidatin zeigt sich beim Parteitag bestens gelaunt. (Quelle: John Moore/getty-images-bilder)

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

ich sitze gerade viel vor dem Fernseher, und zwar aus beruflichen Gründen. Das ist in meinem Job erst einmal nichts Ungewöhnliches. Reden von Politikern, Podiumsdiskussionen, Talkshows, Debatten in Parlamenten: All das muss ich mir natürlich ständig anschauen, um für Sie darüber zu berichten.

Ich will hier gar nicht groß drum herumreden. Auch wenn ich meinen Beruf sehr gerne mache, können solche Veranstaltungen ziemlich öde sein. Die Reden gleichen sich, es werden die immer gleichen Worthülsen von den immer gleichen Menschen in unsere Tastaturen diktiert.

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Doch in den vergangenen Tagen und Wochen ist das anders. Wenn ich beruflich vor dem Fernseher sitze, habe ich tatsächlich Spaß. Denn die Bilder des Nominierungsparteitags der US-Demokraten, und zuvor auch die der Republikaner, sind etwas völlig anderes als das, was ich aus der hiesigen Parteienlandschaft kenne. Die Reden reißen das Publikum im Saal mit, dem nicht nur von Politikern, sondern auch von anderen Prominenten und lauter Musik eingeheizt wird. Alles ist größer, bunter, aufregender und vor allem: unterhaltsamer.

Die Parteitage der Demokraten und Republikaner wollen eine große Show sein. Aus der Sicht des politischen Beobachters könnte man bei so viel Pomp fast schon etwas neidisch werden. Eine solche riesige Inszenierung wäre aber in Deutschland fehl am Platz. Denn so leicht lassen sich die deutsche und die US-Politik nicht miteinander vergleichen. Das bedeutet aber nicht, dass sich die deutschen Parteien nicht das ein oder andere von dort abschauen könnten.

Die Bandbreite dessen, was auf dem Parteitag der US-Demokraten in Chicago geboten wird, ist schon außergewöhnlich. Doug Emhoff, der Ehemann von Kamala Harris, sprach etwa vor den Tausenden Besuchern darüber, wie er 2013 etwas unbeholfen seine spätere Frau um ihr erstes Date gebeten hatte. Der Rapper Lil Jon brüllte der Menge seine größten Hits entgegen, die es ohnehin nur selten auf den Sitzen hält.

Vom Podium meldet sich auch Basketballcoach Steve Kerr. Der feierte einst als Spieler mit Michael Jordan in Chicago große Triumphe und holte gerade mit den USA als Trainer in Paris die Goldmedaille. Ach ja, auch noch als Redner dabei: Präsident Joe Biden und seine Vorgänger Barack Obama und Bill Clinton samt der Ehefrauen Jill, Michelle und Hillary.

Tim Walz, Harris' Wahl für das Amt des Vizepräsidenten, trat am frühen Morgen deutscher Zeit beim Parteitag der Demokraten auf. Er sei einst als Lehrer in die Politik eingezogen und auf Skepsis gestoßen. "Aber unterschätze niemals einen Lehrer einer öffentlichen Schule", zeigte sich Walz als Mann der kleinen Leute und der Mittelklasse – und erntete dafür viel Applaus.

All diese Auftritte machen Spaß, sind mitreißend und bringen einen nicht selten zum Lachen. Das trifft übrigens genauso auf die Republikaner zu, wenn sich etwa die Wrestlinglegende Hulk Hogan das Shirt vom Leib reißt, der Musiker Kid Rock die Menge einpeitscht oder Donald Trump seine Rede hält, während hinter ihm auf den Bildschirmen ein überdimensioniertes Weißes Haus zu sehen ist.

Über die politischen Inhalte im US-Wahlkampf ist dadurch natürlich noch nichts gesagt. Im Vergleich wirken deutsche Wahlkampfveranstaltungen und Parteitage trotzdem entsetzlich trist. Tatsächlich glaubt Bundeskanzler Olaf Scholz wohl bis heute, sein blasses Auftreten sei eine große Stärke. "Ich bewerbe mich schließlich als Kanzler und nicht als Zirkusdirektor", sagte er etwa vor einigen Jahren über sein nüchternes Auftreten.

Bei seiner Vorgängerin Angela Merkel war das kaum anders. Dass deren Ehepartner Joachim Sauer und Britta Ernst die beiden in Reden ankündigen oder vor Tausenden darüber sprechen, wie sie sich einst kennenlernten? Nahezu unvorstellbar. Lobreden auf die Nachfolger? Vom letzten SPD-Kanzler Gerhard Schröder will nahezu die gesamte Partei inklusive Scholz nichts mehr wissen. Und Angela Merkel will umgekehrt nichts mehr von ihrer CDU wissen, schon gar nicht vom aktuellen Parteichef Friedrich Merz.

Bei der musikalischen Untermalung wird es dann noch komplizierter. Ob SPD-Fan Roland Kaiser für die Sozialdemokraten so etwas wie der Lil Jon für die US-Demokraten sein kann, dürfen Sie selbst entscheiden. Leslie Mandoki ist bei der CDU ein gern gesehener Gast und hat in der Vergangenheit schon Wahlkampfhymnen komponiert. Der alte Dschingis Khan-Klassiker "Moskau" wäre bei den Christdemokraten aber wohl gerade gänzlich unangebracht.

Sie merken es schon: Es ist schwierig, wahrscheinlich sogar unfair, die Gepflogenheiten im US-Wahlkampf einfach mit denen in Deutschland zu vergleichen. Die US-Politik wird eben vielmehr von starken Persönlichkeiten und deren Charisma getragen, als es hierzulande der Fall ist. Ohne Pathos, Superlative oder schmissige Slogans wie "Yes, we can" oder "Make America Great Again" lässt sich in den USA kaum eine Wahl gewinnen, während die Merkel-CDU schon mal mit so einprägsamen Parolen wie "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben" (#FEDIDWGUGL) für sich warb.

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Die US-Parteitage sind das Hochamt der Inszenierung. Hier wollen sich die Kandidaten nicht nur den Wählern von ihrer besten Seite zeigen. Sie sind auch der Startschuss in die heiße Wahlkampfphase, mit dem die unzähligen Freiwilligen im ganzen Land motiviert werden sollen, bis zum November alles für ihren Kandidaten zu geben.

Es gilt: Person vor Inhalt und Partei. In Deutschland ist es eher umgekehrt.

Die entscheidende Frage ist aber: Sollte es in Deutschland tatsächlich genauso wie in den USA sein? Der Dokumentarfilmer Stephan Lamby sagte mir in einem Interview im vergangenen Jahr, dass es eigentlich nur zwei Typen von Politikern gibt: Einen Typ nannte Lamby den "Bierzeltpolitiker": "Der redet gerne, wie ihm der Schnabel gewachsen ist." Beispiele seien etwa Helmut Kohl, Gerhard Schröder oder Friedrich Merz.

Der andere Typ ist laut Lamby dagegen nervenstark, kontrolliert und wägt jedes Wort ab – so wie Angela Merkel und Olaf Scholz. Wer also die Ergebnisse der vergangenen Bundestagswahlen kennt, weiß, welcher Typus in Deutschland zuletzt der erfolgreichere war, lautet sein Fazit.

Die meisten US-Präsidenten haben vermutlich noch nie ein richtiges Bierzelt von innen gesehen, Bierzeltpolitiker waren sie dagegen fast alle. John F. Kennedy ("Ich bin ein Berliner"), Barack Obama ("Change") oder Bill Clinton ("It's the economy, stupid!") waren mit einem natürlichen Charisma gesegnet. Ronald Reagan und Donald Trump wurden erst als Medienpersönlichkeiten bekannt, bevor sie sich der Politik zuwandten und Präsidenten wurden.

Die harte Währung, an der ein Präsident, ein Bundeskanzler oder jeder Politiker gemessen werden muss, bleibt trotzdem seine Sachpolitik. Das bedeutet aber nicht, dass man seine Inhalte nicht bestmöglich verpacken darf. Ich lasse mich jedenfalls gerne weiter von diesem US-Wahlkampf unterhalten – und eine etwas launigere, mitreißendere Rede von Bundeskanzler Scholz wäre ja auch nicht zu viel verlangt. Ihm und seiner Regierung täte es gerade jetzt gut.


Der Beste geht

"Ich persönlich habe es geliebt, das Trikot der deutschen Nationalmannschaft zu tragen. Vielen Dank dafür." So schloss Manuel Neuer am gestrigen Mittwoch seine Botschaft auf Instagram, in dem der 38-Jährige seine Karriere als Torwart der deutschen Fußballnationalmannschaft beendete.

Die Zahlen von Neuers Nationalmannschaftskarriere lesen sich beeindruckend. 15 Jahre war Neuer Deutschlands Nummer 1, 124 Spiele absolvierte er für Deutschland, 61 davon als Kapitän, 2014 gewann er in Brasilien die Weltmeisterschaft. Niemand stand häufiger für Deutschland zwischen den Pfosten, kein Oliver Kahn, Sepp Maier oder Toni Schumacher.

Wobei, was Neuer eigentlich so besonders macht: Zwischen den Pfosten stand dieser Torwart eigentlich recht selten. Kein Schlussmann war vor ihm so sehr in das Spiel eingebunden, war gleichzeitig erster Mann bei der Spieleröffnung und letzter Verteidiger. "Er hat mit seiner Art das Torhüterspiel revolutioniert", sagt dazu der DFB-Sportdirektor Rudi Völler.

Künftig wird man Neuer nur noch im Trikot des FC Bayern bestaunen können. Sein Vertrag läuft dort noch bis zum Sommer 2025.


Das historische Bild

1932 bewunderte Frankreich seinen Luxusdampfer "Normandie", doch das Ende des Schiffes war tragisch. Hier erfahren Sie mehr.


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Zum Schluss

Vorsicht vor falschen Vorbildern …

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Donnerstag. Morgen schreibt für Sie Christine Holthoff.

Herzliche Grüße

Ihr

David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
X: @Schubfach

Mit Material von dpa.

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