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Ampel-Regierung und Ukraine-Krieg: "Da droht eine historische Konstellation"


Interview
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Ampel und der Ukraine-Krieg
"Da droht eine historische Konstellation"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 11.09.2023Lesedauer: 7 Min.
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Olaf Scholz 2017 bei der Begrüßung von Melania und Donald Trump auf dem G20-Gipfel in Hamburg: Der Kanzler könnte im kommenden Jahr erneut auf Trump treffen, sollte dieser wieder ins Weiße Haus einziehen. (Archivfoto) (Quelle: Dave Bedrosian/imago-images-bilder)
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Wie erlebt die Bundesregierung den Ukraine-Krieg? Der Journalist Stephan Lamby hat den Kanzler und viele Minister über Monate durch die Krise begleitet.

Druck ist für Spitzenpolitiker normal. Angela Merkel musste in ihren Kanzlerjahren nicht nur Deutschland durch eine Pandemie bringen, sondern auch zahlreiche andere größere und kleinere Krisen meistern. Auf die Bankenkrise folgte die Eurokrise, 2015 die Flüchtlingskrise – all diese Extremsituationen waren der Grund dafür, dass Merkel gerne als "Krisenkanzlerin" tituliert wurde.

Die Bundesregierung von Olaf Scholz war unter anderen Vorzeichen gestartet: Eine "Fortschrittskoalition" wollte der SPD-Mann mit den Grünen und der FDP schmieden. Doch keine vier Monate, nachdem der Koalitionsvertrag unterschrieben war, schlitterte Europa mit der russischen Invasion der Ukraine in die nächste schwere Krise.

Wie haben Scholz und die anderen Minister diese Zeit erlebt? Stephan Lamby muss es wissen: Der Journalist hat über all die Monate die Akteure der Regierung auf zahlreiche Veranstaltungen begleitet und darüber nicht nur ein Buch geschrieben, sondern auch einen Film gedreht, der heute in der ARD ausgestrahlt wird. Im Gespräch mit t-online erklärt Lamby, welcher Minister in der Krise am meisten leidet, warum er mehr von Annalena Baerbock erwartet und ob die Ampel in der Krise schon mal vor dem Ende stand.

t-online: Herr Lamby, der wohl markanteste Satz Ihres Buches stammt von einem Mitarbeiter von Olaf Scholz: "Wir haben hier alle eine Scheißangst." Ist Angst das Gefühl, das diese Regierung am meisten bestimmt?

Stephan Lamby: Es ist nicht das alleinige, aber doch ein prägendes Gefühl – und zwar im doppelten Sinne: Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr lange Angst, dass die Waffenlieferungen an die Ukraine den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einer massiven Ausweitung des Krieges provozieren würden. Dann gab es noch eine zweite Angst, die mit der Zeit größer wurde: Wenn die FDP als kleinster Koalitionspartner weiter Landtagswahlen verliert, könnte der Ampel bei der nächsten Bundestagswahl ein Partner abhandenkommen. Das ist keine angenehme Situation für diese Koalition.

Also: Die eine Angst ist die vor Russland, die andere die vor einem Zusammenbruch der Regierung?

Die Angst vor einem vorzeitigen Bruch ist aktuell nicht so groß. Aber Olaf Scholz hat diese Regierung auf Dauer angelegt, also über die nächste Bundestagswahl hinaus. Er hat deswegen schon einiges unternommen, um die FDP zu stützen.

Sie schreiben über den Kanzler: "Olaf Scholz wird ein Krisenkanzler sein. Wenn es sehr schlecht läuft, wird er sogar ein Kriegskanzler sein." Weiß er das selbst auch?

Das ist objektiv so. Sollte Deutschland immer tiefer in diesen Krieg hineingezogen werden, wächst die Gefahr einer direkten Auseinandersetzung: zwischen Russland und den Nato-Staaten.

(Quelle: Knut Muhsik/ECO Media)

Zur Person

Stephan Lamby (63) ist einer der bekanntesten deutschen Dokumentarfilmer und Chef der Produktionsfirma ECO Media TV. In seinen Filmen begleitete er unter anderem schon Wolfgang Schäuble, Helmut Kohl, Angela Merkel oder Henry Kissinger. Für seine Arbeit wurde er unter anderem zweimal mit dem Deutschen Fernsehpreis, der Goldenen Kamera oder vom "Medium Magazin" als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet. Sein jüngstes Buch "Ernstfall – Regieren in Zeiten des Krieges" ist seit heute im Handel. Die TV-Dokumentation zum Buch ist in der ARD-Mediathek verfügbar.

Ist diese Gefahr tatsächlich größer geworden? Trotz der Waffenlieferungen an die Ukraine ist es doch bisher nur bei Drohungen aus Russland geblieben.

Wichtig war die Reise von Olaf Scholz nach Peking im vergangenen Herbst, auf der ich ihn begleiten konnte. Xi Jinping warnte direkt nach dem Treffen wie Scholz öffentlich vor dem Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine. Wir wissen nicht, wie sich der Konflikt noch entwickeln wird. Aber für diesen Moment wurde die akute Bedrohung entschärft. Außenpolitisch war das der größte Erfolg von Olaf Scholz.

Der Kanzler hat sich durch einen sehr abwägenden Kurs hervorgetan: Die einen loben das, andere meinen, er brauche stets zu lange. Welche Lesart ist die richtige?

Gewinnt die Ukraine den Krieg und kann sie die Russen von ihrem Territorium vertreiben, hat auch Olaf Scholz alles richtig gemacht. Gewinnen die Russen die Oberhand und besetzen dauerhaft die Ukraine, dann nicht. Im vergangenen Sommer gab es ein Zeitfenster, in der die Bundesregierung die Lieferung von schweren Panzern diskutierte. Olaf Scholz hat sich dagegen entschieden, obwohl die Ukraine sie dringend brauchte. Die Entscheidung für die Marder und Leoparden kam dann erst im Januar, nach der Herbstoffensive. In der Zwischenzeit konnten sich die Russen in ihren Stellungen einbunkern und weite Landstriche verminen.

Das fällt der Ukraine gerade auf die Füße.

Deshalb sagt etwa Robert Habeck, die Entscheidung kam zu spät. Andererseits konnte im Sommer 2022 auch niemand wissen, wie Wladimir Putin auf eine Lieferung von deutschen Panzern reagieren würde. Olaf Scholz erklärt immer, dass ihm die Abstimmung mit den Partnerländern wichtig ist, vor allem mit den USA – und die Abstimmung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht so weit. Viel präziser wird der Kanzler dabei nicht. Für Selbstkritik im Kanzleramt ist es noch zu früh.

Die Kommunikation des Kanzlers ist eine Art Dauerkritikpunkt: Scholz tut häufig so, als entscheide er immer richtig, und jeder, der es anders sieht, habe keine Ahnung. Ist das ein Schutzmechanismus oder glaubt er das wirklich?

Dafür müsste man tief in Scholz‘ Seele blicken können. Nach meinem Eindruck ist er tatsächlich davon überzeugt, zu jedem Zeitpunkt die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Wie gesagt: Sollte die Ukraine den Krieg verlieren, wird Scholz an dieser Darstellung nicht festhalten können. Zudem gibt es ein weiteres Ereignis, dessen Ausgang Stand heute unkalkulierbar ist: die US-Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr.

Vieles spricht dafür, dass ein republikanischer Präsident wie Donald Trump die Militärhilfen für die Ukraine drastisch einschränken würde. Hat die Bundesregierung dafür einen Plan?

Dafür kann es noch keinen Plan geben. Trump hat ja noch nicht präzisiert, was seine Pläne mit der Ukraine wären. Olaf Scholz sagt immer, er spreche sich eng mit den Amerikanern ab: Würde das bedeuten, dass Deutschland bei einem Präsidenten Trump auch die Hilfen an die Ukraine reduziert oder gar einstellt? Oder würde die Bundesregierung versuchen, bei der Unterstützung der Ukraine an die Stelle der USA zu treten? Das würde Deutschland überfordern, militärisch, auch volkswirtschaftlich. Da droht eine historische Konstellation, die äußerst unbequeme Antworten vom Bundeskanzler verlangen würde.

Alle Minister und der Kanzler stehen seit diesem Angriffskrieg unter Dauerdruck. Es scheint laut Ihrem Buch aber nicht Olaf Scholz zu sein, dem das am meisten zusetzt, sondern Robert Habeck.

Er formuliert im Gegensatz zu Scholz seine Gedanken und Gefühle verhältnismäßig frei und offen. Man sieht sehr genau, ob er gerade eine erfolgreiche Phase durchlebt oder nicht. Er ist lange auf einer Erfolgswelle gesurft, bis er wegen der falsch aufgesetzten Gasumlage in eine Krise gerutscht ist. Anschließend konnte er sich wieder aus dem Tief herausarbeiten. Ich habe ihn auf einer Reise nach Singapur aus der Nähe beobachtet: Da war Habeck ein Rock'n'Roll-Politiker, wie Joschka Fischer sich selbst einmal nannte, voll im Flow und mit sichtlich Spaß. Danach folgte mit dem Streit ums Heizungsgesetz die nächste Krise. Sie hielt viel zu lange an.

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Kann es sein, dass ein Mensch, der so seine Gefühle artikuliert, möglicherweise gar nicht für ein solches Spitzenamt oder gar fürs Kanzleramt gemacht ist?

Lassen Sie mich die Frage folgendermaßen beantworten: Es gibt aus meiner Sicht zwei Arten von Kanzlerkandidaten.

Die wären?

Der eine Typus ist der Bierzeltpolitiker. Der redet gerne, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Dem entsprachen etwa Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Peer Steinbrück, Martin Schulz, Armin Laschet; jetzt zählt als moderne Variante Robert Habeck dazu. Der andere Typus ist extrem kontrolliert, nervenstark, jedes Wort abwägend, so wie Angela Merkel oder Olaf Scholz. Seit der Bundestagswahl 2005 hat sich bei den Wählern der zweite Typus durchgesetzt. Das können in zwei Jahren auch Friedrich Merz oder Markus Söder zu spüren bekommen.

Scholz wurde mitunter kritisiert, dass er trotz des Krieges öfter mit Putin telefoniert hat. Annalena Baerbock dagegen sucht das Gespräch mit Russland offenbar überhaupt nicht. Das kommt in Teilen der Öffentlichkeit gut an – aber wäre nicht genau das ihre Aufgabe?

Deswegen gibt es in meinem Buch einen kleinen Exkurs zur Kuba-Krise 1962, als die Welt schon einmal am Rande eines Atomkriegs stand: US-Präsident John F. Kennedy bat damals seinen Bruder Robert, mit dem sowjetischen Botschafter in geheimen Verhandlungen eine Lösung zu finden. Das Ganze geschah trotz des öffentlichen Drucks in den USA und war am Ende erfolgreich. Ähnliche Gesprächskanäle und Initiativen erwarte ich auch von der deutschen Diplomatie unter Führung der Außenministerin.

Sie macht ihren Job nicht richtig?

Baerbock setzt ihre Schwerpunkte anders. Sie versucht, eine diplomatische Koalition gegen Putin zu schmieden. Sie will bei den Abstimmungen bei den Vereinten Nationen Russland isolieren. Aber Baerbock muss auch über ihren Schatten springen und alles versuchen, um diesen Krieg mindestens einzudämmen. Deutschland beteiligt sich zwar am Rande an Initiativen, die von anderen Ländern ausgehen. Aber mir ist nicht bekannt, dass sie eigene diplomatische Initiativen gestartet hat. Das ist für ein so wichtiges Land wie Deutschland auf Dauer nicht ausreichend.

In einer völlig anderen Position befindet sich Finanzminister Christian Lindner. Er und die FDP gelten als Opposition innerhalb der Koalition. Aber dieser Weg zahlt sich bisher nicht aus – oder?

Lindner und seine Leute erinnern sich gut an die letzte Regierungsbeteiligung der FDP im Bund. Nach einer Koalition mit der Union von Angela Merkel flog sie 2013 aus dem Bundestag. Wenn man sich die jüngsten und die nun anstehenden Landtagswahlen anschaut, kann es sein, dass die Partei bald in sechs oder sieben Landtagen nicht mehr vertreten sein wird. Möglicherweise droht ihr bei der nächsten Bundestagswahl eine ähnliche Niederlage wie 2013. Mit anderen Worten: Die FDP kämpft um ihr politisches Überleben.

Was ist Lindners Reaktion darauf?

Er versucht, die Partei in der Regierung sichtbarer zu machen – auf Kosten der Koalitionspartner.

Damit hat die Partei aber bisher überhaupt keinen Erfolg.

Schlimmer noch: Die Folgen spüren alle drei Parteien. Wenn Bürger etwas in einer Krise überhaupt nicht goutieren, dann einen schlingernden Kurs einer zerstrittenen Regierung. Dieses Bild hat die Koalition viele Monate lang abgegeben: Getrieben von den Sorgen der FDP, zugelassen vom Kanzler, aber zulasten der gesamten Koalition.

Gab es schon einen Zeitpunkt, als innerhalb der Regierung ein vorzeitiges Ende der Ampel im Raum stand?

Nein, das war zu keinem Zeitpunkt der Fall. Das hätte ich mitbekommen.

Der Umgang der Ampel mit dem Ukraine-Krieg ist das zentrale Thema Ihres Buches. Aber Sie haben auch viele Passagen, in denen Sie über den Klimawandel schreiben. Wird dieses Riesenthema unter den Eindrücken des Kriegs vergessen?

Auf keinen Fall. Aber der Regierung gelingt es nicht, eine geschlossene Klimapolitik zu entwickeln. Genau das wäre dringend notwendig. Um die Bevölkerung zu überzeugen, bei Veränderungen mitzunehmen, braucht es maximale Geschlossenheit bei den entscheidenden Akteuren. Diese Dreierkoalition aus sehr unterschiedlichen Parteien hat es noch nie gegeben, und sie wirkt in sehr unterschiedliche gesellschaftliche Kreise. Das ist die besondere Chance dieser Ampelregierung, die sich große Reformen vorgenommen hat. Aber diese Chance wird nicht genutzt. Das finde ich enttäuschend.

Herr Lamby, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Stephan Lamby
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