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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Anschlag auf Nordstream 2: Wie umgehen mit der Ukraine?


Umgang mit der Ukraine
Das wäre eine Frechheit

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 22.08.2024Lesedauer: 4 Min.
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Russische Artillerie in der Ukraine: Deutschland und Europa müssen sich gegen die Bedrohung wappnen, sagt Mike Martin.Vergrößern des Bildes
Russische Artillerie in der Ukraine: Deutschland und Europa müssen sich gegen die Bedrohung wappnen und Kiew unterstützen. (Quelle: Evgeny Biyatov/imago-images-bilder)

Die Ukraine steckt nach neuesten Erkenntnissen wohl hinter dem Anschlag auf die Ostseepipeline Nord Stream 2. Nicht der einzige Grund, bei aller Solidarität eine Ukraine-Politik mit gesundem Realismus zu betreiben.

Bald zwei Jahre ist es her, dass die Welt gebannt und schockiert auf einen riesigen Blasenteppich, eine Art Wasservulkan, in der Ostsee nahe der dänischen Insel Bornholm blickte und sich fragte: Wer war das? Wer hat die russische Gaspipeline Nord Stream 2 in die Luft gejagt, und wer hat etwas davon? Erst allmählich lichten sich die Schleier des Diffusen, die den Blick auf den Grund der Sache verstellten wie die Gasbläschen, welche die 80 Meter vom Tatort am Meeresgrund aufstiegen und an der Oberfläche zerplatzten.

Einen mutmaßlichen Haupttäter haben die deutschen Strafverfolgungsbehörden unter Leitung des Generalbundesanwalts inzwischen ermittelt. Ein ukrainischer Tauchlehrer wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Es gibt Indizien, dass Polen ihn deckt und schützt. Darüber hinaus berichtet das "Wall Street Journal" mit vielen auch hochrangigen deutschen Quellen, allerdings anonym, über etwas, das an den Rändern wie eine Räuberpistole klingt, im Kern aber hochpolitisch ist.

Demnach haben drei hochrangige Militärs die Aktion in einem Saufgelage ausbaldowert und an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj herangetragen. Der habe zunächst seine Zustimmung gegeben. Als die CIA von der Sache Wind bekam, sollen die USA Druck auf Selenskyj gemacht haben, die Aktion sofort abzublasen. Der habe das angeblich auch versucht – vergeblich. Die Sache sei nicht mehr einzufangen gewesen, und es machte Bumm in der Ostsee.

Dieser Vorgang und seine allmähliche Aufklärung ist nicht der einzige der jüngsten Zeit, der Anlass gibt, die Ukraine nicht verklärt und romantisierend zu betrachten. Sondern ganz nüchtern. Und nüchtern ergibt sich folgender Befund, der alles politische Handeln leiten sollte, anstatt des schieren Gefühls: Die Ukraine ist Opfer eines brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands, gegen den sie sich heldenhaft zur Wehr setzt. Die Ukrainer sind also definitiv Opfer und Helden, die die Unterstützung des Westens verdienen. Aber Heilige und über jeden Zweifel erhaben sind sie deswegen nicht.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".

Weil das ein Dilemma ist, redet die deutsche Regierung so ungern über den Anschlag und die jüngsten Erkenntnisse. Obwohl es immer die große Frage war, warum es jemand anders hätte sein sollen. Die Russen sprengen eine eigene, stillgelegte Pipeline? Warum? Völlig unplausibel. Die USA? Um Europa dauerhaft vom transatlantischen LNG-Gas abhängig zu halten? Für diese Theorie muss man einen mittelgroßen Aluhut fest auf dem Kopf sitzen haben.

Ebenso wortkarg und schmallippig verhält sich die Bundesregierung zum Vorstoß der Ukraine auf das russische Territorium von Kursk. Genauer: Zum Umstand, dass dabei nachweislich deutsche Schützenpanzer vom Typ Marder auf russischen Boden gerollt sind. Auch da sind viele Fragen offen. Etwa jene, ob die Berichte stimmen, wonach Berlin darüber vorher nicht informiert war. Das wäre generell, aber vor allem in Anbetracht des Marder-Einsatzes, eine Frechheit der Ukrainer. Und es wird auch mit den dünnsten Argumenten versucht, diesen Tabubruch kleinzureden. Das seien keine deutschen Panzer mehr, die seien der Ukraine ja geschenkt worden, versucht es der vormalige Nato-General Erhard Bühler, nicht so weit weg von dieser Rabulistik redet der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid.

Hintergrund der Reserven des Kanzlers

Festzuhalten ist: Bisher war das ein No-Go. Und Hintergrund all der Vorbehalte, was die Taurus-Lieferung anlangt. Der Marder-Einsatz, vor allem, wenn nicht abgesprochen, gibt Kanzler Scholz im Nachhinein recht.

Der Anschlag auf die Pipeline, der Vorstoß nach Russland mit deutschen und westlichen Waffensystemen: Der Westen und insbesondere Berlin als wichtigster politischer und materieller Unterstützer der Ukraine innerhalb Europas bleiben gut beraten, die Ukraine bei aller grundsätzlichen Unterstützung in ihrer Quecksilbrigkeit zu sehen.

Weil an der Stelle ein schlimmes Missverständnis droht: Das bedeutet ausdrücklich nicht, dass die Ampel, wie wohl jetzt geschehen, die unmittelbare Militärhilfe für die Ukraine mit sofortiger Wirkung einfrieren sollte. Dieser Vorgang ist, nach allem, was bekannt ist, hochgradig schäbig und unverantwortlich. Weil die Entscheidung aus nackter Haushaltsnot getroffen wurde. In der Dimension eine Sünde zulasten der Sicherheit Deutschlands wie seinerzeit die Aussetzung, vulgo: Abschaffung der Wehrpflicht aus Geldgründen. Genau das hatte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg getan (er bereut das heute).

Das bedingungslose Bürgergeld war ein Fehler

Aber eine andere Maßnahme könnte in dem Zusammenhang auf den Prüfstand gestellt und berichtigt werden. Es war menschlich-emotional nachvollziehbar, dass seinerzeit bei Ausbruch des Krieges alle ukrainischen Flüchtlinge bedingungslos das Bürgergeld und alles, was daran hängt, bekommen haben. Es war aber ein Fehler, noch mal: ein Fehler im Affekt, aber ein Fehler. Die Ukrainer, die mit ihren Autos nach Deutschland kommen, haben im Unterschied etwa zu Menschen, die mittellos übers Mittelmeer kommen, eher Zugriff auf ihre Konten zu Hause. Es soll ihnen natürlich Schutz geboten werden, aber diese Alimentierung, die sonst keiner Flüchtlingsgruppe hierzulande zuteilwird, muss nicht sein.

Und anstatt darüber zu räsonieren und zu fabulieren, dass statt des Geldes aus dem Haushalt eingefrorene russische Konten zur Finanzierung der Waffen für Kiew herangezogen werden sollen (das ist erst europäisch initiiert und noch lange nicht spruchreif), sollte man hier umschichten. Wenn meine Informationen mich nicht täuschen, werden etwa fünf Milliarden Euro Bürgergeld an die Ukrainer im Land jährlich ausgezahlt. Das ist in etwa der Betrag, der die Militärhilfe für die Ukraine im Moment pro Jahr kostet.

Realpolitik ohne falsches Sentiment wäre, dieses Geld sofort zugunsten der heldenhaften ukrainischen Soldaten an der Front umzuwidmen. Politisch ein doppelter Gewinn: Ein Fehler behoben, einen zweiten verhindert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen, Wall Street Journal
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